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Liebeserklärung

Tina Heinz

Weißt du noch? Damals – als wir uns kennenlernten? Erst vorsichtiges herantasten. Prüfen, ob wir „auf einer Wellenlänge“ sind. Dann plötzlich diese Gefühle! Neugier, Aufregung, vielleicht ein bisschen Unsicherheit, aber mit Sicherheit ganz viel Verliebtheit. Die Chemie hat einfach gestimmt, wie es oft heißt. Was auch immer das bedeuten mag … 


Unsere erste Verabredung: Fahrradtour an der Elbe, Flammkuchen, ausführliche Gespräche. Zweite Verabredung: Fahrradtour an der Saale samt Picknick, Kinobesuch samt Popcorn, lange Gespräche und noch längere Verabschiedung am Bahnhof, die nur durch den Hinweis des freundlichen Zugführers, er würde gleich losfahren, ein Ende fand. Und die Tage danach? Ein einziges Chaos! Wer kann sich schon konzentrieren, wenn die Gedanken ständig zu einer bestimmten Person wandern? Die neue Lektüre, die ich angefangen hatte, musste ich nach dem achten Anlauf weglegen. Über die erste Seite kam ich nicht hinaus. Die Gedanken? Immer wieder bei dir! Und du? Du verpasstest auf dem Heimweg von der letzten Vorlesung des Tages den Abzweig in die Straße, in der du damals wohntest, weil du in Gedanken an mich einfach weitergeradelt bist. Ein schöneres Kompliment gibt es nicht.


Die Wochen danach waren geprägt vom Hin und Her: ein Wochenende bei mir, das nächste bei dir. Wochentags wurde immer wieder aufs Neue darum gekämpft, sich bei der Arbeit beziehungsweise beim Studium auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Ein Geräusch des Handys – und der Kampf war verloren. Jede Ablenkung durch dich war willkommen – und ist es auch heute noch. An den Wochenenden wurde jede Minute des Zusammenseins genossen. Gemeinsam frühstücken, gemeinsam kochen. Ins Kino, ins Theater, zum Tanzen gehen. Gemeinsam die Natur genießen. Gemeinsam doch noch ein Weilchen im Bett liegen bleiben. So zog sich das für zwei Jahre, in denen wir zwei Leben führten – eines mit und eines ohne die andere. Bis sich unsere Lebenswege schließlich in einer gemeinsamen Wohnung vollständig miteinander verwoben.


Beinahe acht Jahre sind seitdem vergangen, fast zehn seit unserem ersten Aufeinandertreffen. Aber was hat sich in dieser Zeit verändert? Alles. Und irgendwie auch nichts. Der Alltag hat Einzug gehalten. Wir teilen nicht nur die besonders schönen und erinnernswerten Momente miteinander, sondern auch die langweiligen, gar lästigen. Wer geht einkaufen? Wer kümmert sich um die Wäsche? Wer zieht den Staubsauger durch die Wohnung? Wer putzt Fenster? Das sind wahrlich keine romantischen Augenblicke. Auch wenn die anfängliche Neugier und Aufregung verblasst sind, so sind sie doch nicht einer Gleichgültigkeit gewichen. Noch immer freue ich mich auf unser gemeinsames Frühstück am Wochenende, da von Montag bis Freitag aufgrund der unterschiedlichen Arbeitszeiten ein gemeinsames morgendliches Essen ausgeschlossen ist. Ebenso groß ist die Vorfreude auf Aktivitäten, die vom Alltag abweichen – Urlaub, Besuch bei der Familie und bei Freunden, abends ins Puppentheater, Tanzen gehen, ein Ausflug in die Natur. Doch auch die Kleinigkeiten des Alltags zaubern mir nach wie vor ein Lächeln ins Gesicht: Sei es unser (mit wenigen Ausnahmen) tägliches Ritual, nach der Arbeit gemeinsam einen Kaffee zu trinken und einander von den Ereignissen des Tages zu berichten oder sei es die gemeinsame Runde mit dem Hund durch den Stadtpark, danach kochen und Abendessen.


Was sich ganz gewiss verändert hat: Wir haben in den ersten Monaten, vielleicht auch Jahren, unsere Stärken und vor allem Schwächen kennengelernt – die der jeweils anderen, aber viel wichtiger: die eigenen. Du hast akzeptiert, dass ich meine schweigsamen Momente habe, in denen ich Dinge zunächst mit mir selbst ausmachen muss, bevor ich sie nach außen trage. Und ich habe akzeptiert, dass du manchmal Frust oder Wut rauslassen musst, bevor du besonnen darüber reden kannst. Dies sind nur zwei Beispiele für einen Lernprozess, der wohl nie wirklich abgeschlossen sein wird. Und während wir in der Anfangsphase den einen oder anderen Streit ausgetragen haben, wurden die Diskussionen weniger, je länger und besser wir uns kannten. Nicht etwa, weil wir uns nichts mehr zu sagen haben oder wir immer einer Meinung sind und uns aneinander angepasst haben. Sondern weil wir Kompromisse schließen und Dialoge auf Augenhöhe führen, anstatt uns wegen Banalitäten anzugiften. Vielleicht auch, weil wir gelassener geworden sind. 


Deshalb werden wir die rosarote Brille, die wir seit dem ersten Tag tragen, auch weiterhin nicht absetzen – in manchen Situationen müssen wir nur über den Brillenrand hinweg schielen.

Seite 16, Kompakt Zeitung Nr. 225

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