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Warum gibt es die Globuline immer noch?

Prof. Dr. Peter Schönfeld

An der Homöopathie scheiden sich seit 200 Jahren die Geister. Für deren Arznei konnte, mit naturwissenschaftlicher Elle gemessen, noch nie ein Nachweis erbracht werden. Trotzdem verkaufen sich Globuli weiterhin gut. Ist das zu verstehen?

Jeder zweite Deutsche soll sie schon genommen haben, die kleinen Zuckerkügelchen, die besser als Globuli bekannt sind. Weil die homöopathische Globuli-Arznei als nebenwirkungsfrei gilt, wird sie gekauft, denn man kann ja mit der Einnahme nichts falsch machen. Nach einer Forsa-Befragung haben viele Deutsche (66% der Frauen) ein Grundvertrauen in die homöopathische Behandlung. Aber wie kam es eigentlich zum Aufstieg der Homöopathie, deren Wirken einerseits von Anfang an mit viel Kritik überzogen wurde, aber heute auch als Ergänzung (Komplementärmedizin) der Schulmedizin angesehen wird?


Die Medizin auf dem Weg in die Moderne

 

Die Anfänge der Homöopathie gehen auf den griechischen Arzt und Lehrer Hippokrates (460 – 370 v. Chr) zurück, aber zur Blüte verhalf ihr erst der deutsche Arzt Samuel Hahnemann (1755 – 1843) kurz vor dem Ende des 18. Jahrhundert. In seiner Zeit war die Medizin noch sehr von der Viersäftelehre (Humoralpathologie) beherrscht, einer in der griechischen Antike entwickelten Lehre über die Ursache von Krankheit. Ein Mensch war krank, wenn das Blut, der Schleim, die schwarze und die gelbe Galle nicht im richtigen Mischungsverhältnis zueinanderstanden. Deshalb wurden Kranke häufig zur Ader gelassen, um so die Balance zwischen den Säften wieder herzustellen. Außerdem war im naturphilosophischen Denken der Vitalismus fest verankert. Es galt als unmöglich, pflanzliche und tierische Stoffe (wie den Harnstoff) im Labor herzustellen, denn dort fehlte die den Lebewesen eigene Lebenskraft („vis vitalis“).

Dass Eindringen der frühen Chemie in die mittelalterliche Medizin wurde vor 500 Jahren von dem Schweizer Alchemisten und Arzt Paracelsus (1493/94? -1541) gefördert. Bezüglich der Krankenbehandlung gab er zu bedenken: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“ Später waren es vor allem die Chemiker Antoine de Lavoisier (1746 – 1794), Friedrich Wöhler (1800 – 1882), Justus von Liebig (1803 – 1873) sowie die Mediziner und Physiologen Claude Bernard (1813 – 1878) und Hermann von Helmholtz (1821 – 1894), die der Medizin zu einem naturwissenschaftlichen Fundament verhalfen. Endgültig wurde dem antiken Krankheitsverständnis der Todesstoß durch den preußischen Arzt, Anthropologen, Archäologen und Politiker Rudolf Virchow (1821 – 1902) versetzt. Die von ihm begründete Zellularpathologie führt den Ursprung jeder Krankheit auf defekte Zellen zurück. Fazit: Zum Zeitpunkt des Aufstiegs der Homöopathie gab es noch keine wissenschaftsbasierte Medizin.


Tönerne Füße der Homöopathie

 

Hahnemann hatte bei einem Selbstversuch empfunden, dass Chinarinde (rote Rinde eines Laubbaumes) Fieber auslöst, was allerdings spätere Homöopathen und Ärzte nicht reproduzieren konnten. Von da an propagierte er, dass Fieber bei Kranken mit erzeugtem Fieber (Chinarinde) bekämpft werden sollte. Diese Art der Behandlung entspricht dem Ähnlichkeitsprinzip der Homöopathie („Similia similibus curentur“), nachdem Krankheiten mit Arzneien zu behandeln sind, die die gleichen Symptome bei Gesunden auslösen. Danach müsste also ein Diabetiker mit Zucker behandelt werden. Nach Hahnemanns Auffassung (die auch heute noch vertreten wird) erwecken homöopathische Arzneien die Selbstheilungskräfte des Körpers. 

Die zweite Glaubensherausforderung der Homöopathie besagt, dass die Aktivität eines Wirkstoffes durch extremes Verdünnen und Schütteln gesteigert wird (Potenzierungs-Prinzip). Eine auf diese Weise hergestellte Arznei sollte aber auch einen Globuli-affinen Zeitgenossen nachdenklich stimmen. Man stelle sich vor, diesem werden im Restaurant nach dem Prinzip – „je kleiner die Dosis, desto größer die Wirkung“ – gewürzte Speisen serviert.  Wahrscheinlich würde er wegen seiner nicht erregten Geschmacksknospen zukünftig von einem weiteren Besuch in dem Restaurant absehen. Auch für den Diabetiker wäre eine Behandlung mit einer so hergestellten „Insulinarznei“ problematisch. Bei einem Zuckerkranken mit Diabetes Typ 2 ist die Insulinabgabe der Bauchspeicheldrüse vergleichbar mit der eines Gesunden. Das Insulin löst aber beim Diabetiker keine ausreichende Aufnahme des Blutzuckers in das Muskel- und Fettgewebe aus, weil die dortigen Rezeptoren kaum noch Affinität zum Insulin haben. Damit die Rezeptoren doch noch den Blutzucker in die Zellen lassen, muss mit einer erhöhten Insulinkonzentration (deshalb auch die Insulin-Spritze) deren mangelnde Affinität zum Insulin erzwungen werden.


Kritiker gab es von Anfang an

 

Über seine Heilkunde schrieb Hahnemann viele Bücher („Organon der Heilkunst“, „Reine Arzneimittellehre“) und hielt Vorlesungen. Er besaß auch umfangreiche chemische und pharmazeutische Kenntnisse. So hatte er u. a. eine Nachweisprobe entwickelt, mit der die Verfälschung von Wein durch Bleizucker (ein früher häufig eingesetzter giftiger Zuckerersatz) aufgedeckt werden konnte.  Revolutioniert hat er die Arzneimitteltestung, die er an Gesunden (an sich selbst, seiner Familie und Schülern) vorgenommen hat. Aufgrund seiner vielfältigen Aktivitäten wurde er auch in die Gelehrtenakademie Leopoldina aufgenommen. Aber wie kam Hahnemann auf die Potenzierung? Ihm war als praktisch-tätiger Arzt natürlich bekannt, dass viele der als Arznei eingesetzten Stoffe (z. B. Belladonna, Schierling, Quecksilber, Arsen) schwere Nebenwirkungen hatten. Das erklärt sein Bestreben bei der Krankenbehandlung extreme Verdünnungen einzusetzen.


Schon zur Lebenszeit von Hahnemann gab es zahlreiche Gegner der homöopathischen Lehre. Für den Britten Robert Mortimer Glover war sie die schlimmste Art der Quacksalberei. Der Leipziger Arzt Karl Wilhelm Fickel schrieb 1840 dazu: „Als Heilsystem ist die Homöopathie eine Irrlehre, in praktischer Anwendung ein Unding.“ Ende des 19. Jahrhunderts war in Meyers Konversationslexikon (4. Auflage, Band 8, 1885-1892) über die Homöopathie zu lesen (Wikipedia): „Es würde zu weit führen, das mystische, überall den Erfahrungen der Chemie, Physik und Pathologie widersprechende System, das, anstatt auf Beobachtungen auf gänzlich unbewiesenen Glaubenssätzen aufgebaut ist, hier auszuführen, zumal eine treue Wiedergabe bei den vielfachen Änderungen, welche die H. täglich erfährt, ganz unmöglich wäre. …daß die H. dem gesunden Verstand mehr als dem kranken Körper zumutet, und es ist bedauerlich, daß aus Mangel an Kritik die H. von vielen Dilettanten und Dilettantinnen selbst in Fällen betrieben wird, bei denen im Vertrauen auf die Zuckerkügelchen die rechtzeitige ärztliche Hilfe verabsäumt wird.“


Ein heutiges Beispiel für die Kritik an der Homöopathie ist die Marburger Erklärung (siehe unten, ein Auszug aus Wikipedia) des Fachbereichs Humanmedizin der Philipps-Universität Marburg von 1992. Anlass war das von Lobbyisten betriebene Bestreben im Medizinstudium homöopathische Lehrinhalte zu integrieren.
„Wir betrachten die Homöopathie nicht etwa als unkonventionelle Methode, die weiterer wissenschaftlicher Prüfung bedarf. Wir haben sie geprüft. Homöopathie hat nichts mit Naturheilkunde zu tun. Oft wird behauptet, der Homöopathie liege ein ‚anderes Denken‘ zugrunde. Dies mag so sein. Das geistige Fundament der Homöopathie besteht jedoch aus Irrtümern (Ähnlichkeitsregel, Arzneimittelbild, Potenzieren durch Verdünnen). Ihr Konzept ist es, diese Irrtümer als Wahrheit auszugeben. Ihr Wirkprinzip ist die Täuschung des Patienten, verstärkt durch Selbsttäuschung des Behandlers“.


Eine Bilanz


Der deutsche Nobelpreisträger Paul Ehrlich entwickelte das Konzept von den „magischen Kugeln“. Er verstand darunter Arzneimittel mit einer spezifischen Wirkung.  Ein solches fand Ehrlich und sein japanischer Kollege Hata Sahachiro in dem SalvarsanR, einem Medikament gegen Syphilis. Globuli sind keine solchen „magischen Kugeln“.


  • Zu dem Grundvertrauen in die Homöopathie trägt bei, dass sich ein Homöopath beim Kontakt mit dem Patienten viel Zeit nimmt (60 bis 90 min bei der Erstbefragung). Dieser fühlt sich dadurch mit seinem Leiden ernst genommen. Auch Hahnemann hat immer betont, dass der „gemütliche und geistige Charakter“ eines Patienten bei der Behandlung berücksichtigt werden muss.
  • Lobbyisten der Homöopathie werben nicht nur für Globuli. Sie sind auch auf anderen Feldern aktiv, wie bei der Infiltration von homöopathischem Gedankengut in die Ausbildung der Medizinstudenten. Ein Beispiel dafür war der Versuch im Gegenstandskatalog des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP), Prüfungsfragen aus dem Gebiet der Homöopathie einzuschleusen. Bisher ist es dazu nicht gekommen.
  • Mehr als 7.000 Ärzte haben eine homöopathische Zusatzausbildung, Tendenz steigend. Angesehene Universitäten, wie die Ludwig-Maximilians-Universität (München), bieten Vorlesungen in Homöopathie als Wahlpflichtfach im Medizinstudium an. In Vorlesungsunterlagen zur Allgemeinmedizin der LMU war zu lesen, dass die Homöopathie „im Prinzip wie eine Impfung“ funktioniere.
  • Die Politik unterstützt die Integration homöopathischer Behandlungen (Komplementärmedizin) in die Medizin. Annette Widmann-Mauz, CDU-Politikerin und Staatssekretärin am Gesundheitsamt, hatte 2017 die Schirmherrschaft des 72. Homöopathischen Weltärztekongresses (Leipzig, 14. bis 17. Juni) übernommen. Auf dem Kongress wurde seitens der Politik die Überzeugung ausgedrückt, dass der Homöopathie bei der Gestaltung des zukünftigen Gesundheitswesens eine wesentliche Rolle zukommt.
  • Krankenkassen (71 an der Zahl, Stand 11/ 2021) erstatten teilweise oder vollständig Kosten homöopathischer Behandlungen und Arzneien. Begründet wird dieses mit Senkung von Behandlungskosten und der Versichertenbindung an die Krankenkasse. In den USA dagegen muss eine homöopathische Arznei mit der Aufschrift, „Keine nachgewiesene Wirksamkeit“, verkauft werden. In Frankreich übernimmt seit 2021 keine Krankenkasse mehr die Kosten für homöopathische Behandlungen.
  • Nach dem deutschen Arzneimittelgesetz muss die Wirksamkeit eines Medikamentes der „Schulmedizin“ durch mehrere klinische Studien nachgewiesen werden. Homöopathische Arzneien müssen sich bei der Zulassung nicht den gleichen Hürden stellen. Bei Arzneien ohne Anwendungswerbung muss die Qualität und Unbedenklichkeit, aber nicht deren Wirksamkeit ausgewiesen werden. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass das Oberlandesgericht Frankfurt 2021 einer Apothekerin unter Strafandrohung verboten hat, Tropfen und Globuli der Potenz C30 mit dem Schwangerschaftshormon hCG zu vertreiben. C30 bedeutet, dass eine Ausgangslösung eines Wirkstoffes (Urtinktur) 30 Mal 1:100 verdünnt wird. Das Urteil wurde mit dem nach der Verdünnung Nichtvorhandensein des Hormons begründet. Auch werden seit 2018 in der Bahnhof-Apotheke im bayerischen Städtchen Weilheim keine homöopathischen Medikamente mehr verkauft. Die Inhaberin der Apotheke begründet ihre Entscheidung mit Gewissensgründen, wegen deren nicht belegten Wirkung.
  • Durch Potenzieren (extremes Verdünnen) soll die Wirksamkeit eines Wirkstoffes gesteigert werden. Weil es keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit homöopathischer Arzneimittel gibt, der nicht mit einer Placebo-Wirkung zu erklären ist, rufen Lobbyisten die Freunde der Homöopathie dazu auf, über ihre positiven Erfahrungen zu berichten.
  • Bei der Behandlung mit homöopathischen Arzneien besteht die Gefahr einer indirekten Gesundheitsschädigung. Das ist immer dann der Fall, wenn mit Hochpotenz-Globuli an Stelle von nachgewiesenen Therapien behandelt wird, und so eine wirksame Behandlung verschleppt wird.

Abschließend noch eine Erklärung für die Liebe zu den Globuli. Heute gibt es eine wachsende Offenheit für esoterisches Gedankengut, wovon auch die Homöopathie profitiert. Möglicherweise lässt sich deshalb die Affinität zu den Globuli auch so verstehen, dass in einer Zeit, in der fast alle natürlichen Vorgänge durch die Naturwissenschaften entzaubert wurden, ein Bedürfnis nach Nichterklärbarkeit gewachsen ist. Hat man dieses Bedürfnis, dann helfen auch Gold-Globuli (Aurum metallicum Globuli) bei Durchblutungsstörungen, Depressionen, Syphilis, Verzweiflung, Angst-Zuständen und Bluthochdruck, wie eine Werbung verspricht. Außerdem, im Fall des Bluthochdrucks genügen die Gold-Globuli auch dem homöopathischen Ähnlichkeitsprinzip, denn der Anblick des Goldes kann ja auch den Blutdruck steigen lassen.

Seite 28-29, Kompakt Zeitung Nr. 225

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