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Bayerische Verhältnisse?
Nein, danke!

Rudi Bartlitz

Die WM ist passe, jetzt geht es im Handball in der Meisterschaft und in den Pokalwettbewerben weiter. Die Bundesliga erlebt einen Titelkampf, der spannend wie schon lange nicht werden könnte. Aber es glänzt nicht alles.

Der SCM (hier Torhüter Mike Jensen in Aktion) setzt derzeit in der Meisterschaft und den Pokal-Wettbewerben wahrlich bemerkenswerte Zeichen. Foto: Peter Gercke

Als sich die deutschen Handball-Nationalspieler von der mit Platz fünf abgeschlossenen Weltmeisterschaft bei einem Teamabend in Stockholm voneinander verabschiedeten, rief ihnen Nationaltrainer Alfred Gislason breit grinsend hinterher: „Wenn es nach mir geht, gebe ich euch einen Monat frei.“ Er war des Lobes voll über seine Schützlinge: „Viele sind als Talente zur WM hingefahren und kehren als anerkannte Spieler zurück.“


Doch was die weitere Terminplanung betrifft, geht es nicht nach dem Isländer. Da hat er ausnahmsweise nichts zu melden. Was jetzt folgt, sind stressige Wochen und Monate in den Vereinen. Allein der SCM muss in den nächsten gut vier Monaten mindestens 23 Begegnungen austragen, im Extremfall, soll heißen: Erfolgsfall, kommen noch sechs weitere hinzu. Es ist eine Zeit, in der sowohl in der Meisterschaft als in den Cup-Wettbewerben die Entscheidungen heranreifen. Crunch-Time sozusagen. Nur sieben Tage nach dem Ausklang des Weltchampionats stand für die Mehrheit der SCM-Nationalspieler schon wieder das Pokal-Viertelfinale gegen den THW Kiel an. In einem wahren Handball-Drama bekamen die Grün-Roten (35:34-Erfolg nach Verlängerung) schon einmal einen Vorgeschmack auf Kommendes.


Für den, der eine Schlagzeile sucht, um die Bundesliga derzeit treffend zu kennzeichnen, könnte sie lauten: keine Münchner Verhältnisse. Nichts da von der Vormachtstellung eines Klubs, der wie der FC Bayern den Titelkampf in den letzten zehn Jahren bis zur Langeweile beherrschte – selbst wenn dieses Bild derzeit ein klein wenig zu wackeln scheint. Im Gegenteil, bei den Ballwerfern geht es so spannend zu wie schon seit Jahren nicht. Gleich fünf Teams liefern sich ganz oben einen Kopf-an-Kopf-Kampf: Füchse Berlin, THW Kiel, Rhein-Neckar Löwen, SC Magdeburg, SG Flensburg. In nüchternen Zahlen: Den Ersten trennen dabei zur Winterpause vom Dritten minimale zwei Minuspunkte, Magdeburg als Vierter (zwei Partien weniger) liegt nach Minuspunkten sogar mit dem Spitzenreiter gleichauf. Selbst der Fünfte ist mit fünf Zählern Rückstand längst nicht außer Reichweite. 


Neben den üblichen Verdächtigen (Magdeburg, Kiel, Flensburg), die im Herbst als Top-Favoriten ins Meisterrennen gingen, mischen diesmal auch die Hauptstädter und die Löwen ernsthaft mit. Die Füchse blicken dabei auf eine starke erste Saisonhälfte zurück und gehen zum ersten Mal als Tabellenführer in die WM-Pause. Sie sind für viele Experten in dieser Saison ein echter Titelkandidat. „Natürlich muss man drüber reden, wenn man zur Halbzeit oben steht. Aber es ist alles supereng“, sagte Kapitän Paul Drux. Und auch Routinier Hans Lindberg sieht gute Chancen. „Wenn wir das Niveau der ersten Hälfte halten können, dann sind wir natürlich auch im Rennen um die Meisterschaft“, sagte er. Bei den Löwen, die zuletzt einen regelrechten Einbruch erlebten, ist mit Trainer Sebastian Hinze neues Feuer ins Team gekommen. Um Spielmacher Juri Knorr herum wächst gerade ein Team, das, so wollen sie es in Mannheim, in den kommenden drei Jahren zu Meisterehren kommen und an die großen Jahre 2016 und 2017 anknüpfen soll.


Doch dort, wo nach dem über zweijährigen Corona-Einbruch jetzt wieder relativ viel Licht auszumachen ist, sind die Schatten nicht vollends verschwunden. So kämpft ein Großteil der Vereine noch heute mit den Folgen eines rapiden Zuschauerrückgangs, der auch zu Beginn der Saison 2022/23 anhielt. Weiter: Im Abstiegskampf liegen schon früh in der Spielzeit die Nerven ziemlich blank. Das betrifft inzwischen selbst Teams, die sich im soliden Mittelfeld wähnten oder sogar auf die internationalen Plätze schielten. Gleich vier Trainer mussten bis zur Weihnachtspause ihren Stuhl räumen. Bei Frischauf Göppingen kam für Hartmut Mayerhoffer Markus Baur, bei der DHfK Leipzig löste Runar Sigtryggsson Andre Haber ab, beim THV Stuttgart musste Roi Sanchez für Michael Schweikardt weichen, und in Wetzlar kamen Jasmin Camdzic und Co-Trainer Filip Mirkulovski interimsweise für den freigestellten Ben Matschke. Bis die Hessen kurz vor Weihnachten den kroatischen Nationaltrainer Hrvoje Horvat verpflichteten.


Das gab es in der Liga bisher so noch nie. Es spricht einiges dafür, dass die Fußballverhältnisse langsam, aber sicher auch auf den kleineren Bruder übergreifen. Natürlich, auch früher wurden Coaches vor Vertragsablauf entlassen, aber ziemlich selten bereits nach zwei oder drei Monaten, sondern in der Regel erst zu Saisonende. Oder der Vertrag wurde eben einfach nicht verlängert.
Und noch ein anderes Indiz sollte zumindest nachdenklich stimmen: In der Gunst des breiten Publikums besitzt der Handball noch nicht jenen Ruf, den sich die Fans der kleinen Kugel wünschen. Da wird das akzeptable Abschneiden bei der WM in der Substanz auch wenig ändern. Bei der deutschlandweiten Wahl der Mannschaft des Jahres 2022 stand der Fußball wieder einmal im Fokus. Gleich zwei Plätze auf dem Podium gingen an die dominierende Sportart in Deutschland: Eintracht Frankfurt bekam als Sieger der Europa League den Titel zugesprochen, die Frauen-Nationalmannschaft (EM-Zweite) folgte dahinter. Der SC Magdeburg landete trotz einer brillanten Saison (Vereinsweltmeister, deutscher Meister) auf Rang sechs ein. Ja, was sollen sie denn noch anstellen, wird sich da so mancher Fan fragen. Zu Recht.


Die Durststrecke des Handballs hält somit weiter an, die letzte Auszeichnung gab es 2007 nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft im eigenen Land. Die zweite Auszeichnung, in der „alten“ BRD, ging an die Weltmeister von 1978. Der SC Magdeburg 1981 sowie die Olympiasieger 1980 und die Nationalmannschaft 1959 sorgten in der DDR für weitere drei Auszeichnungen für den Handball. Zuletzt war er 2016 auf einem der vorderen Plätze vertreten – das DHB-Team wurde nach dem EM-Titel und Olympia-Bronze auf den zweiten Platz gewählt. Bei der Wahl des Sportlers und der Sportlerin des Jahres konnte sich seit 1947 überhaupt noch kein Vertreter dieser Sportart durchsetzen – was bei Mannschaftssportarten jedoch ohnehin extrem schwierig ist. Vielleicht, so die Hoffnung beim Ballwerfer-Verband, ändert sich das mit den Auszeichnungen ja im nächsten Jahr nach der Heim-EM wieder einmal. Schon von der gerade beendeten WM erhofft sich die Bundesliga positive Effekte. Der Vorsitzende der Liga-Vereinigung HBL, Frank Bohmann: „Der Auftritt hat beflügelt. Sie haben eine Einheit dargestellt. Zukünftig müssen Leichtigkeit und Erfolg zusammenfinden. Da bin ich zuversichtlich für die Heim-EM 2024.“ Dann soll es das Halbfinale sein. Mindestens.

Seite 40-41, Kompakt Zeitung Nr. 226

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