Hunger durch Öko-Ideologie?
Prof. Dr. Reinhard Szibor
Die Zahl der Menschen auf der Erde wächst pro Jahr um etwa 82,4 Millionen. Jeden Tag kommen knapp 230.000 Menschen hinzu, das entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Magdeburg. Wissenschaftliche Prognosen besagen, dass wir in zehn Jahren 8,55 Milliarden und in 30 Jahren 9,74 Milliarden Menschen sein werden.
Hunger in der Welt – können wir den besiegen?
Die Weltgemeinschaft hat sich mit der Formulierung der „Agenda2030 für nachhaltige Entwicklung“ das Ziel gesetzt, den weltweit verbreiteten Hunger bis zu diesem Zeitpunkt zu überwinden. „Zero Hunger by 2030“ heißt der Slogan. Tatsächlich ist der Hunger in den letzten 20 Jahren zurückgegangen, aber gegenwärtig verschlechtert sich die Situation wieder. 2021 waren bis zu 828 Millionen Menschen unterernährt. Statistisch gesehen stirbt alle dreizehn Sekunden ein Kind infolge von Unterernährung. Die neuentflammten Kriege und die Klimaveränderungen verschärfen die Krise. Der weitgehende Ausfall der Ukraine als Getreidelieferant hat ein weiteres Mal gezeigt, dass die Nahrungsmittel dort produziert werden müssen, wo sie gebraucht werden.
Wir unterscheiden drei Arten von Hunger. „Akuter Hunger (Hungersnot)“ bezeichnet einen Zustand der Unterernährung über einen abgrenzbaren Zeitraum. „Chronischer Hunger“ ist die Situation einer andauernden Unterernährung. Dieser ist global am weitesten verbreitet, kommt aber in den Medien weniger vor als akute Hungerkrisen. Chronischer Hunger ist ein Begleiter von Armut. Ebenso ein Armutsproblem ist der „verborgene Hunger“ als eine Form des chronischen Hungers. Wenn das Geld fehlt, Gemüse oder Milch zu kaufen, kommt es zu einer einseitigen Ernährung. In den armen Gebieten Asiens besteht diese fast ausschließlich aus Reis, in großen Teilen Afrikas aus Maniok. Proteine und Mikronährstoffe wie Vitamin A oder die Elemente Eisen, Jod, Zink fehlen. Die Folgen sind vor allem für Kinder fatal. Sie können sich körperlich und geistig nicht richtig entwickeln, leiden unter Immunschwäche, entwickeln zahlreiche Erkrankungen und Intelligenzdefizite.
Hunger könnte man erfolgreich bekämpfen
Die größten Hungerprobleme bestehen in Gebieten Südostasiens, in Ländern Lateinamerikas und in Afrika. Am schlimmsten ist die Not dort, wo Krieg herrscht und auch in Ländern, die nach den Ideen des Kommunismus regiert werden, wie z. B. Nordkorea und Venezuela. Aber auch dort, wo das nicht der Fall ist, herrscht vielfach Hunger. Erstaunlich mag anmuten, dass besonders Kleinbauern und deren Familien hungern, wo sie doch Nahrungsmittel produzieren. Aber ihre Flächen sind oft zu klein und die Ernten zu gering. Es sind nicht nur Trockenheits- oder Überschwemmungskatastrophen, die den Menschen die Nahrungsgrundlage entziehen. Ursächlich sind auch ineffektive Anbaumethoden, ertragsarme und schädlingsanfällige Pflanzensorten, Mangel an Dünger und Pflanzenschutzmittel sowie fehlende Bildung der Landbevölkerung. Auf vielen Feldern Afrikas betragen die Ernteerträge nur 10 Prozent von dem, was möglich wäre. Was diese Länder brauchen, ist eine „Grüne Revolution“. In den 1960er Jahren begann unter der Leitung von Norman Borlaug eine Initiative zur Züchtung von Hochertragssorten sowie der Versorgung der Farmer mit Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Das hat in Asien Millionen Menschenleben gerettet. Norman Borlaug hat dafür zu Recht den Friedensnobelpreis bekommen, aber die westlichen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) lassen daran kein gutes Haar.
Jetzt gibt es die Chance und die Notwendigkeit für eine zweite „Grüne Revolution“. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Molekulargenetik haben in den letzten 20 Jahren dazu geführt, dass es inzwischen viele gentechnisch verbesserte (gv) Pflanzen gibt. Die meisten von ihnen sind befähigt, sich selbst gegen Insekten, Pilze und Viren zu schützen. Andere Kulturen sind trockenheitsresistent oder haben einen erhöhten Gehalt an Vitaminen, essenziellen Aminosäuren, Fettsäuren und Spurenelementen.
Untersuchungen der führenden Agrarökonomen der Welt z. B. von der Universität Göttingen und Bonn zeigen, dass dort, wo in den Entwicklungsländern gv-Pflanzen angebaut werden, die Erträge zwischen 30 und 100 Prozent höher sind, der Hunger dort abnimmt und die Umwelt geschont wird, weil weniger Pestizide eingesetzt werden. Negative Auswirkungen sind, aller Propaganda zum Trotz, nicht aufgetreten.
Vitamin-A-Defizienz (VAD) und andere Mangelerscheinungen
Insbesondere ist der Mangel an Vitamin A, auch Vitamin-A-Defizienz (VAD) genannt, ein großes Problem. Deswegen erblinden jedes Jahr 250.000 bis 500.000 Kinder. Etwa die Hälfte von ihnen stirbt danach. Die deutschen Genetiker Ingo Potrykus und Peter Beyer entwickelten in den Jahren um 2000 einen gv-Reis, der neben guten Erträgen ß-Carotin liefert, das im menschlichen Stoffwechsel in Vitamin A umgewandelt wird. Dieser „Goldene Reis“ ist geeignet, die VAD selbst bei einseitiger Ernährung zu beheben. Das ist eine passable Notlösung, solange die Armut nicht behoben werden kann. Eine sozioökonomische ex-ante-Studie von 2006 konstatierte, dass durch die Einführung von „Goldenem Reis“ selbst unter pessimistischen Annahmen allein in Indien pro Jahr 40.000 Menschenleben gerettet werden könnten.
Hass und antisemitische Symbolik töten Menschen
Der „Goldene Reis“ ist ein Projekt für Südostasien, wo das Geld der Armen oft nicht reicht, mehr als eine Handvoll Reis zu kaufen. Der Bill & Melinda-Gates-Stiftung geht es vorrangig um die Hungerprobleme in Afrika. Hier versuchen sie, den stillen Hunger mit gv-Bananen und gv-Maniok zu bekämpfen. Dabei ist VAD nicht das einzige Problem, es fehlt auch an Eiweiß, denn die Hauptnahrungsmittel Maniok, Mais und Bananen liefern für eine ausreichende Ernährung davon zu wenig. Die nigerianische Regierung hat jetzt den Anbau von gv-Augenbohnen erlaubt, die eine gute Eiweißversorgung ermöglichen. Die Bohnen produzieren mit Hilfe einer von Monsanto stammenden Fremd-DNA ein Toxin zur Abwehr des Bohnen-Zünslers, der bisher große Anteile der konventionellen Bohnen vernichtet hat.
Der Goldene Reis und andere gv-Pflanzen wurden ideologisch als Hassobjekte aufgebaut und die Hilfe für die Ärmsten wird von NGOs wie Greenpeace u. a. blockiert. Diese verfügen über viele Millionen Spendengelder und in Deutschland kassieren sie sogar noch staatliche Zuschüsse. Dank ihres Reichtums und ihrer erfolgreichen Desinformationskampagnen haben Greenpeace-Aktivisten Einfluss auf die Entwicklung. Sie fürchten, dass es mit dem Anbau lebensrettender Pflanzen wie dem „Goldenen Reis“ Positivbeispiele für die Anwendung der Grünen Gentechnik gibt und dass damit ihre Angstkampagnen für jedermann erkennbar ad absurdum geführt werden. Dann würde ihre Spendenakquisition signifikant einbrechen. Daraus erklärt sich ihr Eifer. Berücksichtigt man nur die Anzahl der Kinder, die durch den Goldenen Reis hätten gerettet werden können, gingen die Zahlen von Greenpeace-Opfern in die Millionen. In einer Resolution bezichtigt ein Drittel aller lebenden Nobelpreisträger zu Recht Greenpeace und deren Mitstreiter, die eine Anwendung von gv-Pflanzen verhindern, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Erfreulich ist, dass die Philippinen sich nicht länger erpressen lassen. Nach der dortigen Zulassung bauten Kleinbauern 2022 erstmals Goldenen Reis an und ernteten knapp 100 Tonnen. Entgegen der NGO-Propaganda kann er von allen Farmern lizenzfrei angebaut werden.
Jedem, der sich einmal mit den offenen und verdeckten Erscheinungsformen des Antisemitismus beschäftigt hat, dürfte auch auffallen, dass die Bekämpfung der Gentechnik starke antisemitische Züge aufweist. Ausgangspunkt dafür ist, dass der inzwischen von BAYER übernommene MONSANTO-Konzern, der die Grüne Gentechnik als erster kommerzialisiert hat, die Gründung einer jüdischen Familie ist. Die Verschwörungstheorie, dass MONSANTO die Kontrolle über das Saatgut und somit die Weltherrschaft anstrebt, ist sehr erfolgreich. Strategisch geschickt vermeidet man allerdings den NS-Begriff von der „Jüdischen Weltherrschaft“, denn mit offenem Antisemitismus findet man in Deutschland wenig Sympathie. Aber ganz in diesem Sinne verwendet Martin Häusling, deutscher Europarlamentarier für die Grünen, in seinen Schriften das Symbol des Jüdischen Kraken. Er lässt die Kombination mit einem Judenstern, wie er im „Stürmer“ verwendet wurde, weg. Aber seine Botschaft kommt trotzdem an.
Die „Guten“ sind böse und die „Bösen“ sind Wohltäter
Unfassbar ist, dass auch Organisationen, die als seriös gelten, wie „Brot für die Welt (BfdW)“ und „Misereor“, die wissenschaftsbasierte Lösung des Hungerproblems durch „Grünen Hass“ erfolgreich bekämpfen. Stig Tanzmann, Chefideologe bei BfdW, hat seinen Widerstand erklärt. In seinem Aufsatz „Alte GVOs – letzte Ausfahrt Afrika!?!“ bedauert er, dass man in Afrika möglicherweise die Zulassung von genetisch veränderten Organismen (GVOs) nicht dauerhaft blockieren kann. Dass sich die ursprünglich gemeinnützigen Organisationen zu politischen Kampfgruppen gewandelt haben, die die Pläne der rechtmäßigen Regierungen bekämpfen, stört bei uns offenbar kaum jemanden.
Honorige Persönlichkeiten, wie der verstorbene Friedensnobelpreisträger Kofi Annan, Bill Gates, Warren E. Buffet und andere Philanthropen, wurden und werden mit unmäßiger Kritik überzogen. Kofi Annan war Vorsitzender der „Allianz für eine Grüne Revolution in Afrika (AGRA)“, die eine entideologisierte Landwirtschaft anstrebt. Die AGRA ist eine im Jahr 2006 mit Geldern der Bill & Melinda Gates Foundation und der Rockefeller-Stiftung gestartete Initiative. Ziel ist es, die landwirtschaftliche Produktion Afrikas in umweltkompatibler Weise zu verdreifachen, wobei vor allem Kleinbauern unterstützt werden sollen. Um das zu erreichen, sind bei der AGRA alle Methoden, egal ob mit oder ohne Gentechnik, willkommen. Wenn die vermeintlichen „Agrarexperten“ von BfdW und Misereor das bekämpfen, zeigt sich, dass es ihnen an fachlicher und moralischer Qualifikation fehlt. Diese Erkenntnis ist für viele von uns, die wir alljährlich Spenden dorthin adressieren, oder dies in der Vergangenheit getan haben, sehr bitter.
Gilbert Arap Bor, Landwirt aus Kapseret in Kenia, ist Dozent an der Katholischen Universität von Ostafrika und in zahlreichen Gremien zu Fragen der Landwirtschaft in Afrika tätig. Er schrieb einen offenen Brief an das EU-Parlament. Hier ist ein übersetzter Auszug: „Lasst Afrika in Ruhe! 1885 trafen sich die großen europäischen Mächte in Berlin, um Afrika unter sich aufzuteilen. Damit begann eine dunkle Zeit kolonialistischer Ausbeutung. Heute sind die europäischen Gesetzgeber in Brüssel versammelt, für den Versuch, meinen Kontinent ein weiteres Mal zu unterwerfen – dieses Mal, indem sie uns zwingen, den wissenschaftlichen Innovationen abzuschwören, die den Ackerbau auf der ganzen Welt revolutioniert haben. Diese neue Offensive kommt vom Ausschuss für Entwicklungspolitik des Europäischen Parlaments, der einen Resolutionsentwurf vorgelegt hat, in dem die G 8-Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, gv-Pflanzen in Afrika nicht zu unterstützen. Was wir nicht brauchen, sind Lektionen von Europäern, deren Lebensstil für den normalen Afrikaner luxuriös erscheint. Sie wollen, dass wir im Ackerbau primitiv bleiben, hängengeblieben an Technologien, die bereits antiquiert waren, bevor das 21. Jahrhundert begonnen hat. Das Letzte, das wir brauchen, ist ein Haufen reicher Nationen, die unseren Fortschritt missbilligen, ohne auch nur einen Funken Ahnung von unserer misslichen Lage zu haben“. Ganz ähnlichen Inhalts ist auch der „Open letter to the EU Parliament from a group of Nigerian farmers: Let us make this choice for ourselves“. Die Afrikaner nennen die Bevormundung durch die EU „Neokolonialisierung“.
Was wir alles richtig machen könnten!
Die Reaktionen auf das Bevölkerungswachstum und den Klimawandel sind panisch. Wir werden mit Verhaltensmaßregeln und Appellen überhäuft. Nur manches davon ist vernünftig. Richtig ist, dass wir nicht so viel Lebensmittel wegwerfen dürfen. Das abzustellen ist geboten, aber es ernährt noch nicht die Hungernden. Die Hauptursachen für Hunger sind, dass bei den Bedürftigen zu wenig Lebensmittel produziert werden und dass die meisten Hungernden keine Chance haben, sich ausreichend an Wertschöpfung zu beteiligen. Natürlich wäre es wichtig, das Bevölkerungswachstum zu stoppen. Aber das geht nicht per Dekret. Es hat sich gezeigt, dass die Geburtenrate mit steigendem Wohlstand und besserer Bildung abnimmt. Also haben die Industrienationen die Pflicht, gemeinsam mit den Regierungen der Entwicklungsländer dafür zu sorgen, dass dort zumindest ein bescheidener Wohlstand einzieht. Das ginge mit den schon erwähnten Möglichkeiten der Modernisierung der Landwirtschaft. Weiterhin sind die südlichen Länder reich an Energie. Europa will sich von der Verbrennung fossiler Energieträger verabschieden und fast ausschließlich solare Energie nutzen. Die Fotovoltaik ist bei uns aber nur im Sommer einigermaßen produktiv und die Windenergie ist ebenfalls unstetig. Für die angestrebte Energiewende wird Deutschland nach Hochrechnungen des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme bis 2050 etwa 1.100 Mrd. Euro ausgeben. Durch eine Afro-Europäische Partnerschaft könnten beide Kontinente einen Großteil ihrer Probleme lösen.
Würden wir in Afrika investieren, wäre das sehr effizient. Nach einer Studie des Bundesforschungsministeriums ließen sich allein in Westafrika jährlich bis zu 165.000 Terawattstunden grüner Wasserstoff produzieren. Das wäre die 110-fache Menge dessen, die Deutschland im Jahr 2050 voraussichtlich importieren muss. Mit den Unsummen an Geld könnten ausgewählte Partnerländer eine moderne Wirtschaft inklusive einer hungerstillenden Landwirtschaft aufbauen. Die ungeheuren Energiemengen, die Afrika zur Verfügung hat, könnte man in Küstenländern auch zur Meerwasserentsalzung einsetzen, womit man riesige Erntesteigerungen erreichen könnte. Die Erde hat ein nahezu unendliches Potenzial, Lebensmittel zu erzeugen. Zehn Milliarden Menschen zu ernähren, dürfte damit kaum ein Problem sein, aber was wir brauchen, sind wissenschaftsbasierte Strategien und eine Entmachtung ideologisch agierender NGOs, die eine Modernisierung der Wirtschaft und besonders der Landwirtschaft bekämpfen.
Seite 4-5, Kompakt Zeitung Nr. 226