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Stadtmensch:
Seriöser Populismus

Lars Johansen

Ich weiß nicht genau, wann es „seriös” auf die Liste der aussterbenden Wörter geschafft hat, aber irgendwie klingt der Begriff heute altbacken. Man stellt sich nichts Positives darunter vor, sondern etwas, was nichts mehr mit uns zu tun hat. Seriös ist ein dunkler Anzug oder ein Kostüm, eine zu leise Stimme in einem Raum voller Gebrüll. Gefühlt hat der Populismus weltweit gewonnen. Ich mag mich irren, aber bei Wahlkämpfen wird mehr gelogen als es noch vor ein paar Jahren der Fall war. Und wenn, wie jüngst in den USA, ein Senator einen kompletten Lebenslauf erfindet, jüdische Wurzeln behauptet, Universitätsabschlüsse und Arbeitsstellen zusammenlügt und obendrein noch Spendengelder unterschlägt, dann gibt das nur einen Ausblick auf das, was da noch auf uns zukommen kann.


Sicher gibt es nicht nur eine Wahrheit, aber eben auch mehr als eine Lüge. Populismus kann nur funktionieren, wenn die Wirklichkeit zurechtgebogen wird, damit sie mit einfachen Worten erklärt werden kann. Widersprüche werden nicht ausgehalten, sondern so lange ausgeblendet oder kleingeredet, bis sie als rundgelutschte Teile einer stimmigen Gesamtwahrheit erscheinen, welche es so nicht geben kann. Denn natürlich weist jedes Leben diese Widersprüche auf. Wir alle gehen Umwege, um zu Zielen zu gelangen, die sich im Laufe eines Lebens verändern können. Das ist menschlich. Wir werden unmenschlich, wenn wir von allen Menschen verlangen, dass es nicht so sein darf. Ich mag beispielsweise die Thesen von J. K. Rowling zu transsexuellen Menschen oder nicht binären Menschen nicht, aber das macht ihre Bücher nicht zu potenziellen Kandidaten für ein Verbot. Wenn sogar ein Computerspiel, das auf Motiven von „Harry Potter“ beruht, in allerschärfster Form angegriffen wird und wer es spielen möchte, sich mit dem Vorwurf der Transphobie konfrontiert sieht, dann haben wir ein Problem. Und die Kobolde, welche dort auftauchen, zu antisemitischen Karikaturen umzudeuten, ist grundfalsch. Dass Fantasy als literarisches und filmisches Genre immer dazu neigt, reaktionär zu sein, mag richtig sein. Wer sich ein wenig mit dessen Geschichte beschäftigt, wird rasch fündig. Da findet sich eine große Menge Antisemitismus und natürlich auch Homo- oder Transphobie. Und das ist auch nichts, was ich auch nur ansatzweise für begrüßenswert halte. Man darf solche Autoren nicht von ihrem Werk losgelöst betrachten, denn das würde jede Literaturanalyse unmöglich machen. Aber einer Autorin genozidale Tendenzen zu unterstellen, weil sie ein Problem mit Transpersonen hat, ist genauso populistisch wie ihre Thesen.


Populismus wird nicht besser, wenn er auf der vermeintlich richtigen Seite steht. Es ist in Ordnung, sich über Personen, welche die politische Macht innehaben, zu erregen, wenn sie ausgrenzen und die Realität nicht wahrnehmen wollen. Es ist richtig und notwendig, sich dagegen zu engagieren, denn Macht darf nicht missbraucht werden. Aber man muss nicht mit dem gleichen verbalen Waffenarsenal auf jeden Menschen einstürmen, der diese Macht nicht in gleichem Maße besitzt. So werden aus normalen Meinungsverschiedenheiten, die, wie Widersprüche, zu jedem Leben dazu gehören, sinnlose Kriege. Ich muss nicht alles akzeptieren, was jemand anders sagt oder denkt, aber wenigstens versuchen zu verstehen, warum das so ist. Außerdem kann ich nicht das komplette Umfeld einer Person in Haftung für deren Äußerungen nehmen. Das ist nicht seriös. Und schon sind wir wieder bei diesem kleinen Zauberwort angekommen: Seriös. Ich denke, dass der Begriff bei weitem noch nicht ausgedient hat und dass wir uns ein wenig mehr darauf besinnen mögen, ihn zu verwenden.


So hat es mich persönlich sehr erleichtert, dass bei der letzten Präsidentenwahl in Tschechien nicht der im wahrsten Sinne des Wortes gnadenlose Populist Babis gewonnen hat, sondern sein Konkurrent Pavel. Pavel ist ein ehemaliger NATO-General, er war Mitglied der kommunistischen Partei und entspricht mit seinem Lebenslauf nicht dem Präsidenten meiner Träume. Aber zum einen bin ich kein Tscheche und zum anderen ist er mit all dem sehr offen und klar umgegangen. Er hat seine Vergangenheit nicht beschönigt oder eine Heldengeschichte konstruiert, er war tatsächlich einfach seriös. Babis dagegen log über seine Vergangenheit, obwohl diese Lügen relativ schlicht und leicht durchschaubar daher kamen. Und vor allem griff er seinen Konkurrenten an, indem er ihm all das unterstellte, was eigentlich nur für ihn selber zutraf. Ich gestehe, ich hatte große Sorgen, dass er wie Orban oder Erdogan damit durchkommen würde. Aber letztlich gab es keine Diskussionen über den Wahlsieg von Pavel, der mit hohem Abstand gewann, dass diese auch nur schwer möglich gewesen wären. Mir macht das Mut.


Oftmals vernebeln mir die sozialen Medien die Sinne und ich beginne dann zu glauben, dass außer ein paar Freunden der Rest der Welt eigentlich nur noch den Populisten hinterherläuft. Aber dann zeigt sich, dass es doch vernünftige Mehrheiten gibt und eben nicht alles verloren ist. Denn als ich im US-amerikanischen Repräsentantenhaus diese Farce verfolgte, in deren Rahmen ein paar ultrarechte Politiker die ohnehin schon rechtskonservativen Republikaner vor sich hertrieben, um noch absurdere Forderungen stellen zu können, da zweifelte ich schon sehr an der weltweiten Zukunft der Demokratie. Wenigstens für einen Moment. Jedenfalls bin ich nun etwas zuversichtlicher geworden. Vielleicht kann man doch darauf bauen, dass es eine seriöse Mehrheit gibt. Es gibt viel zu tun. Und tun, lohnt sich am Ende.

Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 226

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