Omas kulinarisches Wissen
Tina Heinz
Schnittlauch, Petersilie, Rosmarin, Estragon, Thymian, Dill, Salate, Rettich, Möhren und Kartoffeln, dazu noch ein paar Obstsorten – das alles war in Omas Garten zu finden. Auf der Wiese und ringsherum sprossen zudem Löwenzahn, Spitzwegerich, Schafgarbe, Giersch, Liebstöckel, Beifuß und allerhand anderes nützliches Grünzeug. Zur Erntezeit konnte man sich im Garten bedienen, wobei die Wahl der Kinder meist auf Erdbeeren, Kirschen, Pflaumen und Co. fiel. Oft wurden die Lebensmittel frisch verarbeitet und was zu viel war, wurde für die kalte Jahreszeit haltbar gemacht.
Auch Opa – meist im Garten, selten in der Küche arbeitend – leistete seinen Beitrag zur kulinarischen Wissenserweiterung. Neben dem heimischen Garten bot vor allem der Wald allerlei Leckereien. Er wusste genau, welche Pilze es wert sind, sich auf den moosigen Boden niederzuknien, um sie zu ernten, und um welche man lieber einen großen Bogen machen sollte. Auch die kleinen Wald-Erdbeeren waren die Mühe des Pflückens wert, ebenso die Heidel- und Preiselbeeren, die Himbeeren und die Brombeeren. Und auf die nussig-schmeckenden Bucheckern machte er aufmerksam, genauso wie auf die frischen, hellgrünen Triebe der Tannen. Hier konnten wir es uns schmecken lassen. Und wenn ich mal im Wald verloren ginge, würde ich vielleicht nicht so schnell verhungern …
Was die Zutaten betrifft, war in Sachen Kulinarik also ein solides Fundament vorhanden. Das Kochen und Backen allerdings gestaltet sich aus heutiger Sicht etwas komplizierter. Denn mitgeschrieben habe ich damals nicht – und Oma bereitete Essen selten nach Rezept zu. Das war eher Gefühlssache. Eine Prise hiervon, eine Handvoll davon. Und am Ende hat es geschmeckt. Sicherlich keine Sterne-Küche. Aber die ist von Omas Kreationen sowieso weit entfernt. Zudem wage ich zu bezweifeln, dass es auf professioneller Ebene ebenso zugeht. Erst recht, seitdem mir ein Bekannter – seines Zeichens Koch – kürzlich eine Anekdote schilderte: Er habe den Auszubildenden Rindfleisch aus der Kühlung holen lassen, zuvor allerdings die Etiketten vertauscht, um ihn einer kleinen Prüfung zu unterziehen. Womit der Azubi zurückkam, war helleres, eindeutig als Schwein zu erkennendes Fleisch … Mit der Wissensvermittlung seitens der Großeltern wäre das nicht passiert. Vielleicht sollte der Koch-Nachwuchs vor der Ausbildung ein Praktikum bei den Omas und Opas dieser Welt absolvieren.
Seite 28, Kompakt Zeitung Nr. 226