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Schlüssel, die seltener passen

Thomas Wischnewski

Wohin steuern wir als Gesellschaft mit den aktuellen Vorstellungen über Gerechtigkeit, zu Geschlechterfragen und Sprachvorstellungen? Wahrscheinlich ins Unwahrscheinliche.

Wahrscheinlich ist das Leben wahrscheinlich. Stellen Sie sich vor, Sie feilen eine unübersehbare Anzahl an Schlüsseln und bauen dazu Schlösser, mit allen dazu möglichen Schließvarianten und werfen alle Ergebnisse auf einen großen Haufen. Mit jeder neugefeilten Variante wird die Wahrscheinlichkeit geringer, dass man aus dem Berg an Schlüsseln ein dazu passendes Schloss finden wird. Nun könnte man per Quotenregelung Schlüssel- und Schlossgruppen ordnen und anschließend testen, ob diese dann gut miteinander funktionieren. Das Beispiel mag ein schlichtes Bild ergeben, und doch taugt es zur Veranschaulichung, welche Zustände wir als Gesellschaft inzwischen erzeugt haben. Und viele Vorgaben und Reflexionen, wie wir das Miteinander begreifen sollten, werden jedoch häufig von ebenso schlichten Erklärungen begleitet. Oft genug wird vor eine Erklärung und vor ein Konzept das Wort Gerechtigkeit gestellt, verknüpft mit der Vision, dass selbige dadurch entstehen könnte. Mit so einem Stempel versehen, ist es natürlich schwer, gegen Ansinnen, meistens politscher Art, etwas vorzubringen. Ungleichgewichte können wir alle sehen. Aber ist eine zunächst logisch erscheinende Idee, um eine Differenz zu überwinden, wirklich schon die Lösung oder werden zunächst oft neue Unausgewogenheiten erzeugt? Letzteres halte ich für wahrscheinlicher.


Inzwischen wird in Deutschland mehr als 20 Jahre über Quoten diskutiert, an vielen Schaltstellen sind sie eingeführt bzw. sollen sie Einzug halten. Die Hochschulrektorenkonferenz hatte sich Anfang Dezember 2022 dazu verständigt und bei der Debatte mächtig verstritten. Beklagt wurde vor allem, dass der Frauenanteil in der Wissenschaft von Karrierestufe zu Karrierestufe sinke. Unter Studenten sei das Geschlechterverhältnis inzwischen beinahe ausgeglichen. Bei den Promotionen betrage der Frauenanteil etwa 45 Prozent. Bei den Professuren allerdings nur rund 26 Prozent. Ein ähnliches Bild ergäbe sich in Führungspositionen. Vor allem in den naturwissenschaftlichen Bereichen sei der Frauenanteil gering. Eine Quote kann dort aber kaum Abhilfe schaffen, weil es schlichtweg nicht genügend weiblichen Nachwuchs gibt. Trotzdem bleibt das Quoten-Gerassel.


Freiheit vs. Gleichstellung


Erneut haben sich Soziologen des Themas angenommen und herausgefunden, dass in demokratischen Industriestaaten mit vielen Freiheitsrechten Frauen weniger in den sogenannten MINT-Fächern (Bezeichnung für Unterrichts- und Studienfächer bzw. Berufe aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) vertreten sind als in autokratischen Ländern oder gar Diktaturen. Die Erklärung dafür ist tatsächlich einfach. Freiheitsrechte motivieren Frauen dazu, Karrieren bzw. Berufswege einzuschlagen, die sie aus ihren individuellen Motiven heraus bevorzugen. Wollte man hierzu einen Umkehrschluss denken, müsste man konstatieren, Quoten würden eher einen gewissen Zwang erzeugen. Doch genau das Prinzip wohnt Vorgaben nun einmal inne.


Gleichstellungsvorstellungen kollidieren also mit Freiheitsbedingungen. Gleiche Chancen als System zu verordnen, schafft noch keine gleichen Chancen, wenn Einzelfaktoren wie beispielsweise das Geschlecht zum bestimmenden Kriterium werden sollen. An dieser Stelle sollte sich die Frage erübrigen, welche Quoten denn nun für weitere Geschlechtervarianten, die heutzutage ausgelebt werden können, angepeilt werden. Je mehr Bezeichnungen und Definitionen dazu entstehen, um so weniger wird ein Regelsystem passen. Da wären wir wieder beim Schlüssel-Bild.


An dieser Stelle sei auf ein weiteres Zeitgeist-Argument hingewiesen: Je öfter und nachdrücklicher auf Unterschiede oder Ungleichgewichte hingewiesen wird, je mehr dazu geforscht wird, je häufiger daraus politische Formulierungen mit entsprechenden Kampfformeln gemacht werden, umso mehr verfestigen sich die Wahrnehmungen über Ungerechtigkeiten. Möglicherweise ist dann das gezeichnete Bild dazu eine Verzerrung der realen Bedingungen. Außerdem führt eine fortwährende politische Agenda dazu, dass sich zunächst per Definition identifizierte Benachteiligte in ihrer Rolle bzw. ihrem Selbstverständnis noch verfestigen.


Da sind wir beim nächsten, einem meiner Lieblings-Streitthemen, der Verbreitung von geschlechtergerechter Sprache, angekommen. Kurz zusammengefasst, lautet die verbreitete Vorstellung, die Verwendung des generischen Maskulinums hätte entscheidenden Einfluss auf das Rollenverständnis und die damit verbundenen Machtstrukturen bzw. die historische Vorherrschaft von Männern gehabt. Zunächst wird bei dieser Erklärung die Komplexität der gesamten Menschheitsgeschichte in ihrer Vielschichtigkeit an biologischen Bedingungen, ihren evolutionären Veränderungen, ökonomischen, sozialen, psychischen und kulturellen Einflüssen auf einen Aspekt reduziert. Reduktion schafft jedoch bekanntlich Ungerechtigkeit. Gerade in Zeiten proklamierter Differenzierung und Diversität können Sprachänderungen innerhalb der Dynamik sozialer Rollenvorstellungen kaum Abhilfe schaffen. Im Gegenteil, an dieser Stelle werden womöglich nur neue Feststellschrauben angezogen. Es soll ein definiertes System durch ein anderes ausgetauscht werden. Das hieße, die mit der Vergangenheit definierte Ungerechtigkeit in der Sprache – weil dieselbe Methodik an Wirkung unterstellt werden kann – wird nur durch eine neue ersetzt. Früher hätte man hierzu die Redewendung, „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“ angeführt. Heute müsste man vielleicht formulieren: Die Teufel*innen werden mit den Beelzebüb*innen ausgetrieben. Der Aussagekern ändert sich nicht. Aber Spaß beiseite.


Zwei Argumente, warum der Versuch hin zu einer gendergerechten Sprachveränderung langfristig nicht funktionieren wird. Erstens war die Sprachgenese immer von Vereinfachung geprägt. Wir Menschen neigen innerhalb unserer Bequemlichkeit dazu, eine kurze Rede zu verwenden. Allein der Trend, dass der Dativ vielfach den Genitiv ablöst, ist dafür ein Indiz. Und das Phänomen ist nicht nur eines, dass im allgemeinen Sprachgebrauch zu beobachten ist, sondern längst bei einer solchen Klientel wie Journalisten, Marketingfachleuten und im Management Einzug gehalten hat. Die Jugendsprache, die von Generation zu Generation eigene Wortkreationen hervorbringt, wird durch andere Einflüsse inspiriert als durch Gerechtigkeitsaspekte, die der Sprache innewohnen sollen. Einen zweiten Grund liefert der fortschreitende Einfluss an Künstlicher Intelligenz. Vor allem Algorithmik und damit verbunden Mathematik und Logik sind die Zutaten, die es für den KI-Einsatz braucht. Da aber im derzeitigen Gendergebrauch weder eine innere Logik noch eine semantisch verlässliche Aussagekraft erzeugt werden kann, werden KI-Systeme die verwirrende Vielfalt an Ausdrucksmöglichkeiten eher nicht praktikabel machen können. Vielmehr zeigt sich in unseren intellektuellen Fähigkeiten zur Interpretation – wie die der sprachlichen Ungerechtigkeiten, dass der Geist alle möglichen und ebenso alle unmöglichen Erklärungen zustande bringen kann, unabhängig von ihrem wahrscheinlichen Realitätsgehalt.


Ein drittes, bereits mehrfach von mir aufgeworfenes Argument soll hier genannt sein: Die Unterstellung, dass wir irgendetwas nicht mitdenken könnten, ist letztlich eine Diffamierung des menschlichen Geistes. Jedes Individuum wird an der einen oder anderen Stelle nicht in der Lage sein, alle Aspekte einer Sache, eines Prozesses oder einer Beurteilung zu berücksichtigen. Dass sich in Studien Differenzen herausarbeiten lassen, die im Ergebnis zeigen, dass irgendwer etwas weniger mitdenkt, hängt stets von den Untersuchungsfragen, vor allem von den gesellschaftlich konkreten Umständen, die zum Untersuchungszeitpunkt herrschen und natürlich auch davon ab, wer aus den Ergebnissen welche Interpretationen ableitet.


Beklagen überwindet nichts


Die zuvor genannten Probleme, die heute in politischen oder akademischen Debattenräumen eine Rolle spielen, können als ein Indiz für ein anderes gesellschaftliches Phänomen herhalten. Vielfach wird eine Entsolidarisierung beklagt oder müssen Schlagworte wie soziale Kälte, Ellenbogenmentalität und Egoismustendenzen als Beschreibung allgemeiner Trends herhalten. Vorrangig solche, die an vorderster Front die Auflösung gemeinschaftlicher Gesellschaftsvorstellung bejammern, scheinen jedoch mit ihren identitätspolitischen Appellen gerade zu deren Förderern gehören.


Aus der Kritischen Theorie von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer soll radikales Denken vor allem aus der Isolation und der Unfähigkeit des Menschen zur gemeinsamen Organisation und Interaktion resultieren. Nun spalten eben solche Vorstellungen über die sich immer weiter ausdifferenzierenden Individualvorstellungen Gruppen weiter auf. Identifikationen werden in immer kleiner werdenden Verbindungen gesucht und gefunden. Dazu kommt, dass vor allem die Online-Welt trotz aller Vernetzung offenbar eher Isolationsprozesse fördert, anstatt sie zu unterlaufen.


Wenn die hier aufgemachte Argumentation tatsächlich ein Spiegel für eine gesellschaftliche Entwicklung sein kann, sollte man annehmen, dass wir als Gegenmittel eher sprachliche Abstraktion und reale Gruppeninteraktion benötigen bzw. uns der Bedeutung dieser Einflüsse bewusstwerden müssen. Der allgemeine Trend zeigt jedoch eher in die entgegengesetzte Richtung. Und das Verhalten oder die Vorstellung der Mehrheit bestimmt den Weg, selbst wenn dieser das Leben in seinen Wahrscheinlichkeiten unwahrscheinlicher macht.

Seite 4-5, Kompakt Zeitung Nr. 227

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