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Ich spreche Deutsch:
Hammerschlags- und Leiterrecht

Dieter Mengwasser - Dipl.-Dolmetscher und -Übersetzer

Was soll das sein? Hammerschlags- und Leiterrecht? Nie gehört! Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, Besitzer eines Grundstücks sein sollten, und auf dem Grundstück steht ein Gebäude, und das Gebäude steht auf der Grenze zu einem anderen, benachbarten Grundstück, dann könnte das Hammerschlags- und Leiterrecht für Sie von Bedeutung sein. In unseren geografischen Breiten gibt es Sonne, Wind, Regen, Hagel, Frost, also Wettererscheinungen, die auf Gebäude eine Wirkung ausüben. Eines Tages kommen Sie zu dem Schluss: An dem Gebäude müsste mal etwas getan werden, sonst verliert es seinen Wert und wird gar nutzlos oder verursacht nur Kosten. Der Zugang zur Seite des Gebäudes ist nur über das Grundstück des Nachbarn möglich. Mit dem sind Sie aber schon seit langer Zeit spinnefeind. Ihnen bleibt aber keine andere Wahl mehr. „Lieber Nachbar, ich muss an der Wand des Hauses, das auf der Grenze zu deinem Grundstück steht, Maurerarbeiten verrichten lassen. Dazu ist es nötig, dass die Handwerker einen Teil deines Grundstücks nutzen. Dazu mache ich dir gegenüber mein Hammerschlags- und Leiterrecht geltend.“ Der Nachbar muss den Zugang zu dem betreffenden Gebäude über sein eigenes Grundstück gestatten und auch den Aufbau eines Baugerüsts dulden.

 

Wir wollen und dürfen hier keine Rechtsbelehrung vornehmen. Wir möchten ganz einfach einige sprachliche Wendungen ansehen, die deutsch sind (außer: ‚Emissionen‘ und ‚Immissionen‘), deutsch klingen, aber vielleicht nicht von vornherein von jedem von uns verstanden werden. Weil sie zu einer Fachsprache gehören, zur Fachsprache des Rechtswesens. Auch wenn Sie nicht Besitzerin oder Besitzer eines Grundstücks sind, so sind Sie doch als jemand, der die deutsche Sprache liebt, eingeladen weiterzulesen.

 

Sind Sie berechtigter Besitzer eines Grundstücks? ‚berechtigt‘ bedeutet, dass Sie Eigentümer mit Grundbucheintrag, aber auch Mieter oder Pächter sein können. Von Emissionen haben Sie schon gehört. Das Gegenteil sind Immissionen. Wenn Sie grillen, und der Rauch geht zum Nachbarn hinüber, oder Ihr Sohn mag es, seine heißgeliebte Rap-Musik mit großer Lautstärke zu hören, dann hat Ihr Nachbar Immissionen, auf Deutsch Einwirkungen, und die sind vielleicht nicht ortsüblich. Geregelt ist dies in einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften. ‚einschlägig‘ = zu einem bestimmten Gebiet, Bereich oder Fach gehörend; dazugehörig; für etwas Bestimmtes zutreffend. Hundegebell, Hahnenschreie und der Geruch von Stalldung können in einem typischen Bördedorf ‚ortsüblich‘ sein, im Stadtgebiet von Magdeburg sind sie es sicherlich nicht.

 

Wenn Sie Besitzer eines Grundstücks sind, dann sorgen Sie in der Regel auch für eine Einfriedung. Das kann ein Zaun, ein Gitter, eine Mauer, eine Holzwand oder auch eine Hecke sein. ‚Einfriedung‘, ein Begriff aus dem Rechtswesen. Und es ist sogar möglich, dass Sie einer ‚Einfriedungspflicht‘ unterliegen, nämlich, wenn Sie auf Ihrem Grundstück Hühner halten oder Ihren Hund hier frei herumlaufen lassen. Ein ‚Einfriedungszwang‘ besteht nicht. wenn von Ihrem Grundstück keine Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen. Wenn Sie eine Einfriedung errichten, muss dies auf Ihrem eigenen Grund und Boden geschehen. Eventuell bestehen auch gemeindliche Vorschriften oder gar eine ‚Einfriedungssatzung‘. ‚gemeindlich‘, also von der Gemeinde ausgehende Regelungen. Interessant, dass nicht von ‚kommunalen‘ Vorschriften gesprochen wird! Wände und Mauern können auch ‚halbscheidig‘ auf die gemeinsame Grundstücksgrenze gesetzt werden, also von Ihrer Seite und von der Seite des Nachbarn her.

 

Im Rechtsverkehr wird häufig von ‚etwas geltend machen‘ gesprochen. Sie können, wie oben und in der Überschrift schon gesagt, Ihr Hammerschlags- und Leiterrecht geltend machen, wenn entsprechende Umstände gegeben sind. Zahlreich sind die sinnverwandten Wörter zu ‚geltend machen‘ (Substantiv ‚die Geltendmachung‘ oder ‚das Geltendmachen‘): ‚aussagen‘, ‚angeben‘, ‚behaupten‘, ‚erklären‘, ‚vorbringen‘, ‚ins Feld führen‘, ‚anführen‘, ‚sich berufen auf‘, ‚nennen‘, ‚verweisen auf‘, ‚vorbringen‘, ‚zitieren‘ und andere. Gebraucht wird das Wort hauptsächlich im offiziellen Bereich, als gehobener buchsprachlicher Ausdruck ist es in unserer Alltagsrede kaum anzutreffen. Bei einem Strafverfahren vor Gericht könnten Sie von einem Anwalt hören: „Der Angeklagte machte geltend, er sei vom Geschädigten in der Öffentlichkeit so übel beleidigt und provoziert worden, dass er letzterem einen Faustschlag versetzte.“ Und Unternehmer achten darauf, ihre betrieblich bedingten Ausgaben steuerlich geltend zu machen.

 

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland dürfte uns allen ein Begriff sein. Es gilt für alle Bürgerinnen und Bürger, und alle sonstigen jemals seit Bestehen dieses Staates erlassenen Gesetze müssen in Übereinstimmung mit diesem Grundgesetz stehen. Ein Ausländer, der mit gewissen Kenntnissen der deutschen Sprache in unser Land kommt, könnte in Analogie zu dem ‚Grundgesetz‘ meinen, dass die ‚Grundsteuer‘ eine Art grundlegende Steuer, eine Basissteuer, ist, die jeder Bürger der BRD zu zahlen hat. Woher soll der arme Mensch auch wissen, dass sich diese Grundsteuer auf den Grund und Boden, nämlich auf ein Stück Land, bezieht. Und wenn Sie als Grundstücksbesitzer eine Wand an der Grenze zum Nachbargrundstück errichten wollen, dann kann Ihr Nachbar verlangen, dass diese Wand eine solche Gründung hat, die ihm später einmal keinerlei Schwierigkeiten beim Bau einer eigenen Wand bereitet. ‚Gründung‘, hier nicht eines Vereins oder einer GmbH, sondern es handelt sich um das in den Erdboden eingelassene Fundament. Sollten Sie sich ein Grundstück kaufen oder pachten wollen, dann achten Sie auf eine vielleicht bereits existierende Grunddienstbarkeit. Mit der in einer Vereinbarung geregelten und im Grundbuch eingetragenen ‚Grunddienstbarkeit‘ kann einem anderen das Recht gewährt werden, über das eigene Grundstück den Zugang zu einem fremden Grundstück zu ermöglichen, weil es sonst von öffentlichen Wegen her nicht erreichbar ist.

 

Sprechen wir noch über Sicherheit. Die Polizei sorgt für Ordnung und Sicherheit; in der DDR sollte die Stasi die Sicherheit des Staates garantieren; wenn Sie ein neues technisches Gerät kaufen, dann stehen in der Bedienungsanleitung gleich auf den ersten Seiten die Sicherheitsvorschriften. Bei der Inanspruchnahme des Hammerschlags- und Leiterrechts wird der Nachbar verlangen können, dass Sie Sicherheit leisten. Klar, der Maurer oder Zimmermann soll ja nicht vom Gerüst stürzen. Das ist aber nicht gemeint. Der Nachbar meint damit, dass die Handwerker wahrscheinlich sein schönes Erdbeerbeet zertrampeln, auch der große Apfelbaum muss vorher gestutzt werden… ‚Sicherheit leisten‘ ist im Bürgerlichen Gesetzbuch unter § 232 definiert: (1) Wer Sicherheit zu leisten hat, kann dies bewirken durch Hinterlegung von Geld oder Wertpapieren, durch Verpfändung von Forderungen, die in das Bundesschuldbuch oder in das Landesschuldbuch eines Landes eingetragen sind, durch Verpfändung beweglicher Sachen, usw. usf. ‚Sicherheit leisten‘, eben eine schöne Wendung aus der Sprache der Juristen.

 

Wenn Sie weitergehende Informationen benötigen, dann nehmen Sie das „Nachbarschaftsgesetz Sachsen-Anhalt“ (NbG) vom 13. November 1997, zuletzt geändert am 18. Mai 2010, zur Hand. Aus diesem Gesetz möchten wir zum Abschluss den Satz (1) des § 40 „Ausschluss des Anspruchs auf Beseitigung und auf Zurückschneiden“ in voller Länge anführen. Sie erkennen am Text, liebe Leserinnen und Leser, wie hier der Gesetzgeber bemüht ist, viel Sachverhalt auf wenig Platz unterzubringen.

 

„(1) Der Anspruch nach diesem Gesetz auf Beseitigung von Anpflanzungen, die die vorgeschriebenen Mindestabstände nicht einhalten, ist ausgeschlossen, wenn nicht bis zum Ablauf des fünften Kalenderjahres, das auf das Jahr folgt, in dem die Anpflanzungen die nach diesem Gesetz zulässige Höhe ununterbrochen überschritten haben, Klage auf Beseitigung erhoben worden ist.“

 

Mehrfach verschachtelt ist dieser Satz. Aber meine ganz persönliche Meinung dazu: Vorbildhaft, mustergültig, hervorragend, was das Setzen der Kommas betrifft. Und das steht ganz im Widerspruch zu denen, die da meinen, Kommas sind Nebensache, Hauptsache, der Inhalt stimmt. Ohne Kommas, liebe Freunde, wäre ein solcher Satz gar nicht möglich, er wäre unverständlich.

Seite 17, Kompakt Zeitung Nr. 227

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