Landesverteidigung in Badehosen

Rudi Bartlitz

Das IOC will russische Sportler im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen in Paris zulassen. Nicht nur zwei ukrainische Spitzenathleten, die zurzeit in Magdeburg leben und trainieren, haben etwas dagegen.
Ukraine Schwimm-Top-Star Mychailo Romantschuk in Charkiw: einer seiner letzten Auftritte in der Heimat vor dem russischen Überfall Foto: vitleo

Manchmal lassen sich ganz große Fragen weltweiter Sportpolitik – in diesem Fall die, ob Sportlern aus Putins Aggressorstaat die Teilnahme an Olympia 2024 in Paris erlaubt werden sollte – am Lebensweg einzelner Personen festmachen. Dies ist so ein Fall. Der Fall des Ehepaars Romyna und Mychailo Romantschuk, den beiden ukrainischen Top-Stars. Die eine unter dem Namen Beck-Romantschuk u. a. Europameisterin im Dreisprung, der andere Olympiazweiter im 1.500-Meter-Freistilschwimmen und mehrfacher Europa-Champion. Durch den unsäglichen Überfall Russlands vor nunmehr einem Jahr sind sie regelrecht aus ihrer Heimat gebombt worden. Seither sehen sie sich, neben ihrer Rolle im Hochleistungssport, auch als Kämpfer für ihr Land. Oder wie Romantschuk es bei den Weltmeisterschaften im vergangenen Sommer in Budapest formulierte: Er betrachte das, was er jetzt mache, als Landesverteidigung in Badehosen.


Seither ruhen beide nicht, auch abseits von Hallen und Stadien, auf das Schicksal ihrer Heimat aufmerksam zu machen. Bech-Romantschuk bezeichnet Russland als „einen terroristischen Staat“. Sie will ihrem Land nicht nur Medaillen schenken, sondern vor allem Hoffnung. Ihr Credo: „Ich muss weit springen. Ich springe zuallererst für mein Land, für meine Familie. Erst dann springe ich für mich.“ Der Schwimmer sorgte zuletzt in einem Interview für den Berliner „Tagesspiegel“ für Schlagzeilen. „Für mich waren die Olympischen Spiele immer ein Ereignis des Friedens und der Freundschaft“, so der 26-Jährige. „Ein Aggressorland wie Russland hat kein Recht, an diesen Spielen teilzunehmen.“ Dies sei „absurd“. Er empfahl IOC-Präsident Thomas Bach sogar, in die Ukraine zu reisen und sich selbst ein Bild von den Zerstörungen dort zu machen, auch von Sportstätten.


Hintergrund: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit seinem deutschen Präsidenten Bach hatte zuletzt angekündigt, Wege für eine Rückkehr von russischen und belarussischen Athleten zu internationalen Wettkämpfen zu suchen. Bei Olympia befürwortet das höchste Gremium des Weltsports – nach dem Vorbild von jüngst Tokio und Peking – offenbar wiederum einen Start unter neutraler Flagge und ohne russische Hymne.  Dagegen regt sich zunehmend internationaler Widerstand. Eine Reihe europäischer Regierungen, darunter auch die deutsche, lehnen Bachs Haltung zur Frage der Teilnahme russischer und belarussischer Athleten in Paris ab. Sie wünsche sich keine Sportler aus Russland in ihrer Stadt, erklärte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo dieser Tage, „solange es Krieg gibt“.


„Wir wollen nicht, dass Russen und Belarussen teilnehmen, dabei bleiben wir“, bekräftigte ebenso die hierzulande für den Sport verantwortliche Innenministerin Nancy Faeser (SPD): „Für uns ist es wichtig, auf die Länder Rücksicht zu nehmen, die betroffen sind.“ Gegenüber der Ukraine sei es kaum zu erklären, wenn russische und belarussische Sportler wieder an internationalen Wettkämpfen teilnähmen, auch nicht, wenn sie unter neutralen Bedingungen starteten. „Es wäre kaum vermittelbar, wenn sie auf einmal Seite an Seite mit denjenigen stehen, die ihr Land angegriffen haben.“ Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), und das erstaunt schon, hält hingegen eine Rückkehr von Russen und Weißrussen unter bestimmten Bedingungen für möglich, etwa, wenn Angehörige der russischen Armee ausgeschlossen bleiben; sowie alle, die nicht im üblichen Maß auf Doping kontrolliert wurden.


Sollte das IOC seine starre Haltung beibehalten, erwägt die Ukraine als äußerstes Mittel sogar einen Olympia-Boykott. Ein Schritt, den, so darf vermutet werden, die Romantschuks voll mitgehen würden. Noch aber besteht die Hoffnung, mit internationaler Unterstützung einen Start russischer Athleten in Paris zu verhindern. Und so lange werden sich beide, verheiratet seit 2018, mit aller Hingabe vorbereiten, um ihre Heimat dort möglichst würdig zu vertreten. Und das an einem gemeinsamen Trainingsort: Magdeburg. Denn seit einigen Tagen lebt (und trainiert!) Romyna, nach fast einjähriger Trennung, zusammen mit ihrem Mann in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt. Der war vor elf Monaten an die Elbe gekommen und hatte in einer großartigen solidarischen Geste sozusagen Sportasyl bei seinem eigentlichen (Schwimm)Kontrahenten Florian Wellbrock und dessen Trainingsgruppe von Coach Bernd Berkhahn erhalten. Jetzt wollen die Romantschuks – Mychailo startet inzwischen für den SCM – erst einmal bis Sommer 2024 an der Elbe bleiben.


Inzwischen trainiert die Drei- und Weitspringerin, gecoacht von ihrem inzwischen ebenfalls in Magdeburg lebenden Trainer Wadym Kruschynky, bei den SCM-Leichtathleten. Unkomplizierte Unterstützung kommt ebenso vom Olympiastützpunkt Sachsen-Anhalt. „Wir helfen gern“, betont dessen Chef Helmut Kurrat gegenüber KOMPAKT. „Das gilt vor allem für den medizinischen Bereich wie Physiotherapie und für trainingswissenschaftliche Dinge. Da sind sogar Synergien möglich.“ Eigentlich wollte die 27-Jährige zu Kriegsbeginn in der Ukraine bleiben, als Freiwillige helfen. Schließlich floh sie doch nach Italien, um dort trainieren und Botschafterin für ihr Land sein zu können. Monatelang lebte sie aus zwei Taschen, immer auf der Reise, musste ständig neue Wege finden, um zu trainieren. „Es ist eine harte Zeit für alle ukrainischen Sportler. Du machst Leistungssport, sorgst dich aber jeden Tag um dein Land, deine Familie, deine Freunde.“ Maryna Bech-Romantschuk telefoniert fast täglich mit ihrer Familie, nur vor Wettkämpfen versucht sie, einen freien Kopf zu bekommen. Wenn sie mit ihrer Mutter redet, erzählt sie, ist im Hintergrund oft Raketenalarm zu hören.


Ähnliches geht ihrem Mann täglich durch den Kopf. Bilder von ihm haben sich in die Erinnerung eingebrannt. Wie jene, als er in Budapest während der Siegerehrung immer wieder auf das ukrainische Dreizack-Wappen auf seiner Brust klopfte, lächelte, Tränen runterschluckte und sagte, stolz sei er und zugleich enttäuscht, dass nicht mehr als die Bronzemedaille für ihn und sein Land herauskam: „Aber das Rennen hat gezeigt, dass Ukrainer bis zum Ende kämpfen, egal wie die Lage ist.“

Seite 30, Kompakt Zeitung Nr. 227

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