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Standpunkt Breiter Weg
Mehrheit ohne Vertretung?

Thomas Wischnewski

Wer in seinem Umfeld aufmerksam lauscht, hört vielfach Klagen und Unzufriedenheit mit der Berliner Politik. So hagelt es Kritik an der Ampel-Koalition. Doch die Wurzel des Bürgergrams reicht viel tiefer. Die „Fortschrittsregierung“, wie Kanzler Olaf Scholz sein Kabinett zur Regierungsübernahme taufte, ist nur ein weiterer Ausdruck für erlebte Repräsentanzverluste in der Bevölkerung.


Im Jahr 1990 waren in Deutschland rund 2,4 Millionen Menschen Mitglied in einer der im Bundestag vertretenen Parteien. Inzwischen haben die Parteien von SPD bis AfD nur noch etwa 1,17 Millionen    Mitglieder. Und obwohl sich die Einwohnerzahl Deutschlands durch Migration auf einem Rekordhoch befindet, marginalisiert sich die Kraft an politischer Vertretung. In bester Zeit zählte die SPD über eine Millionen Mitglieder. Heute sind es nur noch 379.000. Die CDU ist von knapp 800.000 vor über 30 Jahren auf 372.000 abgerutscht. Die derzeit einzige Partei mit Mitgliederaufwuchs sind die Grünen, die seit 1990 von der Mitgliederzahl von 41.000 auf nun 126.000 gewachsen sind. FDP und Linke sind ebenso Verlierer. Selbst die AfD verlor seit ihrem bisherigen Hoch mit 35.000 Mitgliedern im Jahr 2019 wieder rund 6.000 Leute.


Gehen die Parteimitgliedszahlen zurück, rücken dafür offenbar zunehmend viele, kleine Gruppierungen in den Mittelpunkt. Sie vertreten in der Regel oft sogenannte Minderheiteninteressen. Finden aber im politischen Raum mit Forderungen und Anliegen Gehör und damit mediale Öffentlichkeit. Ein Übriges erzeugen die sogenannten Sozialen Medien, in denen Partikular-Anliegen einen Stellenwert erzeugen, als wären diese der Weisheit letzter Schluss. 


Dieses vielschichtige Gezerre um Aufmerksamkeit, die Zuspitzung und Betonung angeblicher Dringlichkeit überstrahlen die Normalität. Kein Wunder, dass sich Menschen, die sich im Verständnis in einer Mitte der Gesellschaft sehen wollten, dort nicht mehr sehen können. Der gesetzliche Rahmen für die Organisation des Lebens ist ausgeufert, ausgefranzt und unter Normen-Bergen verschüttet. Für alles braucht man eine Zulassung, ein Zertifikat, eine Genehmigung oder zumindest ein Antragsformular. 


Die Spaltung der Gesellschaft wird den politischen Rändern angelastet, verkennt aber, dass die Zerfaserung vorrangig durch die politische Vertretung von unüberschaubaren Kleininteressen vorangetrieben wird. Dass der Zusammenhalt durch permanente Zwischenrufe Stürme mit gesellschaftlicher Erosionskraft erzeugt. Alles und alle werden aus irgendeiner Ecke ständig infrage gestellt oder sollen sich immerzu verändern. Heute fordern z. B. Vertreter von CDU, SPD, Grünen und FDP wegen der Überlastung von Kommunen eine Migrationsbegrenzung oder gar Grenzschließungen. Dafür wurde man vor kurzer Zeit noch zum Rechtsaußen abgestempelt. Wenn es den verbliebenen Mitgliedern bestimmender Parteien nicht gelingt, die Interessen einer Mehrheit sehen zu können und vertreten zu wollen, werden sie im Trend von Selbstauflösung zermahlen werden. Der Zustand deutscher Politik macht diesbezüglich jedoch wenig Hoffnung.

Seite 2, Kompakt Zeitung Nr. 230

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