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Stadtmensch:
K.O. durch KI?

Lars Johansen

Im Moment scheint unser wichtigstes Thema die Künstliche Intelligenz zu sein. Eigentlich mangelt es nicht an natürlicher Intelligenz, aber da das Bildungssystem sichtbar nicht Schritt halten kann, soll oder will, hat sich eine nur scheinbar neue Entwicklung ergeben, der man schon seit Jahren bei der Entstehung zusehen konnte. Das war kein plötzliches Ereignis, welches uns nun überraschen sollte, sondern absehbar. Die Bildungsarbeit wurde in den letzten 100 Jahren nicht wirklich weiterentwickelt oder gar den gesellschaftlichen Entwicklungen adäquat angepasst. In den meisten Fällen trifft immer noch zu wenig Personal, das Frontalunterricht gibt, auf Kinder, die mit Schulmaterialien traktiert werden, welche sie auf vieles, aber nicht auf das Leben nach der Schule vorbereiten. Denn sie lernen Dinge für eine nicht digitale Welt.


Das mag auch der nach wie vor schwerfälligen Digitalisierung in Deutschland geschuldet sein, doch taugt diese nicht als Ausrede. Man hätte die Ausbildung der Lehrkräfte und damit auch den Schulunterricht massiv verändern müssen, aber das Geld wurde lieber anderenorts investiert. Es fehlt überall an Personal und an Fachkräften noch mehr. Dieses Lamento ertönt ebenfalls schon seit Jahren, aber niemand steuert gegen. Denn das würde bedeuten, einen Haufen liebgewordener Angewohnheiten über Bord zu werfen. Wir müssten zugeben, dass wir uns auf einem Irrweg befinden, umkehren und nach einer besseren Abzweigung suchen. Oder gibt es eine vernünftige Erklärung dafür, dass wir Banken und Kaufhauskonzerne wie „Galeria“ weiterhin stützen, obwohl sie keine Zukunft und ihre Schieflage selbst verursacht haben, statt das Geld, welches wir dort sinnlos verbrennen, vernünftig anzulegen. Und was könnte besser sein als in die Zukunft zu investieren? Die Zukunft sind auch nicht Autobahnen und Innenstadttunnel, sondern Ausbildung und Digitalisierung. Dabei müssen wir auch die Angst vor der Künstlichen Intelligenz ablegen, sondern sie effizient zu nutzen lernen. Experten schätzen, dass ein Viertel der weltweiten Arbeitsplätze durch diese überflüssig werden.


Ein Großteil der Ämter wird zukünftig unnötig sein und Ressourcen für Wichtiges frei werden. Sorgen müssen sich nur diejenigen machen, die „Content“ produzieren und nicht wirklich etwas Inhaltliches beizutragen haben. Juristen werden, wie Bankberater, nur noch in Ausnahmefällen benötigt. Autonomes Fahren wird bald schon Berufskraftfahrer ersetzen. Das sind alles ehrenwerte Berufe, die aber ebenso wie Kutscher, Speerwerfer, Kohlenträger und Lumpensammler demnächst auch Geschichte sein werden. Die postindustrielle Informationsgesellschaft ist nicht länger Zukunft, sondern schon lange genug Gegenwart, um das endlich einmal zu akzeptieren. Keine Angst, Handwerk hat immer noch goldenen Boden und sinnvoller als eine Banklehre oder ein Jurastudium ist es alleweil, dort eine Ausbildungsstelle zu suchen. Und auch Pflegeberufe werden nur bedingt von der künstlichen Intelligenz betroffen sein. Helfen kann diese gewiss auch, aber Menschen sind dort auch auf lange Sicht nicht zu ersetzen. Der Markt für Influencer dagegen ist übersichtlicher als viele heute meinen, denn dort werden keine Menschen gebraucht, wenn es perfekte Avatare letztendlich genauso hinbekommen.


Innovation aber und clevere Ideen, Denken abseits eingefahrener Strukturen und empathische Intelligenz dagegen werden auch in Zukunft gefragt sein. Mittelmaß kann die künstliche Intelligenz besser. Es wird nicht leichter werden, ganz gewiss nicht, und die ethischen und moralischen Konsequenzen dieser Entwicklungen sind bei weitem noch nicht absehbar. Aber wir sollten das nicht negativ sehen, sondern als die große Herausforderung begreifen, die tatsächlich auf uns wartet. Fast zwanzig Jahre Merkel waren wie am Ende des 20. Jahrhunderts 16 Jahre Kohl eine behäbige Zeit, in der verschlafen wurde, was längst Realität geworden ist. Konservative helfen in diesen Zeiten nicht weiter, außer sie erkennen, dass konservativ zwar wichtig ist, weil auch Strukturen erhalten werden müssen, aber Änderungen notwendig sind. Immer wenn ich den Montagsdemonstranten zuhöre, wird mir klar, was falsch läuft. Sie sehnen sich nach einer Vergangenheit, in der sie noch alles problemlos verstanden haben. Sie sind mit der Gegenwart überfordert und für die Zukunft nicht bereit. Nicht alles wird besser werden, aber anders. Und das Andere müssen wir lernen, zu akzeptieren. Es verschwindet nicht, wenn wir die Augen schließen oder lautstark die Vergangenheit zurückfordern. Es ist wie nach einer Trennung von der Liebsten. Natürlich möchte ich sie gerne zurück, aber ich muss akzeptieren, dass die gemeinsame Zeit vorbei ist. Je eher ich das einsehe, umso besser ist es für mein Seelenheil.


Als vor zwei oder drei Jahren ein Computer einen Menschen beim Schach besiegte, fiel das niemandem auf, denn es war schon oft vorgekommen. Aber es war der erste Computer, der nicht von Menschen programmiert worden war, sondern der sich das Schachspielen selber beigebracht hatte. Diese Sensation lief ohne Schlagzeilen ab, aber ich erinnere mich daran, wie ich innehielt und ein wenig ängstlich wurde. Sie brauchen uns nicht mehr, diese Maschinen. Aber wir brauchen sie, mehr denn je, wenn wir für die Zukunft gerüstet sein wollen. Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, dann müssen wir die künstliche Intelligenz endlich akzeptieren. Und das bedeutet eben auch, dass wir uns ändern müssen. So wie wir irgendwann von den Bäumen gestiegen sind, irgendwann begonnen haben, aufrecht zu gehen, Werkzeuge zu benutzen, Häuser zu bauen und Felder zu bestellen. All das waren auch Evolutionsstufen. Und die nächste erleben wir gerade mit. Wenn wir uns weigern, dann findet sie trotzdem statt. Und nur wenn wir uns nicht weigern, können wir beeinflussen, wie sie sich entwickelt. Es liegt an uns.

Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 230

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