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Saatgut zwischen Wissenschaft und Bioromantik

Prof. Dr. Reinhard Szibor

Über kaum ein anderes Thema wird so kontrovers und emotional diskutiert, wie über Saatgut. Wissenschaft und Bioromantik liegen im Widerstreit. Sachsen-Anhalt spielt als Standort einer wissenschaftsbasierten Pflanzenzüchtung historisch und aktuell eine hervorragende Rolle.

Wussten Sie, dass wir in Sachsen-Anhalt stolz darauf sein dürfen, dass bei uns Pionierarbeit zur Saatzucht geleistet wurde und wird? Die Wiege der wissenschaftsbasierten Saatzucht steht in der Magdeburger Börde. Nun gut, die grundlegende Forschung dafür wurde in Böhmen geleistet. Die Geschichte der Genetik begann 1856 in Brünn, als Gregor Mendel seine Experimente ausführte. Damit schuf er die Basis der modernen Pflanzenzucht. Aber schon zuvor hatten Menschen Pflanzen selektiert, um bessere Sorten zu erhalten. Mit dem Einzug der Genetik wurden Pflanzen gezielt miteinander gekreuzt, um Eigenschaften, die ursprünglich auf verschiedenen Pflanzenlinien verteilt waren, in neuen Sorten zu vereinen.


Vor rund 1.000 Jahren nahm die Pflanzenzucht in unserer Region im Quedlinburger Domstift ihren Anfang, aber im 19. Jahrhundert nahm sie volle Fahrt auf. Im östlichen Harzvorland herrschen ideale Bedingungen für die Samenzucht. Im Regenschatten des Gebirges gibt es im Jahresmittel eine hohe Sonnenscheindauer und trockene Spätsommer. Zudem finden sich hier gute Böden. 1865 gab es in Quedlinburg 71 selbstständige Samenbauern, aber drei besonders erfolgreiche Firmen verdrängten schrittweise die kleineren vom Markt. Zunehmend eroberten die Quedlinburger Sämereien den Weltmarkt. Anfang des 20. Jahrhunderts belief sich der jährliche Saatgutabsatz auf 50.000 Tonnen. Allerdings bemisst sich der Wert des Saatgutes nicht nur nach dem Gewicht. Z. B. übersteigt ein Gramm des Samens einer Hybrid-Tomate den Preis eines Gramm Goldes um ein Mehrfaches, hingegen kostet eine Dezitonne eines Getreidesamens gerade mal zwischen 100 und 200 Euro. 


In der Saatguttradition Quedlinburgs sind große Namen zu nennen. Die Firma Martin Grashoff wurde 1771 erstmalig erwähnt und 1929 unter dem Namen A. Grussdorf neu gegründet. Sie bestand bis in die DDR-Zeit. Zu den erfolgreichsten Betrieben gehörte die Firma Heinrich Mette. 1787 gegründet, befasste sie sich ursprünglich mit der Züchtung von Gemüse- und Blumensamen, später trat an die erste Stelle die Zuckerrübenzüchtung. Die Firma gilt als Wegbereiter der deutschen Saatgutwirtschaft. Um die Jahrhundertwende beackerte sie ca. 1.000 ha, davon 100 ha Zuchtgärten. Das Sortiment von Nutz- und Zierpflanzen umfasste etwa 4.000 Arten und Sorten. 1945 erlosch die Firma durch Enteignung.


Ebenso grandios war die Geschichte des 1850 gegründeten Betriebes der Gebrüder Dippe. Um die Jahrhundertwende deckte die Firma Dippe fast 20 Prozent des Weltbedarfs an Zuckerrübensamen. Der Betrieb produzierte auf etwa 3.000 ha Saatgut von Zuckerrüben, Getreide, Gemüse, Kräutern sowie Blumen und beschäftigte etwa 1.800 Angestellte. Im Firmenkatalog von 1905/06 wurden 98 Sorten landwirtschaftlicher Pflanzenarten, 780 Gemüsesorten und 3.600 Zierpflanzen angeboten. Ab dem Jahr 1915 waren es mehr als 2.500 Beschäftigte, die eine Fläche von etwa 5.000 ha bewirtschafteten und ca. 15.000 Tonnen Saatgut für den weltweiten Markt produzierten. Obwohl das Unternehmen einen hoch entwickelten Sozialplan für seine Mitarbeiter entwickelt hatte, wurden die Besitzer 1945 enteignet. Ihnen gelang die Flucht und Ansiedlung der Firma Gebr. Dippe GmbH in Herford bzw. später in Salzuflen. Das Kapitel „Pflanzenzüchtung in Quedlinburg“ ist viel zu umfangreich, als dass man es in diesem Artikel angemessen würdigen könnte. Abschließend erwähnt sei nur, dass es hier u. a. ein Julius-Kühn Institut (JKI) gibt, das die Quedlinburger Forschungstradition auf höchstem Niveau fortsetzt.

 

Saatzucht überall in der Magdeburger Börde

 

Aus dem Spektrum aller Saatzuchtbetriebe der Börde sollen nur einige Leuchttürme genannt wer-den. Für moderne Weizenzüchtung steht der Standort Hadmersleben. Auf dem Landbesitz des dortigen Klosters begründete Ferdinand Heine jun. (Sohn des berühmten Halberstädter Ornithologen Ferdinand Heine sen.) durch neue Sorten bei Getreide, Zuckerrüben, Kartoffeln und Hülsenfrüchten ab 1889 den Weltruhm der Hadmersleber Pflanzenzüchtung. So entstanden die berühmten Hadmersleber Hochzuchtsorten bei Weizen, Gerste und Hafer, für die Heine auf den Weltausstellungen 1894, 1900, 1904 und 1913 den Grand Prix erhielt. Nach wechselvoller Geschichte wurde der Standort Hadmersleben 2015 in die „Syngenta Seeds GmbH“ integriert. Hier handelt es sich um einen weltumspannenden Saatzuchtkonzern mit Hauptsitz in Basel. Mit dem vorhandenen Wissens-kapital zählt Hadmersleben zu den führenden Weizen-Standorten in der Welt. Hier ist auch das Zentrum für die Hybridweizen-Züchtung in Mitteleuropa.


In der Getreidesparte siedelt sich auch die Firma Nordsaat an, mit ihrem Hauptsitz in Halberstadt (OT Langenstein). Das Unternehmen geht zurück auf Karl von Schultz aus Granskevitz auf Rügen. 1910 gründete er den Betrieb. 1946 kam es zur Enteignung. Das international erfolgreiche Unter-nehmen Nordsaat ist jetzt in der Börde angesiedelt. Es besitzt eine hohe Expertise auf dem Getreidesektor. 


Eine beispiellose Erfolgsgeschichte hat das Unternehmen KWS (Kleinwanzlebener Saatzucht, vormals Rabbethge & Giesecke AG) hingelegt. Der Landwirt Matthias Christian Rabbethge erkannte früh die Potenziale im Rübenzuckergeschäft. Er begann als Erster in Deutschland mit der systematischen Züchtung von Zuckerrüben und legte so den Grundstein für den Erfolg. Nach dem zweiten Weltkrieg flüchtete das Unternehmen aus der sowjetischen Besatzungszone und verlegte den Firmensitz nach Einbeck. Heute ist die KWS weltweit erfolgreich, hat über 40 Tochtergesellschaften und auch wieder eine Niederlassung in Klein Wanzleben. In den USA wird die glyphosatresistente Zuckerrübe H7-1 der Firma KWS auf 95 Prozent der dortigen Anbaufläche (ca. 475.000 ha) kultiviert. Der Einsatz von Agrochemikalien für diese Kultur beträgt nur ein Bruchteil von dem, was man bei uns auf konventionellen Rübenfeldern zur Unkrautbekämpfung ausbringt. Aber H7-1 ist mittels Gentechnik geschaffen. Deshalb ist die umweltfreundlichste Form des Rübenanbaus, den das KWS-Produkt ermöglicht, in Deutschland verboten. Man spritzt bei uns lieber mehr Chemikalien, als dass man eine ideologische Positionierung aufgibt.

 

Das IPK in Gatersleben

 

Diese Forschungsstätte kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Sie wurde 1943 in Wien als Kaiser-Wilhelm-Institut für Kulturpflanzenforschung gegründet, zog 1948 nach Gatersleben und wurde in die Akademie der Wissenschaften der DDR eingegliedert. Die Neugründung von 1992 als Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) war zugleich ein Bekenntnis zur Kontinuität als auch ein Aufbruch. In den 80 Jahren des Bestehens hat sich das Institut zu einem weltweit führenden Pflanzenforschungszentrum entwickelt. Das inkludiert auch die DDR-Zeit. Das IPK verfügt über modernste Ausstattungen, in der Pflanzen unter kontrollierten Umweltbedingungen kultiviert und jegliche denkbaren Klimabedingungen simuliert werden können. Natürlich beherrscht man hier auch alle aktuellen Techniken, mit den man Pflanzengenome analysieren und optimieren kann.


Von unschätzbarem Wert ist auch die Genbank. Sie zählt mit einem Gesamtbestand von mehr als 150.000 Mustern aus knapp 3.000 Arten weltweit zu den bedeutendsten Einrichtungen ihrer Art und bewahrt somit einen der größten Schätze der Natur und der Zivilisation. Weltweit können hier Züchter und sogar interessierte Laien Samen von Wildpflanzen und alten Kultursorten nahezu kostenfrei beziehen. 


Insgesamt entwickeln die Wissenschaftler in Gatersleben Kulturpflanzen, die an die sich verändernden Umwelt- und Klimabedingungen angepasst sind und zudem eine Reduzierung der landwirtschaftlichen Klimagasemissionen ermöglichen. Schade nur, dass die Grünen und die übrigen linken Parteien, übrigens im Einklang mit der AfD, den Anbau solch klimafreundlicher und umweltschonender Kulturen verbieten, weil sie durch Gentechnik entstehen.

 

„Bitterböse“ Saatzüchter!

 

Jahrzehntelange Selektion und Eingriffe in die Pflanzengenome haben zu Sorten geführt, die überwiegend gut schmecken, ertragreich und weitgehend krankheitsresistent sind. Zusätzliche Zuchtziele sind gute Ernte- und Transportfähigkeit. Von historischer Bedeutung war die erste mähdrescher-kompatible Kurzstroh-Weizensorte „Heine7“ von der oben erwähnten Firma Heine. Es ist züchterisch sehr schwierig und langwierig, mit den traditionellen Methoden alle gewünschten Eigenschaften in einer Sorte zu vereinen. Bei dem Bemühen, viele nützliche Eigenschaften in einer Sorte zu integrieren, ist es in der Vergangenheit verschiedentlich geschehen, dass die Geschmacksqualität zu kurz gekommen ist. Das spürt man gelegentlich bei den handelsüblichen Äpfeln. Um bei der Züchtung schnell voranzukommen, müsste man die modernen Biotechnologien anwenden dürfen. Die Methoden sind vorhanden, aber anwenden darf man sie bei uns nur für Forschungszwecke, nicht für die Produktion. So bauen wir in Deutschland auch weiterhin suboptimale Sorten an. 


Die ursprünglichen Pflanzensorten, die mit dem Prädikat „natürlich“ versehen werden, können die Menschheit nicht ausreichend ernähren. Das geht nur mit Hochleistungssorten. Die aber haben bei uns einen schlechten Ruf. In der öffentlichen Meinung geht der Trend zu „Bio“. Naturbelassen und „unverzüchtet“ sollen unsere Lebensmittel sein, heißt es. Und die Zuchtbetriebe, insbesondere die großen Konzerne wie Bayer, Syngenta, Monsanto und BASF würden am Bedarf der Menschen vorbei und nur profitorientiert züchten. Sie entzögen ihre Produkte durch Sortenschutz und Patente der Nachvermehrung und zwingen die Bauern zu immer neuem Einkauf. Saatgut gehöre aber der Allgemeinheit, so das Narrativ. Erinnern wir uns: In jeder anderen Branche gilt es als Selbstverständlichkeit, dass man etwa Bücher, CDs und andere Kreationen nicht einfach kopieren darf, sondern dass man, wenn man es tun will, Lizenzen erwerben muss. Für neue Pflanzensorten, in deren Entwicklung man Tausende oder sogar Millionen Euro bzw. Dollar investiert hat, soll das nach Meinung vieler Nichtregierungsorganisationen und der Mainstreampresse nicht gelten. Was den Saatgutherstellern von all den grün-rot-geprägten Moralisten besonders negativ angekreidet wird, ist auch, dass sie Hybridsorten herstellen. Es lohnt sich nicht, diese selbst zu vermehren, weil die guten Eigenschaften schon in der 2. Generation verloren gehen. Was den Saatgutfirmen als Gemeinheit angekreidet wird, hat aber nichts mit böser Absicht, sondern allein mit biologischen Gegebenheiten zu tun.

 

Warum eigentlich Hybridsorten?

 

Um Hybridsorten zu erhalten, werden zwei verschiedene reinerbige Linien der gleichen Art gekreuzt. Solche erhält man durch Inzucht, d. h. man befruchtet Sorten über mehrere Generationen immer wieder mit sich selbst. Kreuzt man dann solche Inzuchtlinien miteinander, stellt sich der sogenannte Heterosiseffekt ein. Die erste Tochtergeneration (F1) bringt in der Regel 30 bis 50 Prozent mehr Ertrag. Etwa 60 bis 80 Prozent unseres Gemüses beruhen auf Hybridzüchtungen. Auch Mais und ein Teil der Getreidefelder nutzt Hybridsorten, obwohl bei Letzterem die Züchtung kompliziert und teuer ist. Verzichtet man auf den Anbau von Hybridsorten, erntet man ca. 30 bis 50 % weniger. In der konventionellen Landwirtschaft nennt man so etwas Missernte. Der ökologische Vorteil der Landwirtschaft, die Hybride anbaut, ist der hohe Mehrertrag, der es erlaubt, im Gegenzug 5 bis 10 Prozent der Flächen für ausschließlich ökologische Ziele brachliegen zu lassen. Das kann sich der „biologische Anbau“, insbesondere Demeter, der Hybridsorten verteufelt und gewissermaßen eine staatlich subventionierte Missernten-Landwirtschaft ist, nicht leisten! Trotzdem gilt vielen NGOs und der Mainstreampresse Demeter als vorbildlich und die Züchtung und der Verkauf von Hybridsaatgut als verwerflich.

 

Saatgutrevolution zum Wundern

 

Kürzlich „beglückte“ uns die ARD in den Tagesthemen mit der aus ihrer Sicht frohmachenden Nachricht: „Ein Dorf in Mecklenburg-Vorpommern will Keimzelle einer Saatgutrevolution werden. In Rothenklempenow arbeiten junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Landwirtschaft der Zukunft.“ Junge Leute sind von Berlin nach Mecklenburg gegangen um dort „Alte Sorten“ von Kulturpflanzen anzubauen. Moderne Sorten und Hybridsaatgut sollten ausgeschlossen werden. Was würden wir wohl sagen, wenn junge Ingenieure beschließen würden, den Computer oder den Taschenrechner aus einem neuen Unternehmen zu verbannen und stattdessen wieder den guten alten Rechenschieber und den Abakus, bei denen man zum Rechnen auf Stäbe aufgefädelte Kugeln verschiebt, einzuführen? Wir würden nicht von einem Zukunftsunternehmen sprechen! Aber in der Landwirtschaft ist ein Zurück zur Romantik angesagt. Da vereinen sich gern naturwissenschaftliche Unkenntnis mit deutschem missionarischen Weltrettungseifer. Wertvolle Flächen werden mit Niedrig-Ertrag-Sorten bestellt und unser Fernsehen lobt das als Landwirtschaft der Zukunft und redet über modernen Landbau abfällig.


Anders übrigens in China: Als dort 2021 der Agrarwissenschaftler Yuan Longping starb, trauerte das ganze Land und die Medien lobten ihn als „Vater des Hybrid-Reises“ und somit als Nationalhelden. Ihn kennt in China jedes Kind, denn seine Bedeutung wird in den Schulbüchern ausführlich dargestellt: Longping ist es zu verdanken, dass die Menschen keinen Hunger mehr leiden müssen, so die Botschaft. Wie die erwähnte ARD-Sendung zeigt, wäre in unseren Medien ein mehrheitliches Lob für einen modernen Saatgutzüchter kaum vorstellbar. Aber man kann China und Deutschland kaum vergleichen. China hat eine der ältesten Zivilisationen und Hochkulturen der Menschheit und hat die verhängnisvolle Mao-Zedong-Epoche überwunden. In geschichtlichen Dimensionen gesehen, war Deutschland bis vor kurzem ein Waldgebiet, das auf eine gerade mal tausendjährige Geschichte der stetigen Modernisierung zurückblicken kann. Aber die geht gerade zu Ende. Die ehemals Mao-Bibel-schwenkenden 68-iger haben ihren angekündigten „Marsch durch die Institutionen“ erfolgreich absolviert und bestimmen nun schon in der 2. Generation die gesellschaftlichen Prozesse im Land.

Seite 4-5, Kompakt Zeitung Nr. 230

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