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Gedanken- & Spaziergänge im Park:
Tugendwächter, Segeln & Die Zeit

Paul F. Gaudi

Eigentlich hat man den Eindruck, dass es den Spießbürger kaum noch gibt, bzw. dass er nicht tonangebend wäre. Strenge bürgerliche Formen sind weitestgehend abgeschafft und viele benehmen sich so, wie ihnen gerade zumute ist. Die Regeln sind heute viel weiter und toleranter als noch vor 50 Jahren, vom 19. Jahrhundert ganz zu schweigen. Der Spießer mit seiner kleinkarierten Ordnungssucht, mit stets anklagebereiter Aufgeregtheit und eingebildeter Besserwisserei hätte eigentlich in einer nahezu alles zulassenden Gesellschaft keine Existenzberechtigung mehr und könnte sich nur noch am Stammtisch oder im engsten Familienkreis behaupten, ähnlich wie Alfred Tetzlaff aus der Fernsehserie „Ein Herz und eine Seele“. Welch ein Irrtum! Statt am Stamm- oder am häuslichen Küchentisch dahinzuvegetieren, tönt er laut und rechthaberisch in aller Öffentlichkeit und ist ein Massenphänomen geworden. Sein neuer Stammtisch heißt Internet mit den sogenannten „sozialen“ Medien wie Facebook oder Twitter. Außerdem sitzt er nicht mehr im Unterhemd und mit Hosenträgern am Küchentisch, sondern mit seiner Besserwisserei in mancher Redaktion oder manchem Entscheidungsgremium. Der Spießer hat Karriere gemacht. Allerdings nennt man ihn nicht mehr Spießer, sondern neudeutsch-denglisch einen „Woken“, also einen Wachen. So wie der Spießer sich früher um Anstand, Ruhe und Ordnung sorgte, so kümmert sich der selbsternannte Wache – man sollte ihn besser Wächter nennen – um politische Korrektheit und Diskriminierungen, um sogenannte kulturelle Aneignungen und ähnliches. Was er beklagt, betrifft ihn meist nicht selbst, sondern er wacht ungebeten für andere, auch wenn diese sich gar nicht betroffen fühlen und meinen, durchaus gut für sich selber sorgen zu können. Dieses Verbots- und Vorschriftsdenken macht oft den Eindruck von kompromissloser und aggressiver Absolutheit und Verständnislosigkeit, selbst wenn es gut gemeint ist. Aber, wie Karl Kraus schon feststellte, ist gut gemeint das Gegenteil von gut gelungen.

 

Mutter-Tänze

 

Verrücktes leisteten sich die Sprachspießer der ARD am 1. April: In einem Online-Bericht über einen Gesetzesentwurf des Bundesfamilienministeriums, in dem es darum ging, dass nach der Geburt eines Kindes nicht nur die Mutter, sondern auch der andere Elternteil Sonderferien bekommen soll. Das Wort „Mutter“ wurde aber dabei nicht verwendet, sondern statt „Mutter“ wurde von „entbindender Person“ gesprochen! Wörtlich hieß es: „Der Partner oder die Partnerin der entbindenden Person soll künftig zwei Wochen nach der Geburt freigestellt werden.“ Trotz des Datums handelte es sich dabei nicht um einen Aprilscherz! Auf Nachfrage einer Zeitung, warum das Wort Mutter nicht gebraucht wurde, antwortete die Redaktion: „Der Begriff wurde gewählt, um niemanden zu diskriminieren.“ Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Eine Mutter als Mutter zu bezeichnen, soll die Gefahr einer Diskriminierung beinhalten? Wer, bitte, sollte sich dadurch diskriminiert fühlen? Eher erscheint es doch selbst als eine Diskriminierung aller Mütter, eine Mutter nicht Mutter nennen zu dürfen. Als weiterer Skandal kommt hinzu, dass die Redakteure offensichtlich der deutschen Sprache bezüglich des geburtshilflichen Wortschatzes nicht mächtig sind. Gerd dozierte: „Die „entbindende Person“ ist nämlich die Hebamme oder ein Geburtshelfer. Die Hebamme entbindet die Frau, die werdende Mutter wird entbunden. Die Frau gebärt oder gebiert (beides ist möglich), ein Kind wird geboren. So viel zur Richtigstellung.“ „Vielleicht weiß das nicht jeder?“ „Mag sein. Aber von einem Redakteur einer großen TV-Redaktion muss man das erwarten können. Ich habe eher den Eindruck, dass hier einer der neuen Ideologie-Spießer am Werk war, der Mutter für einen überlebten und nonbinären Begriff hält und streichen möchte.“ „Dann können wir nur beten, dass aus dem wundervollen Begriff Muttersprache nicht die „Sprache gebärender Personen“ wird!“

 

„Weltreise mit dem Narrenschiff“

 

Tugendwächter kommen oft zu eigentümlichen Beschlüssen, wie jüngst bei der Planung kultureller Programme auf der BUGA in Mannheim. Dort gibt es seit über 40 Jahren eine Tanzgruppe älterer Damen zwischen 60 und 85 Jahren der Arbeiterwohlfahrt, die als Amateure bei Straßenfesten und anderen Gelegenheiten öffentlich auftreten. Für die kommenden Wochen waren jetzt unter dem Motto „Weltreise mit dem Traumschiff“ verschiedene Tanzeinlagen mit insgesamt 14 verschiedenen Kostümen aus aller Welt vorgesehen. Man möchte es kaum glauben, aber die Organisatoren der BUGA nahmen Anstoß an den Kostümen, weil das „kulturelle Aneignung“ sei und das Ballett sollte die spanischen Flamenco-Kostüme, den orientalischen Tanz, den mexikanischen Tanz mit Sombreros und Ponchos, den japanischen Tanz mit Kimonos, den indischen mit Saris und den ägyptischen Tanz, in dem sie als Pharaoninnen verkleidet sind, nicht zeigen. Man kann es kaum fassen. Der Spott über diesen Beschluss war so groß, dass das Programmkomitee zurückruderte und das Ballett doch zuließ, allerdings mit der Auflage ein paar Kostüme zu verändern. Außerdem soll nach der Vorstellung eine Diskussionsveranstaltung zum Thema stattfinden. Vielleicht sollte dieses Ballett besser in „Weltreise mit dem Narrenschiff“ umbenannt werden?


„Apropos Narrenschiff“, sagte Gerd, „die Schiffsführung unseres Narrenschiffes hat entschieden, den starken Atomantrieb unseres stattlichen Schiffes abzuschalten und über Bord zu werfen. In Kürze wird dann auch noch die alte Dampfmaschine rausgeschmissen.“ „Und dann?“ „Na, ganz einfach, unser Narrenschiff setzt Segel.“ „Aber dann überholen uns doch alle anderen Dampfer! Und wenn der Wind nicht weht?“ „Dann müssen eben alle Passagiere in die Rettungsboote und fleißig rudern und den lahmen Kahn ins Schlepptau nehmen. Im Klartext: mehr Steuern zahlen und weitere Einschränkungen in Kauf nehmen.“ „Bloß gut, dass das nur ein bildlicher Vergleich ist. Aber sicher ist, es wird teuer. Und ob wir je da ankommen, wo wir, also das Volk, bzw. die Passagiere in deinem Bild, hinwollen, das steht in den Sternen.“ Das Verrückte an der Sache ist, dass Habeck bei seinem Ukraine-Besuch die dortigen Kernkraftwerke ganz in Ordnung fand. „Sie sind nun mal gebaut und solang sie sicher laufen, ist es gut“, sagte er. Das nennt man Zwiedenken, wie es George Orwell in seiner beklemmenden Vision eines totalitären Staates „1984“ beschrieben hat. Habeck forderte von dort aus die deutsche Wirtschaft auf, in der Ukraine zu investieren. Käme es durch russische Angriffe zu Schäden, würde Deutschland dafür haften, also wir Steuerzahler!  Mit anderer Leute Geld kann man gut großzügig sein. Oder wie es im altdeutschen gepfefferten Spruchbeutel (Eulenspiegelverlag 1957) heißt: „Auf eines fremden Mannes Arsch ist gut durchs Feuer reiten“.

 

Zeit-Zufälle

 

Die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ scheint den exklusiven Anspruch aufgegeben zu haben, den sie zu den Zeiten hatte, als noch die Gräfin Dönhoff oder Helmut Schmidt zu ihren Herausgebern gehörte. Kürzlich erschien ein Artikel über den Chef des Springer-Verlages Matthias Döpfner, in dem Auszüge aus seinen privaten Mails und Gesprächen kolportiert wurden, die – wie auch immer – zu den Zeitredakteuren gerieten. „Die Zeit“ hat sich mit diesem Artikel auf das Niveau des Boulevardjournalismus herabbegeben. Sicher, die veröffentlichten Äußerungen Döpfners sind einseitig und krass. Öffentlich würde er das sicher nie äußern. Aber wenn man verdeckte Mikrophone bei ganz privaten oder Vier-Augen-Gesprächen von Zeit-Journalisten oder Politikern aufstellen würde, dann würde man vermutlich auch allerlei extreme Bemerkungen hören, die sonst aus guten Gründen ungesagt blieben und die meist nicht ihr Handeln bestimmen. Irgendwo müssen sich auch prominente Personen freimachen dürfen von den Zwängen des politisch korrekten Redens. In dem Moment sind sie natürlich angreifbar, aber sie erscheinen uns dann menschlicher, als wenn sie nur wie ein Politautomat die üblichen Sprechblasen von sich geben. Die Frage ist aber, warum macht die Zeit das? Ist es eine persönliche Abrechnung mit Döpfner oder Konkurrenzkampf zwischen zwei Medien? In manchen Themen haben die „Welt“ und die „Zeit“ völlig gegensätzliche Standpunkte. Gerd meint sogar, dass es ein Marketing-Trick wäre. Denn genau eine Woche nach dem Schlüssellochartikel der „Zeit“ stellte Stuckrad-Barre seinen neuen Roman „Noch wach“ vor, der ebenfalls ein „Enthüllungsroman“ über den Medienkonzern Axel Springer sein soll. Welch ein Zufall! Ein Schelm, der Arges dabei denkt. Übrigens machte Gerd bei diesem Thema eine interessante Entdeckung: Seit ca. zehn Jahren gibt es in der Zeit die Beilage „Zeit im Osten“, die nur in den Ostbundesländern erscheint. Interessant ist, dass es seit 2008 und 2009 in Österreich und der Schweiz entsprechend benannte Beilagen (Zeit in Österreich, bzw. in der Schweiz) gibt, aber nicht z. B. entsprechende Ausgaben für Bayern oder Niedersachsen. Sind wir hier in Ostdeutschland etwa ebenso wie Österreich und die Schweiz für „Die Zeit“ so etwas wie deutschsprachiges Ausland und nicht so richtig zu Deutschland gehörig?

Seite  8, Kompakt Zeitung Nr. 231

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