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Stadtmensch:
Eine würdige Kulturindustrie

Lars Johansen

Ich bin kein Fan von Til Schweiger. Seine Filme sind, meiner Ansicht nach, unerträglich. Der Humor neigt zu einer gewissen Stupidität und seine schauspielerische Leistung ist mit überschaubar relativ positiv beschrieben. Das sei vorweg gestellt, um einordnen zu können, um was es mir geht.


Nun hat der SPIEGEL aufgedeckt, dass es bei seinen Dreharbeiten nicht nett zugeht. Er soll betrunken herumpöbeln und sogar zu körperlicher Gewalt neigen, wenn er zu viel intus hat. Das ist natürlich unschön und ich möchte auch nicht beginnen, den Mann zu verteidigen. Aber, jetzt kommt doch ein großes Aber: Das zeigt vor allem, dass er keine wirklichen Freunde auf seinen Filmsets zu haben scheint. Diese nämlich würden ihm nett, aber klar sagen, dass er ein Problem hat.


Alkoholismus ist mittlerweile als Krankheit erkannt und muss auch als solche behandelt werden. Suchtkranke sind nicht Herren ihrer selbst. Und Fürsorgepflicht sollte dazu führen, dass er in diesen Momenten vom Drehort ferngehalten wird. Wenn sich niemand traut, ihm das zu sagen, weil er ja auch angeblich „Imperator“ genannt wird und sich ebenso verhält, dann ist das Problem umso größer. Aber es ist auch nicht neu, dass in der Kulturbranche Alkohol und andere Drogen durchaus zum Tagesgeschäft gehören. Das ist beim Film nicht anders als in der Musik und beim Theater. Das künstlerische Genie greift eben gerne mal zur Droge und dieser Griff wird gesellschaftlich nicht sanktioniert. Er ist Teil des Geniekults, der   spätestens seit Goethe in der deutschen Kulturrezeption herumgeistert. Die Normalität der Sucht in diesem Bereich hat seine Wurzeln in dem tiefsitzenden Narzissmus der allermeisten Akteure. Psychisch stabile Persönlichkeiten stellen sich nicht auf Bühnen oder vor Kameras, jedenfalls in den allermeisten Fällen nicht. Wer sich da hinstellt, und da mag ich auch mich nicht ausnehmen, hat ein Problem mit sich. Er ist abhängig von dem Applaus ihm wildfremder Menschen, denen er zu gefallen sucht. Oder die er zu provozieren versucht, aber er braucht eine Reaktion von außen auf sein Handeln, um sich spüren zu können. Das ist dem Schauspielberuf inhärent und für ihn auch notwendig. 


Normal im klassischen Sinn ist das aber nicht. Diese psychische Disposition ist immer eine virile, sie ist leicht zu erschüttern. Ablehnung kann Katastrophen auslösen. Der Griff zur Droge muss da als schnelle Lösung herhalten. Natürlich nehmen nicht alle künstlerisch tätigen Menschen Drogen, aber sie sind mehr als andere gefährdet, es zu tun. Künstlerische Arbeit unterliegt einem unvorstellbaren Druck, denn immer wieder wird hier auch die eigene Persönlichkeit zur Disposition gestellt. Ein künstlerisches Scheitern ist immer auch ein persönliches Scheitern. Objektiv mag es anders sein, subjektiv wird es so empfunden. Dazu kommen in den meisten Fällen auch noch prekäre Verhältnisse.


Der Kapitalismus in der Kulturindustrie funktioniert erbarmungslos. Die schlechtbezahltesten Mitarbeiter eines Theaters sind letztlich immer die Schauspieler. Jeder andere verdient mehr. Beim Film ist es nicht viel anders, auch wenn einzelne „Stars“ etwas besser verdienen. Dazu kommen Produktionszeiten, die oft nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen einhalten. Wer nicht mitmacht, ist bei der nächsten Produktion eben nicht mehr dabei. Dazu kommen Allmachtsphantasien von Regisseuren, egal ob Film oder Theater, deren Ziel es teilweise immer noch ist, die Darsteller zu brechen, um noch größere und bessere Leistungen aus ihnen herauszuholen. Ich habe selber solche Regisseure erlebt, die stolz darauf waren, dass jemand auf der Bühne zusammengebrochen und heulend nach Hause gegangen ist. Das ist Teil eines Betriebes, hinter dessen Kulissen niemand zu intensiv schauen mag, weil dann relativ schnell klar würde, dass dieses ganze System staatlich finanzierter Kultur nicht zu menschenwürdigen Produktionsverhältnissen führt. Natürlich gibt es auch andere Spielleiter, wundervolle Menschen und sensible und achtsame Künstler. Sie sind sogar in der Mehrheit, aber es gibt eben auch die anderen, die Angst verbreiten, ihre Macht ausleben, Karrieren zerstören können und all dies auch tun.


Solange diese nicht in ihre Grenzen verwiesen werden, solange wird es so weitergehen. Wer unter dem Deckmantel künstlerischen Genies wie ein, mit Verlaub, Arschloch agiert, muss gestoppt werden. Zugleich muss aber auch ein Umgang mit den Suchtkranken gefunden werden, denn diese sind krank. Und da vor ein paar Jahren die Filmsets von Til Schweiger noch als Orte von Respekt, Achtsamkeit und freundschaftlichem Umgang miteinander beschrieben wurden, scheint hier eine sucht-indizierte Veränderung stattgefunden zu haben. Dazu gibt es ein paar Auftritte vor Kameras, welche das zu belegen scheinen. Wer je mit Suchtkranken zusammengearbeitet hat, weiß wovon ich rede. Wir alle müssen uns davon lösen, dass Problem zu marginalisieren und auf einige wenige Menschen zu verengen. Es ist nicht Til Schweiger, es ist ein ganzes System von Schweigen und Vertuschen, das solche Vorgänge befördert.


Es sind nicht einzelne Protagonisten, sondern ein jahrhundertealter Umgang mit derlei Problemen. Da wird schöngeredet und das Problem in heiteren Trinkeranekdoten aufgelöst, ohne dass es substanziell gelöst wird. Abhängigkeitsverhältnisse dürfen nicht länger zementiert, Fehlverhalten nicht länger toleriert werden. Nur in einer angstfreien, offenen Atmosphäre vermag Kreativität wirklich zu gedeihen. Alles andere sind gefährliche Mythen.

Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 232

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