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Der Sport und die Stadt

Rudi Bartlitz

Es gab schon schlechtere Zeiten für den Magdeburger Sport: Die Fußballer spielen demnächst das zweite Jahr in Folge in der 2. Bundesliga, die Handballer – zuletzt nach über 20 Jahren wieder Deutscher Meister sowie doppelter Weltpokalgewinner – sind national und international in diesen Tagen noch um die Titel dabei, die SCM-Athletengruppe um Olympiasieger Florian Wellbrock schwimmt von Erfolg zu Erfolg. Selbst die SES-Boxer befinden sich nach einer kleinen Delle wieder im Aufwind. Die Landeshauptstadt steht national wie international im Fokus. Warum gerade der Hochleistungssport in dem 240.000 Einwohner zählenden Ort eine so bestimmende Rolle spielt, darüber wird zuweilen viel debattiert? KOMPAKT versucht auf den folgenden Seiten einige Aspekte dafür aufzuzeigen.

Ein exzellenter Kenner des Magdeburger Sports: Martin Sanne. Foto Peter Gercke

Wann genau der Zeitpunkt anzusiedeln ist, seit in Magdeburg die ersten Grundlagen dafür gelegt wurden, sich später einmal als eine Stadt des Sports zu präsentieren und bezeichnen zu können, ist selbst unter Gelehrten umstritten. Da gehen die Meinungen auseinander. Dass es bereits zuzeiten des Dreißigjährigen Krieges gewesen sein könnte, als Tillys Truppen vor dem Überfall auf die damalige Festung im Felde kräftig Leibesübungen betrieben haben sollen oder etwa noch früher, als in den hiesigen Landstrichen zahlreiche Ritter-Turniere stattfanden – dies darf wohl eher im Reich der (sportlichen) Folklore einzusortieren sein.


Wer den Zeitpunkt jedoch mit „seit etwa 100 Jahren“ angibt, dürfte gleichfalls nicht ganz richtig liegen. „Das begann wesentlich früher“, sagt Martin Sanne, einer der besten Kenner des hiesigen Sports, im KOMPAKT-Gespräch. „Mit dem Aufstieg Magdeburgs zu einer Industriestadt, später insbesondere des Schwermaschinenbaus, gründeten sich auch immer mehr Sportvereine. Hier liegt eine der wichtigen Grundlagen für den späteren Aufschwung, der auch international bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften dafür sorgte, dass der Name Magdeburg immer häufiger genannt wurde.“ In den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts gründeten sich in der Stadt die ersten Vereine. Autor Volkmar Laube verweist in seiner Schrift „Sportstadt Magdeburg“ insbesondere auf die „große Tradition“ der Arbeitersportvereine, die in jener Zeit regelrecht aus dem Boden schossen. 

 
Später warfen nicht nur die beiden Weltkriege die sportliche Entwicklung der Stadt enorm zurück. Es gab einfach Wichtigeres. Von zerstört daniederliegenden Sportstätten, insbesondere nach 1945, ganz zu schweigen. Vielerorts musste nahezu bei null begonnen werden. Und es sollte noch eine Zeitphase kommen, als in Magdeburg plötzlich alles auf der Kippe stand – insbesondere im Hochleistungssektor. Die Jahre unmittelbar nach der Wende. Als auf Grund der sich veränderten gesellschaftlichen Strukturen vieles Erreichte wegzubrechen drohte. Gerade in den siebziger und achtziger Jahren hatten die Erfolge der SCM-Handballer (Zweimal Europapokalsieger, zehn nationale Titel), der FCM-Fußballer (Europacup der Pokalsieger, dreimal nationaler Meister) und die Olympia-Goldmedaillen von Seoul (2x Gold, 4x Silber) auch international auf Magdeburg aufmerksam gemacht. Vor allem die materielle und finanzielle Basis zerbröselte seinerzeit regelrecht. Die volkseigenen Betriebe, in denen ein Teil der Athleten angestellt war – weg. Der Staatsapparat, wo es ähnlich aussah – weg. Universität und Sportschule – es war ungewiss, ob und wie es mit ihnen weitergehen sollte.


„Für uns beim SCM ging es damals vor allem darum, so viel wie möglich im Verein in die neue Zeit hinüberzuretten“, berichtet Sanne. Der heute 81-Jährige, der einst als Cheftrainer, Verbandstrainer der DDR-Leichtathleten, später als Sportkoordinator, Sportlicher Leiter und Geschäftsführer tätig war, gilt als exzellenter Kenner der Magdeburger Sportgeschichte der vergangenen drei Jahrzehnte. „Es war einerseits unser Bestreben, an den fünf bei uns betriebenen olympischen Sportarten Leichtathletik, Schwimmen, Rudern, Kanu und Handball festzuhalten. Andererseits ging es darum, im Klub weiterhin Aushängeschilder zu haben wie beispielsweise Olympiasieger wie Dagmar Hase (Schwimmen) und Olaf Heukrodt (Kanu), die Leichtathletin Kathrin Neimke oder die Kanu-Olympiasieger Ingo Spelly und Ulrich Papke.“


Ein drittes waren die Trainer. Sanne: „Wir wussten, nur mit gut ausgebildeten Trainern können wir es schaffen, den SCM an der Spitze zu halten. Auf diesem Weg stellte die Auflösung der DHfK, der Deutschen Hochschule für Körperkultur in Leipzig, jedoch ein schweres Hindernis dar.“ Eine Tatsache, so fügt er hinzu, „deren Auswirkungen bis in die heutigen Tage zu spüren sind“. Qualifizierte Trainer „mit einer entsprechenden Hochschulausbildung fehlen an allen Ecken und Enden. Das zieht sich hin bis in den Nachwuchs- und Schulsport“.


Dennoch, den Streitern im SCM gelang es damals, ihr Ansinnen umzusetzen. Gerade mit Blick auf und im Vergleich zu anderen Spitzenklubs der DDR. Die entweder ganz verschwanden, teilweise regelrecht in sich zusammenbrachen oder sich erst später in minimalisierter Gestalt und teils unter anderem Namen nur schwer von den neunziger Jahren erholten. Egal, ob das in Rostock, Dresden, Potsdam, Chemnitz oder Erfurt geschah. Von den einstigen Vereinen der Armee und Polizei ganz zu schweigen. Selbst unmittelbar vor der Haustür war der Niedergang einstiger Spitzenklubs zu besichtigen. Beispiel 1. FC Magdeburg. Die Nachwende-Wirren zwangen die einst so stolzen Blau-Weißen für ein Vierteljahrhundert in die Diaspora des Amateurfußballs (siehe dazu auch Extrabeitrag in diesem Heft und das im Kompakt-Verlag erschienene Buch „Spielmacher“).


„Wichtig war uns in jener Zeit“, unterstreicht Sanne, „dass wir konsequent darangegangen sind, die Sportstätten auf Vordermann zu bringen. Beispiel dafür sind die Sanierung der Laufhalle und der Ausbau der Leichtathletik-Anlage. In jene Zeit fällt auch die Entscheidung, mit den Planungen für eine eigene größere Halle zu beginnen – die spätere Bördelandhalle. Gedacht war sie zunächst für den Trainingsbetrieb und den Schulsport. Ohne die tätige Mithilfe der Stadt und des Landes, gerade was die Finanzierung betrifft, wäre uns das jedoch nicht möglich gewesen. Wie man generell sagen muss, Land und Kommune haben den Sport in Magdeburg in all den Jahren auf bestmögliche Art unterstützt. Es gab seinerzeit eine enge Verknüpfung zwischen Sportclub und damaligem Bundesleistungszentrum, aus dem 1992 der Olympiastützpunkt hervorging.“  Ohne all das – so lässt sich aus heutiger Sicht hinzufügen – würde die heutige Generation wohl kaum von einer Sportstadt an der Elbe reden können.


Spätestens jetzt könnte die Frage auftauchen: Stadt des Sports – was ist das eigentlich? Wer legt Kriterien dafür fest? Gibt es überhaupt welche? Kann jede Kommune, die, sagen wir, ein Stadion, eine Turnhalle und eine Handvoll Vereine besitzt, für sich einen solchen Status qua Akklamation reklamieren. Richtig ist, es gibt keine allseits anerkannte oder gar niedergeschriebene Definition. Und ein (etwa sogar gesetzlich) geschützter Begriff existiert erst recht nicht. Alt-Oberbürgermeister Lutz Trümper hat das in einem MDR-Film einmal so definiert: „Das Grube-Stadion mit seinen 40.000 Fans und den großen Mannschaften, die hier gespielt haben, Bayern München oder Schalke 04, spiegelt eine enorme Tradition! Das hat der Stadt ein Image als Sportstadt gegeben, Selbstbewusstsein geschaffen.“


Wer wissen will, wie sie aussehen könnte, eine Stadt des Sports, muss sich nur einmal in Magdeburg umsehen. Neben den zweifellos über mehr als ein halbes Jahrhundert anerkannten Erfolgen der Athleten im Hochleistungssektor existiert – sozusagen in Steinwurfnähe der Elbe – eine Fülle von Sportstätten. Das Besondere: Auf einem Areal, dessen Kantenlängen kaum über einen Quadratkilometer hinausgehen, ballen sich Arenen, Hallen und Dienstleister des Sports. Zählen wir einmal auf: Da ist die inzwischen 30.000 Zuschauer fassende MDCC-Arena, die für 7.000 Besucher ausgelegte Getec-Arena, der Leichtathletik-Komplex mit der Freiluftanlage, einer Laufhalle mit Rundbahn, überdachtem Laufschlauch, einem Wurfhaus und der Mehrzweckhalle. Hinzu kommen die 2021 fertiggestellte Bob-Anschubanlage, das FCM-Nachwuchsleistungszentrum.


Ergänzt wird das Ensemble von zwei Sportschulen, Internaten sowie Einrichtungen der Sportmedizin und des Olympiastützpunktes Sachsen-Anhalt. Und als wäre dies alles noch nicht genug, wächst in diesen Monaten direkt vor dem Stadion für eine Bausumme von 12 Millionen Euro ein weiteres Sportzentrum mit Trainingshallen und Funktionsräumen empor. Gekrönt werden könnte das Ganze vom für 2028 geplanten, 50 Millionen teuren neuen deutschen Schwimmzentrum (siehe Extrabeitrag). Wirft man den Blick nur ein wenig über das „Sportstädtchen“ hinaus, kommen noch die 2008 komplett sanierte Elbeschwimmhalle, der 2011 erfolgte Neubau des Kanu-Bootshauses und das 2019 fertiggestellte Ruder-Bootshaus im Stadtpark hinzu.


Alles paletti also in der Sportstadt Magdeburg? Martin Sanne wiegt mit dem Kopf. „So beeindruckend das mit den Sportstätten ist, es wird ein ständiger Kampf sein, dies in Zukunft mit Leben und eben Leistungen zu erfüllen. Für einige Sportarten, in denen wir in der Vergangenheit gefeiert wurden, sieht es derzeit nicht gerade blendend aus. Es geht dort jetzt darum, den Status als Bundesstützpunkt für die Zukunft zu sichern. Vieles steht und fällt, das muss nochmals unterstrichen werden, mit qualifizierten Trainern. Es funktioniert nur, wenn wir eine ordentliche Nachwuchsarbeit leisten und uns in den nächsten Jahren gerade dort genügend Anschlusskader zur Verfügung stehen. Hinzu kommen zwei Dinge. Zum einen fehlen gerade bei den Ruderern, Kanuten und Leichtathleten seit jeher Möglichkeiten, sprich Wettkämpfe, bei denen sich die Spitzenathleten dem heimischen Publikum präsentieren können. Zum anderen mangelt es, auch wegen der hohen Anziehungskraft der Handballer und Fußballer, in den Einzelsportarten einfach an Sponsoren. Da bleiben, übertrieben gesagt, als Förderer oft nur übrig: Mama und Papa. Oder Oma und Opa.“

Seite 16-17, Kompakt Zeitung Nr. 233

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