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Stadtmensch:
Auf einmal wieder Ost und West

Lars Johansen

Neulich gab es eine Lesung in der Stadtbibliothek. Ich war leider nicht dabei. Aber ich habe eine Menge darüber gehört und gelesen und, wenn man will, dann kann man sich das Ereignis im Offenen Kanal ansehen. Doch, ob es eine reine Freude ist, wage ich zu bezweifeln. Denn leider polarisierte dieser Abend wieder einmal. Immer, wenn man denkt, es ist vorbei mit dem ewigen Ost-West-Geschrammel, dann kommt einer daher und frisst das Gras, welches nur scheinbar über die Sache gewachsen ist, wieder ab. Eigentlich wächst da ohnehin kein Gras, denn es handelt sich um vermintes Ödland, dessen Deutungshoheit schwer umkämpft ist. Es gibt hier schon lange nichts mehr zu gewinnen, doch genau darum wird umso verbissener gekämpft.


Vor ein paar Jahren gab es die völlig überflüssige Unrechtsstaatsdebatte, welche sich nur an der Terminologie entzündete, denn hier kann es keine Diskussionen geben, dass die DDR faktisch ein solcher war. Fakten stören aber meistens in Diskussionen, denn es geht eher um Gefühle. Niemand mag sich gerne seine Kindheit und Jugend madig machen lassen und erst recht nicht von Zugereisten. Das ist weltweit so und nicht zu ändern. Nun sind Emotionen nur ein, wenn auch wichtiger, Teil der wahren Geschichte. Manchmal muss man seine subjektiven Erfahrungen überprüfen und vielleicht das eigene Urteil revidieren. Aber das kann man eben nicht von allen verlangen, vor allem wenn das Alter schon fortgeschritten und die Meinungen lange festgefahren sind. Dann möchte man gerne hören, dass man Recht hat. Das ist legitim und zugleich in keiner Weise zielführend. Außer, es handelt sich um eine Feier mit Jugendfreunden, auf der sich alle kennen und alles miteinander erlebt haben. Eine Lesung im Heimatdorf vom Heimatschriftsteller funktioniert gewiss ähnlich. Aber eine Buchvorstellung in einer Großstadt läuft normalerweise ein wenig anders ab. Unterschiedliche Meinungen müssen ausgehalten, kritische Fragen gestellt und vor allem muss einander zugehört werden. Und natürlich muss das zugleich auch niemand tun.


Die Thesen vom Autor Dirk Oschmann sind durchaus bedenkenswert und sicherlich nicht falsch. Der Osten wird im Westen immer noch mit einer gewissen Herablassung wahrgenommen und Führungspersonal kommt nicht in großer Zahl von hier. Das sind Fakten. Die Geschichte der Treuhand ist kein Ruhmesblatt in der Wiedervereinigung. Und Augenhöhe war hier oft nur ein Fremdwort. Auch das sind Fakten, die vielen im Westen aufgewachsenen Menschen nicht schmecken werden. Oschmann bringt sie auf den Punkt, aber natürlich verkürzt er auch, spitzt zu und hat vor allem einen radikal subjektiven Blick. Dieser muss und darf hinterfragt werden, denn nur dann vermag ein wirklich realistisches Bild zu entstehen. Das erfordert zum einen Wissen und einen klaren Kopf und zum anderen durchaus auch Mut, den David Begrich in der Stadtbibliothek aufbrachte. Denn er musste sich gegen einen wütenden Mob behaupten, der ihm seine Ostidentität absprechen wollte. Schließlich könne er ja nicht einer von ihnen sein, wenn sich seine Erfahrungen von den ihren so radikal zu unterscheiden schienen. Dabei stimmte das nicht. Hier war einer, welcher die gegenwärtige Bundesrepublik genau so kritisch wahrnimmt wie die damalige DDR. Einer, der sich eben nicht gemütlich einrichtet, sondern der den Willen zur Ungemütlichkeit aufzubringen vermag. Einer, der nicht verkürzt, sondern versucht Erklärungen zu finden, die auch einer kritischen Analyse standhalten. Aber wenn man sich die Bilder dieser Lesung ansieht, dann merkt man vor allem, dass Oschmann unkritisch gelesen und von den Zuschauenden keine Analyse gewünscht wird. Noch einmal, es geht wieder um Gefühle. Das Gefühl der Minderwertigkeit, das Gefühl, kolonialisiert worden zu sein. Ein Gefühl, das die ältere Generation an die jüngere weitergegeben hat. Vielleicht auch eine Sehnsucht nach einer Zeit, die es so nie gegeben hat.


Auch „Diesseits der Mauer“ von Katja Hoyer wird in ähnlicher Weise rezipiert. Natürlich ist es falsch, wenn Kritiker schreiben, dass die Autorin die DDR verharmlost. Denn das tut sie ganz sicher nicht. Und es ist unsinnig, stets zu verlangen, dass man sich von jenem Staat gefälligst erst einmal zu distanzieren habe. Ihre Eltern seien schließlich Profiteure des Systems gewesen. Das bestreitet Hoyer ja auch nicht. Im Gegenteil, sie stellt es heraus, gerade um den Verdacht einer Komplizenschaft zu zerstreuen. Und trotzdem, auch sie verkürzt und spitzt zu. Und auch das kann man hinterfragen. Dieses Hinterfragen ist in jedem Fall legitim. Es den Rezipienten abzusprechen, weil man es lieber unkritisch sehen möchte, ist unzulässig. Jedes gute Buch hält einer kritischen Analyse stand. Und wenn es das an einigen Stellen nicht tut, dann sollte man sich damit auseinandersetzen. Nur so kann das vielfältige Bild entstehen, dass die DDR ausmachte. Und nur so kann es Westdeutschen klar machen, wie es gewesen sein könnte. Dieses Spannungsfeld zwischen Widerstand und Zuneigung, diese Mehrdeutigkeit und auch Gespaltenheit ergibt ein Gesamtbild, das stimmig ist, je unstimmiger es auch erscheinen mag. Klingt kompliziert? Ist es auch. Aber nur so bewegen wir uns vorwärts zu einem gemeinsamen Diskurs. Und vielleicht entsteht irgendwann aus der ganzen Schwarzweißmalerei ein farbiges Bild eines Staates und einer Zeit, die vergangen sein mögen, aber doch immer noch stetig präsent sind.


Veranstaltungshinweis:
Prof. Dirk Oschmann liest am Mittwoch, dem 14. Juni, im KOMPAKT Medienzentrum aus seinem Buch „Der Osten: eine westdeutsche Erfindung“. Die Veranstaltung ist ausgebucht. Die Lesung mit Diskussion kann ab 18:30 Uhr live über YouTube unter @kompaktmedia verfolgt werden. Die Moderation übernimmt Prof. Markus Karp.

Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 233

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