Die Macht der Fäuste
Rudi Bartlitz
Definierte sich Magdeburgs Spitzensport, einmal abgesehen von den glorreichen „Siebzigern“ der FCM-Fußballer, bis zur Jahrtausendwende zuallererst über herausragende Erfolge in Disziplinen, die alle irgendwie mit den in sich verschwungenen olympischen Ringen zu tun haben, sollte sich dies fortan ein wenig ändern. Ein neuer Stern zeichnete sich am Firmament der Leibesübungen immer deutlicher ab: das Profiboxen. Gewiss, die Elbestadt konnte auch schon vor 2000 über gewisse Traditionen verweisen. Aber das fast ausnahmslos bei den Amateuren. So eroberte Punching Magdeburg 1932 im Kristallpalast sogar die deutsche Mannschaftsmeisterschaft gegen Boxsport Dortmund. Zwei Jahre zuvor vermelden Chroniken die Anwesenheit von Faustkampf-Legende Max Schmeling bei einem Berufsboxabend in Magdeburg.
Als im April 2000 mit SES – was für Sport Events Steinforth steht – der erste Profi-Boxstall des Ostens gegründet wurde, lagen die Wurzeln erneut im Amateursport. Sein Gründer Ulf Steinforth war als Präsident mit dem 1. BC Magdeburg 1999 und 2000 zweimal nacheinander deutscher Mannschaftsmeister geworden. Erste Erfahrungen sammelte er, Organisationstalent und Machertyp in einem, zunächst als Sponsor bei den BCM-Amateuren. Unter seiner späteren Präsidentschaft räumte der BCM dann nahezu alles ab. „Ich bin erst zu den Profis gewechselt“, sagte der ehemalige Ringer einmal, „als ich merkte, dass ich mit meinen Ideen zur Weiterentwicklung des Amateurboxens, zum Beispiel der Gründung einer Art Champions League, nicht weiterkam, mir Knüppel in den Weg geworfen wurden.“
Obwohl viele ihn warnten, Geld zu verbrennen, Steinforth – zu DDR-Zeiten von den Behörden argwöhnisch beäugt, weil er Breakdance-Gruppen managte – wagte den Sprung ins Profigeschäft. Zunächst mit den Einheimischen Rene Monse und Dirk Dzemski, dem heutigen SES-Trainer. Unvergessen die ersten Kampfabende, ob nun in Dessau, Ilsenburg, Aschersleben oder Köthen. Die Zuschauer saßen zuweilen auf harten Turnbänken, Rückenlehnen gab es nicht. Oder jene Veranstaltung in Salzwedel, wo der Ring unter einer verblichenen Erntekrone in einer Reithalle aufgebaut worden war – auf holpriger Krume. Die Sportler mussten sich hinter improvisierten Zeltwänden umziehen. Trainer Werner Kirsch in seinem Berliner Slang: „Mann, det sieht ja hier aus wie inne Jurte.“ Das Publikum, schrieb diese Zeitung damals, bestand zum großen Teil aus Bauern, die, einige noch in Arbeitskleidung, das wilde Treiben im Seilgeviert ein wenig misstrauisch beäugten.
Bereits im Januar 2002 wagte Steinforth als Veranstalter erstmals den Schritt in die große Getec-Arena. Den Europameisterschaftskampf seinerzeit, den verlor Monse übrigens gegen den Kosovaren Luan Krasniqi. Dennoch, da dachte der SES-Chef wohl wie alle anderen Promoter: Erst Titel und Gürtel schmücken das Geschäft. Und siehe da, auf den ers-ten internationalen Erfolg sollten die Magdeburger tatsächlich nicht lange warten müssen. Selbst wenn es vorerst nur in einem unbedeutenden Verband war. Am 8. Juni 2002 sicherte sich Dzemski gegen den Amerikaner Kippy Warren den sogenannten NBA-Welttitel im Mittelgewicht. Steinforth hatte den Fuß in der Tür.
Es war der Anfang einer Erfolgstory aus dem Osten. Der Name Magdeburgs wurde durchs Boxen Stück für Stück hinausgetragen in die Welt. Später waren SES-Faustkämpfer in Spielerparadiesen wie Las Vegas und Macao fast wie zu Hause Die Sportstadt an der Elbe, das waren international plötzlich nicht mehr nur Ruderer, Kanuten, Schwimmer, Leichtathleten oder Handballer. Nein, das waren nun auch die Haudraufs von SES. Schulterklopfen für Sport-Botschafter Steinforth gab es dafür von Alt-Oberbürgermeister Willi Polte: „Boxen ist Show. Und Show produziert Bilder. Und diese Bilder gehen von Magdeburg in die ganze Welt. Dafür hat Ulf Steinforth gesorgt.“ Obwohl, das muss hinzugefügt werden, SES bis zum Jahr 2015 nie über einen festen TV-Partner verfügte. Erst kam es zu der Allianz mit dem Mitteldeutschen Rundfunk.
Obwohl das Team bereits zahlreiche Welt- und Europameister hervorbrachte, an den regionalen Wurzeln wird nicht gerüttelt. Magdeburg bleibe Firmensitz betonte Steinforth mehrfach, trotz anderer Alternativen. Sein Unternehmen ist inzwischen unangefochten die Nummer eins unter den Box-Veranstaltern in Deutschland. Auch dank einstiger Weltmeister wie Robert Stieglitz, Jan Zaveck, Dominic Bösel, Natascha Ragosina und Ramona Kühne. Derzeit stehen Schwergewichts-Europameister Agit Kabayel und Halbschwergewichtler Michael Eifert, der einen WM-Kampf in Aussicht hat, in den Schlagzeilen. Der Impresario selbst wurde vom deutschen Berufsboxverband zum „Manager des Jahrzehntes“ gekürt. Die einst unerreichbar scheinende Konkurrenz ist um Längen abgehängt. Universum Hamburg, das von Groß-Gastronom Klaus-Peter Kohl geführte Unternehmen, unter dessen Flagge die Klitschko-Brüder in den Ring marschierten, ging pleite, Reste des einst glorreichen Sauerland-Team, das sich mit Namen wie Sven Ottke, Markus Beyer und Arthur Abraham schmückte, wurde an ein US-Unternehmen verscherbelt.
Doch nicht nur die SES-Recken verbreiteten Magdeburgs Ruhm in der Sportwelt und rückten die Elbestadt international in den Fokus. Der in 34 Profifights ungeschlagene Karlsruher Super-Mittelgewichtler Sven Ottke verteidigte zwischen 1999 und 2004 seinen Weltmeistertitel gleich achtmal in der Bördelandhalle (Ottke: „Das ist mein Wohnzimmer“). Die ebenfalls aus Karlsruhe stammende beste deutsche Boxerin aller Zeiten, Regina Halmich, tat es ihm später nach. Kein Zweifel, Magdeburg ist seither nicht nur eine Stadt des Sports, sondern auch des Boxens.
Seite 20, Kompakt Zeitung Nr. 233