Einblicke in die Welt des Hagen Tilp
Tina Heinz
Da sitzt sie. An eine Wand gelehnt. In der zweiten Etage der Figurensammlung villa p. des Puppentheaters Magdeburg. Zwar trägt sie keine Kleidung, doch ihre Gesichtszüge und die roten Haare verraten sie. Kein Zweifel – es ist Schauspielerin Julianne Moore, bekannt aus Filmen wie „Still Alice“, „The Big Lebowski“ oder „The Hours“. Natürlich sitzt sie nicht in persona, und dazu nackt!, im Puppentheater. Nein, Julianne Moore ist in diesem Fall eine Puppe mit frappierender Ähnlichkeit zum Hollywood-Star.
Verantwortlich für diese detailgetreue Annäherung ist Hagen Tilp, der die Puppen für das diesjährige Hofspektakel des Puppentheaters, „Der Drache“, entworfen, entwickelt und angefertigt hat. Der inzwischen im kalifornischen Oakland lebende Künstler hatte sein Studium im Bereich Theaterausstattung an der Hochschule der Bildenden Künste Dresden im Jahr 2003 beendet und sich anschließend als Puppen- und Requisitenbauer in Berlin selbstständig gemacht. Seine Puppenanfertigungen sind bereits bei zahlreichen Theater- und Operninszenierungen zum Einsatz gekommen – darunter am Deutschen Theater Berlin, am Schauspiel Köln, am Thèatre National de Bordeaux en Aquitaine, beim Blickfelder-Festival Zürich, am tjg. Dresden und auch am Puppentheater Magdeburg. So arbeitete er beispielsweise beim Hofspektakel „Ein Spätsommernachtstraum“ 2020 mit Regisseur Moritz Sostmann zusammen, der auch bei „Der Drache“ Regie führt.
Um das Schaffen Hagen Tilps zu würdigen und einen Einblick in seine Arbeitsweise zu bieten, zeigt das Puppentheater Magdeburg vom 8. Juni bis zum 5. November 2023 die Sonderausstellung „und dann lebendig: DIE WELT VON HAGEN TILP“, kuratiert von Petra Szemacha, gestaltet von Christian Beck. Und der Titel trifft es auf den Punkt. Die hyperrealistischen Figuren könnten lebendiger nicht wirken – was vor allem an der unglaublichen Genauigkeit liegt, mit der der Künstler und Tüftler an der Anatomie der Charakterpuppen arbeitet, wie Puppentheater-Intendant Michael Kempchen bei der Eröffnung der Ausstellung betont.
„Diese Art der Darstellung kam bei uns erst in den 1990er Jahren an – angeregt von der hyperrealistischen Kunst“, schildert Christian Beck, der an der Kunsthochschule Weißensee Bühnenbild studiert hat. „Wie viele Theaterschaffende hat sich Hagen Tilp vom Buch „Fellini’s Faces“ inspirieren lassen, aber beispielsweise auch von Skulpturen der Künstler Sam Jinks und Ron Mueck.“ Den Hyperrealismus in seinen Puppen zu entdecken, fällt nicht schwer. Jede kleine Falte, jede Narbe, ein Bauchansatz, ein neugieriger Blick, die Körperhaltung – all das trägt dazu bei, dass Hagen Tilps Werke lebendig wirken.
Der Weg dahin ist mit vielen Arbeitsschritten verknüpft, die in der Sonderausstellung nachvollzogen werden können. Zunächst sucht Hagen Tilp seine Inspiration in Schauspielern, Politikern, aber auch in Personen des nichtöffentlichen Lebens. „Es findet eine Art Casting statt. Der Puppenbauer wägt ab, welches Gesicht zur Figur und ihren Eigenschaften passt und stimmt sich laufend mit dem Regisseur ab“, schildert Christian Beck. „Danach werden Grafiken der Puppen im Maßstab 1:1 erstellt. Die Köpfe werden modelliert, immer wieder verändert und schließlich abgegossen. Dann kommt noch Farbe ins Spiel, bevor die Puppe Hals, Rumpf, Gliedmaßen und Gelenke erhält.“ Doch die Optik ist nicht alles. „Für die Spielerinnen und Spieler ist die Leichtgängigkeit der Puppen enorm wichtig und auch hier ist Hagen Tilp eine Klasse für sich.“
Wer sich einen Eindruck von der Arbeit des Puppenbaumeisters machen möchte, kann sich die Ausstellung in der villa p. (geöffnet Mi-So, 11-17 Uhr) anschauen und sich von den detailreichen Puppen begeistern lassen.
Seite 17, Kompakt Zeitung Nr. 234