Stadtmensch:
Hand und Fuß
Lars Johansen
Magdeburg wird ja mehr und mehr zu einer Sportstadt. Das ist großartig in einer Zeit, in der Kinder immer weniger beweglich werden. Auch die Sprachkenntnisse für die Grundschulen fehlen zunehmend. Möglicherweise wird eine Generation groß, die zu den Digital Natives gehört, aber tatsächlich andere Fähigkeiten immer mehr zu verlieren droht. Aber darüber mag ich gar nicht spekulieren. Stattdessen freue ich mich darüber, dass sich in diesem Jahr ein kleiner Wandel im Bereich des Sportes vollzogen hat. Und das betrifft zwei Ballsportarten aus dem Bereich des Mannschaftssports.
Fußball und Handball haben damit begonnen, ihre Wertigkeiten zu vertauschen. Während sich der Fußball in einer sich immer weiter vergrößernden Krise befindet, durchläuft der Handball in Deutschland gerade ein ungeahntes Hoch. Wobei „ungeahnt“ trifft es eigentlich nicht, denn es zeichnet sich seit einigen Jahren schon ab. Und natürlich ist einer der Höhepunkte, dass der SC Magdeburg die Champions-League gewonnen hat. Und nicht nur, dass der SCM gewonnen hat, begeistert, sondern vor allem das Wie. Eine von Verletzungspech gebeutelte Mannschaft, die es trotzdem schaffte, in drei Wettbewerben bis zum Ende weit oben mitzuspielen und in der Meisterschaft und im nationalen Pokal zweiter Sieger wurde, das verdient tatsächlich Bewunderung. Seit vielen Jahren hat der Trainer Bennet „Benno“ Wiegert mit einem überschaubaren Etat Erstaunliches geleistet und eine exzellente Mannschaft aufgebaut, die auf allen Positionen so stark besetzt ist, dass sie selbst in einer harten Saison wie der abgelaufenen immer wieder auf höchstem Niveau zu spielen vermag. Und wenn er dann noch während einer Spielunterbrechung (wegen eines tragischen Notfalls im Publikum) im Finale des Europapokals bei einem Rückstand dem gegnerischen Trainer anbietet, das Spiel zu beenden und damit den Gegner gewinnen zu lassen, dann wird aus dem exzellenten Trainer auch noch ein großartiger Sportsmann.
Der ehemalige Trainer von Magdeburg, Gislason, ist mittlerweile Trainer der Nationalmannschaft. Bei der letzten WM wurde man trotz der ungünstigen Lage mitten in der kräftezehrenden Saison immerhin Fünfter. Und nicht nur Magdeburg überzeugt, die Füchse aus Berlin gewannen in diesem Jahr obendrein den Europapokal in der European League. Wenn zwei Europapokalsieger in einer Saison aus der gleichen Liga kommen, dann ist das ein Zeichen für außerordentliche Stärke. Klar, es sind vielleicht nur fünf Mannschaften, die in der Liga dieses hohe Tempo gehen können. Aber es gibt eben nicht nur einen feststehenden Abonnementmeister, sondern eine extrem hohe Leistungsdichte in der Spitze, in der es am Ende sehr knapp zugeht. Der Handball hat in dieser Spielzeit vermutlich eine große Menge neuer Freunde gewonnen.
Das liegt aber auch ein wenig daran, dass der Fußball schwächelt. Und in der abgelaufenen Saison hat er aus deutscher Sicht sogar sehr schlecht abgeschnitten. Es gab keinen internationalen Titel, im Gegenteil, die Mannschaften waren davon weiter entfernt denn je. Mit der europäischen Spitze kann man nur bedingt und mit der Weltspitze überhaupt nicht mithalten. Während im vergangenen Jahr Eintracht Frankfurt völlig überraschend immerhin die European League gewann, was über das kollektive Versagen aller anderen ein wenig hinwegtäuschte, sah es in diesem Jahr verheerend aus. Das zeichnete sich bereits bei der WM in Katar im vergangenen Winter ab. Deutschland schied schon in der Vorrunde in einer vermeintlich leichten Gruppe aus. Die lange und berechtigte Diskussion über den Austragungsort und eine Winter-WM an sich verdeckte lange Zeit, dass die Mannschaft schlicht nicht besonders gut war. Lange Dispute um Armbinden und leuchtende Stadien beherrschten die Schlagzeilen, weil man über die sportliche Seite aus deutscher Sicht nichts hätte sagen können. Die FIFA erschien als korrupter Haufen, der DFB wie eine aufgeregte Schar von Hühnern und so richtig traute sich
niemand anzusprechen, dass sich keine leuchtende Zukunft abzeichnen wollte. Seitdem findet sich im Jahr der Europameisterschaft im eigenen Land keine bessere Mannschaft zusammen. Die Freundschaftsspiele gehen größtenteils verloren, der Trainer experimentiert ohne Glück und die Spieler scheinen den Aufgaben nicht gewachsen zu sein. Doch selbst die nationale Meisterschaft geriet in der abgelaufenen Saison zu einer kleinen Farce. Der Abo-Meister Bayern München spielte trotz Trainerwechsel so schlecht wie selten, der Dauerrivale aus Dortmund zog daraus keine Vorteile, sondern versagte ebenfalls.
Männerfußball macht zurzeit keinen Spaß, finde ich. Und die Zuschauerzahlen bei den Spielen der Nationalmannschaft sprechen da Bände. Ich bin kein Fan, sondern nur interessierter Zuschauer und die einzigen Lichtblicke waren tatsächlich das Abschneiden von SC Freiburg und Union Berlin, so wie in der zweiten Liga die unglaubliche Rückrunde des FC St. Pauli. Vereine mit überschaubaren Etats, starken Mannschaftsleistungen und einem Publikum, das seine Spieler und die Atmosphäre im eigenen Stadion liebt, sind vielleicht die Zukunft. Leipzig und Hoffenheim auf der anderen Seite der Beliebtheitsskala leben nur von ihren Sponsoren, die genug Geld hineinpumpen, damit etwas erreicht wird. Am Beispiel von Hertha BSC kann man dann sehen, wie dieses Modell so richtig schief gehen kann. Wenn die nächste Spielzeit und auch die Europameisterschaft nicht besser laufen, dann wird es langsam eng. Basketball und Eishockey holen langsam auf. Junge Menschen, von denen es immer weniger gibt, haben eine immer größere Auswahl, dazu kommt auch noch der E-Sport. Fußball war mal König, aber das ändert sich gerade. Handball ist auf jeden Fall Thronanwärter. Ach was, sie sind schon König. In Magdeburg alleweil.
Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 235