Gedanken- & Spaziergänge im Park: Der gute und der böse Otto
Paul F. Gaudi
In diesem Jahr haben zwei berühmte Deutsche mit dem Vornamen Otto einen jubiläumswürdigen Jahrestag ihres Todes. Beide wurden auch auf dem Gebiet des heutigen Bundeslandes Sachsen-Anhalt geboren. Der eine ist Kaiser Otto I., dessen Todestag sich am 7. Mai zum 1.050. Mal jährte. Magdeburg gedenkt seiner derzeit mit einer Ausstellung im Kulturhistorischen Museum. Der andere Todestag ist der Otto von Bismarcks, der sich am 30. Juli zum 125. Mal jährt. Beide Ottos waren für die deutsche Geschichte und die deutsche Einheit bedeutende Persönlichkeiten. Aber während Kaiser Otto nach einer ersten großen Ausstellung 2001 in diesem Jahr zum zweiten Mal eine große Schau gewidmet ist, wird der 125. Todestag Bismarcks manchmal nicht nur übergangen, sondern es wird von einigen Politikern und Historikern auch versucht, seine historische Bedeutung zu demontieren.
Otto I. aus dem Geschlecht der Liudolfinger wurde 912 als Sohn des Sachsenherzogs Heinrich I. (ab 919 König des Ostfrankenreiches) und dessen zweiter Frau Mathilde geboren, wahrscheinlich in Wallhausen, einem Ort in der Goldenen Aue. Über seine Jugend ist wenig bekannt. 928 zog Heinrich I. gegen den slawischen Stamm der Heveller und besiegte deren Fürsten Baçqlābič. Er ließ ihn als tributpflichtigen Vasallen im Amt, nahm aber seinen Sohn Tugumir und dessen Schwester, deren Name nicht überliefert ist, als Geiseln mit. Mit dieser zeugte der 16-jährige Otto einen Sohn, Wilhelm, geboren 929. Vater Heinrich dürfte nicht sehr begeistert gewesen sein, denn zur gleichen Zeit oder kurz nach dieser Liaison bat Heinrich den englischen König Æthelstan um eine Gattin für seinen Sohn. Æthelstan schickte seine Halbschwester Editha. Sie war zwei Jahre älter als Otto und es wurde eine gute Ehe. Magdeburg zehrt bis heute von dieser Verbindung, denn Editha bekam Magdeburg und Umgebung als Morgengabe und später errichtete Otto 968 ein Erzbistum in Magdeburg, wovon der benachbarte Halberstädter Bischof sicher nicht begeistert war. Seine slawische Geliebte verschwand im Kloster Möllenbeck. Für den unehelichen Sohn Wilhelm (929 – 968) aber sorgte er. Wilhelm wurde 954 zum Erzbischof von Mainz gewählt und erhielt von Papst Agapen II. sogar die Bestätigung als Apostolischer Vikar, also als Stellvertreter des Papstes in Deutschland!
Nach dem Tode Heinrichs wurde Otto I. Herzog von Sachsen und zum König des ostfränkischen Reiches in Aachen gekrönt. Sehr bald gab es Rivalitäten mit seinem jüngeren Bruder Heinrich (geb. 919), der ebenfalls Anspruch auf die Königswürde erhob, da er z. Zt. des Königtums Heinrichs geboren wurde, während Otto zur Welt kam, als Heinrich erst „nur“ Herzog war. Die Herzöge von Bayern, Franken und Lothringen verbündeten sich mit Heinrich und es kam zu kriegerischen Auseinandersetzungen und Attentatsversuchen zwischen 939 bis 941, bei denen die Gegner starben oder hingerichtet wurden, während Heinrich seinen Bruder barfuß knieend um Verzeihung bat. Zur gleichen Zeit wurden die Slawen bis zur Oder unterworfen. Otto verzieh seinem Bruder Heinrich und belehnte ihn 947 mit dem Herzogtum Bayern. In den Kriegen gegen die Ungarn, die bis zu ihrer endgültigen Niederlage auf dem Lechfeld 955 immer wieder in Deutschland einfielen, bewährte er sich als treuer Heerführer. Vor diesem historischen Sieg kam es aber wieder zu einer kriegerischen interfamiliären Auseinandersetzung mit seinem und Edithas Sohn, Liudolf (geb. 930), den Otto zum Herzog von Schwaben gemacht hatte. 946 war Editha gestorben und Otto heiratete 951 Adelheid (931 – 999), die von Verwandten inhaftierte 20-jährige Witwe des Königs von Italien. Dadurch wurde er auch König von Italien, aber erst nach Feldzügen in Oberitalien. Nachdem Adelheid ihren ersten Sohn Heinrich 952 geboren hatte, schmiedete Liudolf, der um seine Thronfolge fürchtete, mit anderen Fürsten Pläne für einen Aufstand und es kam zu Kämpfen, die Otto und seine Verbündeten gewannen. Liudolf unterwarf sich 954 seinem Vater, der auch ihm verzieh und ihn als Statthalter nach Norditalien schickte, um dort die Inte-ressen seines Vaters zu vertreten. Dort starb Liudolf 957. In den folgenden Jahren kam es zu weiteren Feldzügen in Italien, die bis Rom führten. Dort wurde Otto 962 zum Kaiser gekrönt. Danach herrschte relative Ruhe und es kam zu einer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte. Am 7. Mai 973 starb Otto I., der Große. Mit ihm begann das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, das bis 1806 – jedenfalls dem Namen nach – Bestand hatte.
Am Entstehen eines zweiten deutschen Kaiserreiches hatte der andere Otto, Otto von Bismarck, maßgeblichen Anteil. Er wurde am 1. April 1815 in Schönhausen (Altmark) als Sohn eines Adligen und einer bürgerlichen Mutter, die der Gelehrtenfamilie Mencke entstammte, geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und nach kurzer Arbeit in der Verwaltung übernahm er die väterlichen Güter in Schönhausen. Dort wurde er allmählich politisch tätig, zuerst als Abgeordneter in den preußischen Provinziallandtagen von Pommern (1845) und der Provinz Sachsen (1847). Als Gegner der Revolution von 1848 wurde er nicht in die Nationalversammlung gewählt. Aber es begann seine diplomatische Laufbahn. Als preußischer Gesandter am Bundestag in Frankfurt verhinderte er 1851 die Mobilisierung des Bundesheeres gegen Russland im Krimkrieg. 1859 wurde er preußischer Gesandter in St. Petersburg und 1862 Gesandter in Paris, aber nur für kurze Zeit, da er im Herbst preußischer Ministerpräsident und Außenminister wurde. Über Herrschaftsstreitigkeiten mit Dänemark betreffs der Herzogtümer Schleswig und Holstein, das letztere war Mitglied des Deutschen Bundes, kam es 1864 zum Krieg zwischen Dänemark einerseits und Österreich und Preußen anderseits, der dazu führte, dass Holstein unter die österreichische und Schleswig unter die preußische Verwaltung kam. 1866 besetzte Preußen auch Holstein, worauf Österreich die Mobilisierung von Bundestruppen gegen Preußen beim Bundestag beantragte, dem dieser zustimmte. Die Königreiche Sachsen, Bayern, Hannover und Württemberg, sowie einige süddeutsche Staaten standen auf der Seite Österreichs. Innerhalb weniger Wochen war der Krieg für Preußen und seine Verbündeten entschieden. Der Preußenkönig Wilhelm I. wollte demonstrativ als Sieger in Wien einziehen, aber Bismarcks entschiedener Widerstand verhinderte diese Demütigung Österreichs und begründete damit ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden Ländern. Der Traum von einer „großdeutschen“ Lösung unter österreichischer Führung war beendet. Es folgte nach diplomatischen Streitigkeiten der deutsch-französische Krieg 1870/71. Es war Frankreich, das Preußen am 19. Juli 1870 den Krieg erklärte in der irrigen Hoffnung, dass ihm die 1866 unterlegenen Österreicher und Bayern beistehen würden. Und es waren französische Truppen, die als erste am 2. August die Grenze überschritten und Saarbrücken besetzten! Um es kurz zu fassen: In Versailles wurde am 18. Januar 1871 das zweite deutsche Kaiserreich ausgerufen mit Otto von Bismarck als Reichskanzler und Chef des Auswärtigen Amtes, wie das Außenministerium seither bis heute in Deutschland heißt.
Er blieb im Amt, bis ihn Wilhelm II., noch nicht einmal zwei Jahre auf dem Thron, im März 1890 entließ. Die fast zwanzigjährige Zeit Bismarcks als Reichskanzler war eine Zeit des Friedens ohne weitere kriegerische Verwicklungen. Im Gegenteil: Unter seiner Moderation wurde auf der Berliner Konferenz 1878 die Balkankrise zwischen dem Osmanischen Reich und anderen europäischen Mächten beendet und eine neue Friedensordnung für Südosteuropa ausgehandelt. Innenpolitisch veränderte sich vieles in eine demokratische Richtung. Das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht im Norddeutschen Bund und im Kaiserreich wurde eingeführt, allerdings nur für Männer. Für Frauen gab es das im 19. Jahrhundert aber in keinem Land. Unter seiner Kanzlerschaft wurde in Deutschland als erstem Land der Welt 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfallversicherung und 1889 die Altersversicherung eingeführt, Sozialsysteme, die bis heute Bestand haben. Warum wird er heute im Gegensatz zu Otto I. so negativ gesehen? Er sei ein Militarist und Kolonialist gewesen. Dazu wäre zu sagen, dass alle drei Kriege von 1864 bis 1871, die von Preußen, während der 40 Jahre in denen Bismarck preußischer Ministerpräsident bzw. Reichskanzler war, geführt wurden, zusammen nur 21 Monate dauerten! Otto I. dagegen führte fast während seiner gesamten Regierungszeit Kriege und kolonisierte die slawischen Gebiete östlich der Elbe bis zur Oder! Bismarck war immer gegen die Eroberung von Kolonien, aber er musste dem Drängen der Wirtschaft und der Handelsgesellschaften nachgeben. Schließlich war nicht er der Herrscher, sondern ein „Angestellter“ des Kaisers und hatte auch namhafte Gegner in der kaiserlichen Familie. Ein anderer Vorwurf ist häufig, dass er die Reichseinigung „von oben“ vollzogen hätte. Deutschlands Einheit war der Wunsch aller progressiven Kreise, spätestens seit den Befreiungskriegen. Auch eine Deputation der Frankfurter Nationalversammlung bot dem preußischem König Friedrich Wilhelm IV. 1849 die deutsche Kaiserkrone an, die dieser aber aus verschiedenen Gründen ablehnte. Der wahre Grund war aber wohl, dass die Annahme ohne die Zustimmung der über dreißig anderen deutschen Könige und Fürsten überhaupt nicht möglich gewesen wäre. Dieses diplomatische Kunststück gelang erst Otto v. Bismarck, dessen wir durchaus etwas wohlwollender gedenken sollten.
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Seite 8, Kompakt Zeitung Nr. 237