Igittigitt, Sport!
Rudi Bartlitz
Es ist Olympia – und kaum einer der Jungen schaut mehr hin. Dieses düstere Szenario wird in einer aktuellen Studie von deutschen Wissenschaftlern an die Wand gemalt. Das Institut für Generationenforschung in Augsburg hat in einer Untersuchung festgestellt: Sport ist für junge Leute schon jetzt ziemlich uninteressant.

Sportübertragungen im Fernsehen? Interesse am Sport generell? Bei der sogenannten „Generation Z“, also den Jahrgängen 1995 bis 2010, reicht die Reaktion auf diese Fragen von einem eher gelangweilten „Ach, nö, lass mal!“ bis zu einem rigiden „Igittigitt!“. Was bisher vielleicht noch als These eingefleischter Sport-Stammtische abgetan werden konnte, liegt jetzt schwarz auf weiß vor. Wissenschaftler haben nachgewiesen: Die heranwachsende Generation interessiert sich immer weniger für Sport. So lautet jedenfalls das Ergebnis einer neuen Schock-Studie des privaten Augsburger „Instituts für Generationenforschung“. Darin wird ein ziemlich düsteres Szenario an die Wand gemalt: Sport ist für junge Leute demnach schon heute ziemlich uninteressant. Dann doch lieber Tiktok oder Instagram.
Je jünger die Befragten, fanden die Forscher he-raus, desto geringer ist deren Interesse an Sportveranstaltungen. Stattdessen verbringen Jugendliche täglich 344 Minuten im Netz. Sie treiben weniger aktiv Sport. Nur an 2,7 Tagen pro Woche. Dazu zählt auch E-Sport. Die Studie, bei der insgesamt gut 1.000 Personen zwischen 16 und 74 befragt wurden, kommt ferner zu dem Ergebnis: Geben aus der Generation der über 50- und 60-Jährigen noch um die 70 Prozent aller Menschen an, „gern Sport im TV zu schauen”, sagen die Vertreter aus der Generation Z, nur noch zu 40 Prozent gern Sport im TV zu schauen. Bei Sportveranstaltungen schaltet sich die Generation Z nur etwa halb so gern ein wie „Baby-Boomer“ (Jahrgang 1950 bis 1964).
Fußball ist altersübergreifend mit 44,19 Prozent Interesse klar Nr. 1 – vor Leichtathletik, Schwimmen, Motorsport, Handball. Selbst die Fußball-Heim-EM 2024 wollen nur noch 57,1 Prozent verfolgen. Stirbt also der Sport langfristig aus? Umfrage-Chef und Diplom-Psychologe Rüdiger Maas sagte dazu Deutschlands größter Boulevard-Zeitung: „Die Gefahr besteht. Das Massenphänomen Sport wird mit den nächsten Generationen stark abnehmen. Individualsportarten dagegen werden eine größere Überlebenschance haben.“ Ebenso besorgniserregend sowohl für Sport-Verantwortliche als auch TV-Vertreter: Aus der Generation Z gaben lediglich noch 26 Prozent aller Befragten an, Olympische Spiele im TV zu verfolgen. Bei den Älteren sind dies frappierend mehr: über 71 Prozent.
„Was verändert sich da in unserer Gesellschaft?“, fragte jüngst die ARD in ihrem Online-Dienst. Sie hat allen Grund, sich Gedanken zu machen, schließlich wäre der Senderverbund einer der Hauptbetroffenen der neuen Entwicklungen. „Wir alle wissen natürlich schon lange, dass die jüngeren Menschen ein komplett anderes Medienverhalten an den Tag legen als Ältere“, heißt es. „Tageszeitungen haben dies in der Vergangenheit schmerzlich erfahren, deren Auflagen gingen extrem zurück. Es merkten dies aber auch TV- und Hörfunk-Macher, die auf Hintergrund-Berichterstattung und Informations-Übertragung mit Tiefgang setzten. Solcherlei Sendungen erlitten bei den Jüngeren enorme Quoten-Verluste. Die Jugend und junge Erwachsene stehen auf kurze Info-Schnipsel.“
Das Augsburger Institut fand heraus, dass bei den Jüngeren vor allem die 20-Sekunden-Shots von Anbietern wie Tiktok up to date sind. Übersetzt für den Fußball bedeutet dies: Die herkömmlichen 90 Minuten auf dem Platz und vor dem Bildschirm sind für die junge Generation viel zu lang. „Da erkennen wir zunehmend ein Aufmerksamkeitsdefizit über eine solch lange Strecke”, so Maas. Seine Leute glauben: Für die Jugend sind 90 Minuten Fußball langweilig. Für die betroffenen Medien ist das nicht nur ein Teil der Kunden von heute. Nein, das sind die Kunden von morgen – generell. Oder eben, im schlimmsten Fall, die Nicht-Kunden. Ergo: Die Zielgruppe wird immer kleiner.
Stichwort langweilig: Darauf machte auch der Zukunftsforscher Marcel Aberle vom Zukunftsinstitut in Frankfurt/Main und Wien jüngst aufmerksam. Die Digitalisierung verändere rund um den Fußball sehr viel: die technischen Möglichkeiten, die Mediennutzung junger Fans. Aberle glaubt zwar nicht, „dass ein virtuelles Stadionerlebnis jemals ein echtes Stadion-erlebnis ersetzen kann“. Er warnt aber gerade den deutschen Profifußball davor, diese technischen Entwicklungen nicht zu verschlafen. Denn eine Generation, die mit Smartphones und sozialen Medien aufwächst, wolle ein Sportereignis nicht mehr bloß 90 Minuten passiv konsumieren.
Ach, wenn es nur das wäre! Ins Umfeld passt eine Meldung aus diesen Tagen wie die Faust aufs Auge: Bei den Bundesjugendspielen wird es vom kommenden Schuljahr an für Grundschüler, wie es heißt, nur noch das Wettbewerbsformat geben, nicht mehr den „Wettkampf“ an sich. Bedeutet: Das Leistungsprinzip wird in Deutschland nun sogar bei den Bundesjugendspielen außer Kraft gesetzt. Leistungsdruck, so scheint es, wird als seelische Belastung empfunden. Also: Weniger Druck, mehr Spaß. Die einen beklagen es, andere klatschen Beifall. Zu letzteren gehören jene, für die Eierlaufen und Sackhüpfen beim Kindergeburtstag schon in Quälerei ausartet.
Hinter all dem steckt freilich ein grundsätzliches Problem. An vielen Schulen mangelt es seit Langem an den Voraussetzungen, um Kinder angemessen auf so etwas wie Bundesjugendspiele vorzubereiten oder überhaupt für Sport zu begeistern: qualifizierte Sportlehrerinnen und -lehrer, Turnhallen, Sportplätze mit Weitsprunggrube und Tartanbahn, ein Schwimmbad, idealerweise zu Fuß und nicht erst nach halbstündiger Busfahrt erreichbar. Das alles kostet Geld. Geld, das nicht investiert wird. Deshalb ist der Schulsport in Deutschland vielerorts abgehängt worden. Und wie die Studie zeigt: offenbar das Interesse am Sport generell.
Seite 29, Kompakt Zeitung Nr. 237