Gedanken- & Spaziergänge im Park: Kein Sommerloch
Von Paul F. Gaudi
Bei unserer Begrüßung sagte Gerd zu mir: „Leider hast Du mit dem Otto-Artikel in der vorigen KOMPAKT-ZEITUNG recht gehabt. Man strafte Bismarck an seinem 125. Todestag weitestgehend mit Nichtachtung. Selbst unsere Tageszeitung gedachte am letzten Juliwochenende nicht des berühmten Sohnes Sachsen-Anhalts. Kein großer Artikel und keine Erwähnung in der Wochenendbeilage, wo in einer Spalte immer besondere Jubiläen aufgeführt werden.“ „Ganz stimmt das nicht. Im Lokalteil für Havelberg erschien ein Artikel über ihn im Zusammenhang mit einem Sammler, der alles über Bismarck sammelt und im Stendaler Lokalteil wurde am 31. Juli über ein Treffen von Historikern anlässlich seines 125. Todestages im Schloss Döbbelin berichtet. Dort wurde übrigens bemerkt, dass Annalena Baerbock den Bismarckhering im Februar mit den Worten „die Zeiten ändern sich“ von der Speisekarte der Kantine im Auswärtigen Amt verbannt haben soll!“ „Dass feministische Außenpolitik so kleinkariert ist,“ grinste er. „Der arme Hering! Sie hätte ihn ja auch umbenennen können, in Clara-Zetkin-Hering, oder so.“ „Aber damit und mit der Entfernung des Bismarckporträts im letzten Dezember im Auswärtigen Amt führt Baerbock doch nur konsequent die frühere Ostberliner Linie fort. Bismarcks Geburtshaus Schloss Schönhausen in der Altmark ließ Walter Ulbricht 1958 auch bis auf einen bewohnten Seitenflügel sprengen, obwohl es 1945 nach der Enteignung der Bismarcks von der Sowjetarmee erhalten und dann von der Gemeinde genutzt wurde.“
Es braucht Verhandlungen
Ein Diplomat wie Bismarck würde derzeit nötiger gebraucht denn je. Seine Devise, dass Politik die Kunst des Möglichen ist, sollte eine Richtschnur sein, da der Krieg in der Ukraine anderthalb Jahre dauert. Gerd und ich sind uns einig, dass Putin ein rücksichtsloser und wohl auch größenwahnsinniger Machtmensch ist, dazu noch ein lupenreines Gewächs der GPU. Patriot ist er lediglich insofern, dass er der früheren Größe Russlands nachtrauert, egal ob es die Größe der Sowjetunion oder des Zarenreiches ist und sie wieder herstellen möchte. Dass er sich mit seinem Blitzkriegsplan total verrechnet hat, lässt ihn nicht umdenken. Aber es ist schwer vorstellbar, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann. Die Ukraine hat etwa 300.000 Soldaten, Russland ca. 1,3 Millionen. Wie rücksichtslos die Machthaber Russlands und der Sowjetunion ihr „Menschenmaterial“ einsetzten, ist aus zwei Weltkriegen zur Genüge bekannt. Bei der Kriegstechnik ist das Verhältnis sicher noch krasser zu Ungunsten der Ukraine. Das bedeutet, dass die Ukraine früher oder später ausgeblutet ist, auch wenn die NATO-Staaten noch so viel Militärtechnik liefern. Es wird irgendwann keine kampffähigen Ukrainer mehr geben. Ein aktives Eingreifen der NATO aber wäre solch eine Eskalation, dass ein dritter Weltkrieg möglich wäre – unser aller Untergang. Die Hoffnung, dass Putin gestürzt würde, ist trügerisch. Ganz abgesehen davon, dass ein neuer Machthaber noch aggressiver und skrupelloser sein könnte. Es braucht Verhandlungen und einen „ehrlichen Makler“, wie Bismarck einst genannt wurde, der die beiden Parteien an einen Tisch bringt und sie veranlasst, einen Kompromiss auszuhandeln. Sicher würden beide Parteien mit Maximalforderungen antreten, aber dabei kann es natürlich nicht bleiben, wenn ein Frieden erreicht werden soll.
„Für solche Verhandlungen auf höchster Ebene ist aber der Beschluss des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag vom März 2023, einen Haftbefehl gegen Putin wegen Kriegsverbrechen auszustellen, nicht sehr hilfreich“, bemerkte Gerd skeptisch. „Denn wer wird schon zu Verhandlungen kommen, wenn ihn Handschellen erwarten?“ Und er ließ sich weiter über dieses Thema aus: Recht und Unrecht seien Begriffe, die mit der menschlichen Zivilisation entstanden sind und im Laufe der Jahrtausende z. T. recht unterschiedliche Inhalte hatten. Manches, was in der DDR Recht war, gilt im vereinigten Deutschland als Unrecht und umgekehrt. Gesetze werden von Menschen gemacht, genauer gesagt von den Regierenden, und die denken zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturkreisen durchaus sehr unterschiedlich über ein und denselben Sachverhalt. Selbst ein so grundlegendes Gebot wie „Du sollst nicht töten“ wird im Krieg außer Kraft gesetzt und in sein Gegenteil verkehrt! Wir bilden uns nur ein, dass unsere Gesetze und gesellschaftlichen Normen selbstverständlich und die einzig richtigen wären, doch in manchen Teilen der Welt sieht man das durchaus anders. Widerstrebend musste ich ihm recht geben, kam dann zurück auf den Krieg in der Ukraine und auf das Zitat, dass Politik die Kunst des Möglichen sei. Gerd stimmte mir diesbezüglich zu, äußerte aber seine Skepsis. „Wo sind denn diese Politiker? Ich sehe sie jedenfalls hierzulande kaum. Eher habe ich den Eindruck, dass für unsere Regierenden Politik nicht die Kunst des Möglichen, sondern die Kunst des Wünschbaren ist!“ Da waren wir uns einig und fanden auf Anhieb genügend Beispiele, egal ob es die Außenpolitik ist oder die Einwanderungs- und die Energiepolitik. „Irgendwie“, sagte Gerd, „irgendwie fällt mir bei Politikern der Regierung oft Pippi Langstrumpf und ihr Lied ein mit dem Refrain: Zweimal Drei macht Vier und Drei macht Neune!! Wir machen uns die Welt wie sie uns gefällt.“ „Das könnte die Regierungshymne sein! Eine spaßige Umschreibung für ideologiegeleitetes Wunschdenken. Leider ist es in der Praxis alles andere als spaßig.“
40 Prozent für die Ampel
Immer mehr Bürger wenden sich von der Politik der Bundesregierung ab, wie die Umfrageergebnisse zeigen. Die CDU würde von mehr als einem Viertel der Wähler gewählt, die AfD von gut 20 Prozent, während die drei Regierungsparteien insgesamt mit Müh und Not auf knapp 40 Prozent kommen und weit von einer Mehrheit entfernt sind. In den neuen Ländern bekäme die AfD sogar um die 30 Prozent und wäre in allen fünf Ländern die stärkste Partei. Die Wut darüber ist groß und manch Politiker scheut sich nicht von „20 Prozent braunem Bodensatz“ bei uns zu sprechen. Gauck meinte kürzlich sogar, dass ein großer Teil der Ostdeutschen „mit der offenen Gesellschaft fremdele“ und nach „Führern“ suche, die sie von der Last befreien, eigenverantwortlich zu handeln. „Was für ein Unsinn“, ärgerte sich Gerd. In seinen Augen sind die Ostdeutschen, die lange genug von Ideologen regiert wurden, eindeutig wacher. Sie schauen hinter die Worte und erkennen, wenn die Politik mehr von einer Ideologie statt von praktischer Vernunft geleitet ist, denn das kennen sie zur Genüge. Und mit solch infantilen Phrasen wie „Wumms“ und „Doppelwumms“ fühlen sie sich mit Recht für dumm verkauft. „So etwas hätte nicht einmal Egon Krenz gesagt“, urteilte Gerd. Dazu kommt noch die Ideologisierung der Sprache. So wird Kritisches oft als feindlich bezeichnet. Wer z. B. die ausufernde Bürokratie der EU und ihr Hineinregieren in nationale Belange anspricht, sei nicht EU-kritisch, sondern EU-feindlich. Oder wer manche Sitten im Islam, wie die Kinderehe, die Stellung der Frau oder die Totalverschleierung nicht für gut hält, ist nicht islamkritisch, sondern wird als islamfeindlich diffamiert. Die Probleme der massiven Einwanderung zu erwähnen sei migrationsfeindlich. So versuchen Ideologen notwendige Diskussionen abzuwürgen. Ehemalige Bürger der DDR kennen das zur Genüge.
Es braucht praktische Vernunft
Wie schlichte Wahrheiten verleugnet werden, wurde auch nach dem Sommerinterview des ZDF mit Friedrich Merz deutlich. Auf die lokalen Wahlerfolge der AfD und die „Brandmauer“ zu ihr angesprochen, sagte er, dass auf lokaler Ebene natürlich eine Zusammenarbeit möglich und oft auch unvermeidbar wäre. Wegen dieser Selbstverständlichkeit wurde Merz sofort niedergemacht. Aber nicht nur von den Ampelparteien, sondern auch von namhaften Leuten der CDU, sozusagen Merkels ehemaliger Prinzengarde. Wer solche Parteifreunde hat, braucht keine Feinde mehr! Das Schlimmste aber kam noch: Merz bekam weiche Knie, ruderte zurück und verkündete auf Twitter, dass es auch auf der unteren Ebene keine Zusammenarbeit mit der AfD geben wird. „Das Konservative gehört nicht zum Markenkern der CDU“, sagte der Ministerpräsident von NRW Hendrik Wüst 2022 in einem Interview. Das ist reale Wahlhilfe für die AfD. Natürlich bekam Merz auch von den Grünen heftige Kritik. Bei ihnen würde es so etwas auch auf unteren Ebenen nie geben, meinte Ricarda Lang. Doch in einem Sommerinterview wurde sie zu ihrer großen Überraschung darauf angesprochen, dass ausgerechnet in ihrem Wahlkreis Backnang in Baden-Württemberg grüne Stadträte einem Antrag der AfD zugestimmt hatten. Ein Stadtrat der Grünen sagte dazu: „Wir sind alle per Du und gehen nach der Sitzung auch zusammen ein Bier trinken.“ In Gemeinderäten nützt reine Parteipolitik herzlich wenig zur Lösung der anstehenden Probleme. Da setzt man auf Männer und Frauen aus der Mitte der Gemeinschaft, denen man vertraut und wo die praktische Vernunft und nicht die Ideologie den Vortritt hat. „Und der Frauenfußball?“, fragte ich Gerd zum Schluss. „Na, wie bei den Männern. Die Erfolge und Misserfolge der Nationalmannschaft spiegeln eigentümlicherweise den Zustand unseres Staates wider. Durch bunte Armbinden Zeichen zu setzen und Haltung zu zeigen scheint heute wichtiger zu sein als gut Fußball zu spielen.“
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder in unserem Online-Shop bestellt werden.
Seite 8, Kompakt Zeitung Nr. 238