Römers Reich:
Sterbeungerechtigkeit

Axel Römer

Seit langer Zeit wuchs der Abstand der statistischen Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen. In manchen Regionen lagen Frauen bis zu sieben Jahren vor Männern. Wissenschaftler des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung legten nun eine Studie vor, nach der sich der Abstand seit Ende des 20. Jahrhunderts verkürzen würde und geben Gründe für die Umkehr an. So hätte sich die Differenz in der Mitte der 1990er Jahre von sieben Jahren auf aktuell nur noch 5,5 Jahre verringert. Die Forscher haben insgesamt 228 Regionen in sieben europäischen Ländern unter die Lupe genommen. In Dänemark, der Schweiz und in Süddeutschland sei die Lücke sogar um unter vier Jahre kleiner geworden. In der Tschechischen Republik, der Slowakei, Frankreich und in ostdeutschen Regionen gäbe es noch einen Unterschied von sechs Jahren.

Die Gründe, warum Männer ein vorzeitiges Sterbealter aufweisen würden, lag in der Vergangenheit vorrangig an höheren Gesundheitsrisiken und daran, dass sie öfter in Lohnarbeit waren als Frauen. Nun hätte sich das Sterberisiko auch deswegen verändert, weil sich die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten verbessert hätten, Männer weniger rauchten, der Tabakkonsum bei Frauen hingegen zugenommen hätte. Allerdings ist der Anteil von Frauen in Beschäftigung gestiegen. Damit einher gingen für das weibliche Geschlecht steigende Gesundheitsrisiken. Es seien also keine biologischen Gründe, sondern vorrangig der Lebensstil und eine vermehrte Inanspruchnahme von medizinischen Präventionsangeboten. Gleichberechtigung und veränderte Rollenbilder führten nun dazu, dass die statistische Lebenserwartung bei Frauen leicht zurückginge.

Folgt man der Erklärung der Bevölkerungsforscher, muss man fragen, warum in vielen öffentlichen Debatten zur Gleichberechtigung dieses Ungleichgewicht einer kürzeren Lebenszeit von Männern überhaupt keine Rolle gespielt hat. In diesem Bereich waren Männer zumindest statis-tisch tatsächlich benachteiligt. Dass Gleichberechtigungsprozesse dazu führen, dass es eine Angleichung bei den Geschlechtern aufgrund eines Ne-gativtrends gibt, ist eigentlich keine gute Nachricht. Wieso wird also keine Diskussion darüber geführt, wie man bei Männern das Sterberisiko verringern könnte, anstatt es bei Frauen zu erhöhen. Das Beispiel zeigt mir, dass solche Diskussionen häufig doch zu einseitig bzw. vorrangig aus einer Perspektive geführt werden. Schon der Begriff Lohnarbeit passt nicht als Hauptargument. Man muss schon einzelne Tätigkeitsbereiche betrachten, bei denen höhere Gesundheitsgefahren bestehen. Andersherum entsteht nämlich der Eindruck, dass jede Arbeit grundsätzlich zu einem verkürzten Leben führen würde. Dann könnte ich nur raten: Auf ins Schlaraffenland.

Seite 3, Kompakt Zeitung Nr. 239

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