Stadtmensch:
Muss das so teuer sein?
Lars Johansen
Eine Einschulung ist etwas, was jeder Mensch nur einmal im Leben erlebt. Und natürlich handelt es sich dabei um einen Einschnitt, der gewiss gebührend gefeiert werden muss. Danach wird nichts mehr wie zuvor sein und ab jetzt hat der so genannte Ernst des Lebens richtig begonnen. Daher verstehe ich es gut, dass ein Ereignis wie dieses nach mehr als einer Zuckertüte verlangt. Aber allmählich beginnt es zu eskalieren.
Ich gestehe, dass ich schon ein Problem damit habe, dass Ostern mittlerweile zu einem zweiten Weihnachten aufgeblasen wird. Aus Eiersuchen ist ein Wettbewerb geworden, den man schon an den Auslagen der Geschäfte ablesen kann. Spielzeug in Massen war nie die Idee eines Festes, welches den Tod, aber zugleich auch die Auferstehung feiert. Gerade diese Zweischneidigkeit machte das Fest zu etwas Besonderem, das natürlich im Frühling seinen Platz haben muss, wo man die Auferstehung der Welt nach einem harten Winter zelebriert. Die kleinen Nester mit Eiern, dem Symbol des Lebens, und das gemeinsame Bemalen und Auspusten erklärt auch den Jüngsten die Bedeutung dieses Festes im Kirchenjahr. Aber da die Religiosität mindestens in Sachsen-Anhalt sehr weit zurückgegangen ist, steht die Sinnhaftigkeit der ganzen Angelegenheit ohnehin in Frage. Entkleidet von dem christlichen Anteil bleibt ein Fruchtbarkeitsritual, das ähnlich wie das Erntedankfest funktionieren könnte. Doch stattdessen wird flächendeckend mit Geschenken bombardiert und auch die Erwartungshaltung steigt an. Gerade Kinder befinden sich in einem Wettbewerb mit ihrem Freundeskreis, den Menge, Wert und Größe der Gaben entscheidet. Natürlich ist das keine neue Entwicklung, aber sie erklimmt immer größere Höhen. Und natürlich werden damit auch gesellschaftliche Gräben vertieft.
Was bisher nur zu Weihnachten geschah, wo Kinder auf einmal erlebten, wo sie gesellschaftlich stehen, wiederholt sich nun auch zu Ostern und, schlimmer noch, und damit komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück, bei der Einschulung. Eine selbst gebastelte Schultüte mit selbst gebackenen Süßigkeiten vermag über vieles hinwegzutäuschen. Kreativen Eltern war es so gelungen, die Gräben einigermaßen zuzuschütten. Aber wenn eine Einschulungsfeier heute im Schnitt über 1.000 Euro kostet und die Erstausstattung für das Schulkind noch einmal mindestens die gleiche Summe verschlingt, dann wird es offensichtlich, dass sich hier nicht mehr kaschieren lässt und dass es ein immer größeres gesellschaftliches Ungleichgewicht gibt. Erwachsene mögen damit umgehen können, für kleine Kinder bleibt dieses unerklärlich. Die Einschulung wird so zum Beginn einer lebenslangen gesellschaftlichen Einordnung, die schon bei der Größe der Feier und der Geschenke massiv zutage tritt. Von Markenbekleidung, Schulranzen und Turnschuhen will ich nicht noch dazu anfangen, denn der Paukenschlag zu Beginn reicht da schon aus. Dazu kommt, dass immer mehr Eltern, die es sich leisten können, ihre Kinder in Privatschulen schicken. Denn hier können sie sicher sein, dass das Interesse der Schule größer ist, als bei den rein staatlichen Schulen, den Kindern eine gute Ausbildung zukommen zu lassen.
All diese Entwicklungen sind schon längerfristig Teil einer Gesellschaft, die mehr und mehr auseinanderdriftet. Es ist Zeit, gegenzusteuern. Ich weiß, dass man keine teuren Geschenke oder Feiern zur Einschulung verbieten kann und das soll auch nicht das Ziel sein, aber Kinderarmut ist eines der ganz großen, sträflich unterschätzten Themen der Gegenwart. Denn Kinderarmut bedeutet auch immer, dass schon deren Eltern arm sind. Und je sichtbarer diese Armut wird, umso relevanter ist sie auch. In meiner Kindheit konnte man diese Armut ganz gut kaschieren, sie fiel erst einmal nicht ganz so auf, wenn die Eltern einigermaßen kreativ waren. Ich weiß, wovon ich rede, denn wenn es meine Eltern auch im Lauf der Zeit schafften, Teil des Mittelstandes zu werden und ordentlich zu verdienen, so war das in meinen ersten Lebensjahren nur bedingt der Fall. Die erste Wohnung, in der alle Räume geheizt werden konnten, war mit einer zusätzlichen Hausmeisterstelle verbunden, die neben der Vollzeitarbeit auch noch bedient werden musste. Aber ich bemerkte diese Unterschiede als Kind und Jugendlicher nicht so eklatant, wie es heute der Fall ist. Denn die Feiern waren überschaubarer und dadurch die Möglichkeiten, ausgegrenzt zu werden, kleiner. Aber wenn heute ein Schulanfang alles in allem im Schnitt 2.000 Euro kostet, dann zementiert das die Gegensätze zwischen den „Schmuddelkindern“ und den „Musterschülern“. In der DDR gab es diese Unterschiede systembedingt nur in Ansätzen und in Westdeutschland hatte die sozialdemokratische Bildungspolitik der 70er Jahre versucht, sie zu nivellieren. Das war tatsächlich nicht langfristig von Erfolg gekrönt, aber es gab gute Ansätze. Bei der momentanen Bildungspolitik, die sich an ganz anderen Stellen bewähren muss und dabei regelmäßig versagt, fällt die ganze Problematik hinten runter und wird so ins Private verlagert. Jedem ist es selbst überlassen, wie er damit umgehen mag. Und so wie man mit einem Handstreich das Gendern verbieten kann, könnte man doch auch überbordende Feiern verbieten oder gesetzliche Standards einführen, die für alle gelten und dabei helfen könnten, die Ungleichheit weniger sichtbar zu machen. Aber vielleicht ist es auch ehrlicher, zu zeigen, dass die Zukunft in den Händen einer Generation liegt, der man sehr klar vor Augen geführt hat, dass Leistung egal ist und nur die Herkunft und das Elternhaus zählen. Die gute alte Ständegesellschaft kommt durch die Hintertür wieder zurück und gesellschaftlicher Aufstieg wird so schwierig wie in der guten alten Zeit. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich immer mehr Menschen diese Zeit zurückwünschen. Oder eigentlich doch, denn sie ist ja längst da.
Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 239