Meter 57: Die Domkanzel von Christoph Kapup und Sebastian Ertle
Erzählungen aus der gotischen Kathedrale
Michael Ronshausen

Sie ist als Ort der Verkündigung von Gottes Wort neben dem Altar nicht nur der zweitbedeutendste Ort innerhalb der evangelischen Liturgie. In ihrer gestalterischen Qualität gehört sie zu den herausragenden Kunstwerken im Magdeburger Dom: Die 1595 bis 1597 hergestellte Predigtkanzel im Langhaus der Kathedrale. Errichtet wurde sie in der Spätphase der Renaissance durch den aus Nordhausen stammenden und möglicherweise auch dort geborenen Steinmetz und Bildhauer Christoph Kapup. Neben anderen Künstlern war der aus Süddeutschland stammende Sebastian Ertle ebenfalls an dem Werk beteiligt.
Bereits in den Jahren vor dem Bau hatte sich Kapup innerhalb des Domkapitels künstlerisch einen guten Namen gemacht, was zur Empfehlung und schließlich zur Bestellung als leitender Künstler beim Bau und bei der Gestaltung der neuen Kanzel führte. Kapup verlegte daraufhin seinen Wohnsitz von Nordhausen nach Magdeburg, wobei ihn das evangelische Domkapitel tatkräftig unterstützte. Der Meister sah sich allerdings noch vor dem Beginn der Arbeiten gezwungen, das für den Bau der Kanzel benötigte Material vorzufinanzieren – eine damals erhebliche Summe von rund 200 Talern. Gearbeitet werden sollte die Kanzel aus Alabaster, ein dem Gips zuzurechnendes Mineral, welches dem Marmor optisch ähnlich ist, jedoch einfacher in Form gebracht werden kann.
In den zwei Jahren nach 1595 entstand ein insgesamt mehr als sieben Meter hohes Gesamtkunstwerk von höchster Aussagekraft. Besonders sehenswert sind die drei Reliefflächen am Kanzel-aufgang mit der Erschaffung Evas, dem fast wie eine Karikatur wirkenden Sündenfall (siehe Foto) und der Sintflut. Mitgetragen werden die Darstellungen auch von allerlei Getier, wobei dem Betrachter nicht nur einheimische Feld- und Waldbewohner wie Hase und Igel, sondern auch exotische Vertreter wie Löwe, Elefant und Affe entgegentreten. Selbst ein Fantasiewesen wie das Einhorn bevölkert die Szene mit der Schöpfung Evas. Spannend mag auch der Blick des dombesuchenden Filmliebhabers sein, denn auf der Sintfluttafel schwimmt eine Arche Noah im Wasser, die mit dem modernen Neubau aus dem US-Kino fast identisch ist.
Durch ihre detaillierte Ausarbeitung, ihr schadenanfälliges Material und leider auch durch Vandalismus, musste die Kanzel bereits mehrfach restauriert und in Teilen ergänzt werden. Bis heute fehlt diverses Schmuckwerk. Vor Jahrzehnten brach jemand den Arm jener Schlange ab, die den verhängnisvollen Apfel an Eva übergab. In einer Aktion des Domfördervereins konnten in jüngerer Zeit einige Arbeiten an der Kanzel ausgeführt werden – der verräterische Schlangenarm ist längst ergänzt. Im Zweiten Weltkrieg war die Kanzel in einem doppelten und mit Sand verfüllten Holzverschlag eingehaust. Hierbei muss man davon ausgehen, dass sie die Bombenschäden anderenfalls nicht überstanden hätte, wie die Kirchenbänke aus dem 19. Jahrhundert, die fast vollständig zerstört wurden. Im Dom selbst ist die Kanzel nicht nur ein historisch bedeutsames Ausstellungsstück, sie ist nach wie vor auch der Ort der Predigt in den Gottesdiensten. Und wer angesichts des Formen- und Figurenreichtums selbst rund um die Kanzel auf Entdeckungstour gehen möchte, sollte ausreichend Zeit mitbringen.
Seite 11, Kompakt Zeitung Nr. 239