Meter 58: Ernst Herbert Martin – Nazi, Nazigegner, Domprediger und Domretter

Erzählungen aus der gotischen Kathedrale

Michael Ronshausen

Domprediger Ernst Herbert Martin, um 1955

Unter den zahlreichen Dompredigerinnen und Dompredigern der vergangenen Jahrhunderte gab es einige, die sich neben ihrem geistlichen Engagement auch politisch betätigten. Ein aus heutiger Sicht negativ zu wertender Vertreter dieses Standes war beispielsweise Friedrich Peter, der neben seiner Funktion als Bischof auch 1. Domprediger an der Magdeburger Kathedrale war und den man wohl als strammen Nationalsozialisten bezeichnen darf. Peter bekannte sich schon Jahre vor der Machtübertragung von 1933 zu Adolf Hitler. Als einer der Wegbereiter der „Deutschen Christen“, einer Strömung der Evangelischen Kirche ganz im Sinne des NS-Staates, ging er sogar der stark konservativ geprägten Domgemeinde mit seinen Predigten und Einlassungen zu weit und wurde aus der Kirchenprovinz und dem Dom abberufen.


Einen anderen Weg wählte der Magdeburger Domprediger Ernst Herbert Martin (geboren am 3. März 1885 in Schraplau, verstorben am 12. November 1974 in Bad Münstereifel). Auch Martin stand über Jahre hinweg deutlich rechts der politischen Mitte, engagierte sich erfolgreich für die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) und saß für sie im Reichstag der Weimarer Republik. Ab 1933 war er Mitglied der NSDAP. Das Amt als 4. Domprediger bekleidete er über 39 Jahre – von 1918 bis 1957. 1929 war er einer der Verantwortlichen bei der Entfernung des Antikriegsehrenmals von Ernst Barlach aus dem Dom. Leider ist nicht bekannt, wie Martin die Neuaufstellung des Kunstwerks im Herbst 1955, zwei Jahre vor dem Ende seiner langen Dienstzeit, erlebte. Bekannt ist hingegen, dass Martin wegen seiner Annäherung zur Bekennenden Kirche noch in den 30er Jahren mit den Deutschen Christen brach und auch aus der NSDAP austrat.


Seinen nachhaltigsten, oder wenn man so will, verantwortungsvollsten Verdienst erwarb sich Martin jedoch innerhalb eines einzigen Tages. Um den 17. April 1945 wurde kurz vor der Einnahme Magdeburgs durch US-amerikanische Truppen am Südturm des bereits schwer beschädigten Doms eine weithin sichtbare Hakenkreuzfahne gehisst. Die vermutlich durch eine deutsche Militärdienststelle, möglicherweise auch durch Privatpersonen gezeigte Fahne wäre für die Amerikaner Anlass gewesen, den Dom mit Artilleriewaffen zu beschießen – wenn diese Provokation nicht innerhalb kurzer Zeit wieder verschwinden würde. Ernst Martin soll dafür gesorgt haben, diesem Ultimatum kurz vor Ablauf Folge zu leisten. Damit dürfte der Domprediger trotz seiner früheren und zeitweiligen Irrwege einer der Retter des Doms gewesen sein.


Am Ende seiner Dienstzeit im Dom, und selbst schon im 73. Lebensjahr stehend, resignierte Martin schließlich 1957. Erstaunlicherweise war der Grund für seinen Weggang nicht einmal unmittelbar im politischen Bereich angesiedelt. Für Martin war das seit Jahrhunderten hinter dem Liturgiealtar stehende Triumphkreuz der existenzielle Ort seines Domempfindens. Nach dem Abbau dieses zentralen Symbols des christlichen Glaubens durch die Denkmalpflege (1956) war der Magdeburger Dom nicht mehr sein Dom.

Seite 11, Kompakt Zeitung Nr. 240

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