Stadtmensch: Kultur und knappe Kassen
Lars Johansen
Die beliebteste Ausrede der Politik, warum man Kultur nicht angemessen fördern kann, ist immer das Argument mit den knappen Kassen. Schließlich sei Kultur ja nur eine freiwillige Leistung und daher könne man dort am ehesten einsparen. Knappe Kasse bedeutet in diesem Moment eigentlich, dass man, also Stadt, Land oder Bund knapp bei Kasse ist. Natürlich stimmt das nicht. Es ist genug Geld da, aber man hat es in andere Fächer gelegt. Und dann gibt es da ja auch noch die Schuldenbremse und die schwarze Null und was an Phrasen noch so benutzt wird. Letztendlich will man das Geld nicht für Kultur ausgeben, denn diese pflegt sehr oft subversiv zu sein und das erscheint der jeweiligen Regierung nicht angemessen. Schließlich könnten sich die Wähler darüber beschweren. Aus diesem Grunde hat die Bundesregierung haufenweise Goethe-Institute geschlossen. Oder ging es eher darum, die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland so zusammenzukürzen, wie es ja im Bildungsbereich ohnehin geschieht? Man weiß es nicht und so richtig mag niemand darüber disputieren, denn dann müsste man einmal länger darüber nachdenken, wie wichtig uns diese Vermittlungsarbeit wirklich ist und wie sie eigentlich aufgestellt sein müsste, um Menschen wirklich zu erreichen. Das gelingt uns ja schon nicht mit der sonstigen Kulturförderung, denn diese richtet sich, wenn wir ehrlich sind, nur an eine Minderheit. Und es scheint nicht das Ziel zu sein, auch Menschen zu erreichen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nur einen rudimentären Zugang zu Kulturinstitutionen haben.
Denn eine gute kulturelle Bildung führt zu unabhängigen Geistern. Und damit meine ich jetzt nicht die Querdenker, welche ohne diese Bildung einfach nur dagegen quäken wollen. Dieses obskure Dagegen kann sehr schnell wechseln, denn es geht nicht um Substanz, sondern um eine grundsätzliche Opposition. Wenn die Regierung morgen die flache Erde propagieren würde, kann man sich darauf verlassen, dass alle Flacherdler kurz danach auf einmal von der Kugelform unseres Planeten überzeugt sind. Doch um diese soll es auch nicht gehen. Gebildete Menschen hinterfragen sehr ernsthaft die politischen Gegebenheiten und engagieren sich für eine Verbesserung der gegenwärtigen Situation. Um die Grundlagen dafür zu schaffen, bedarf es aber der Förderung von Kultur im Allgemeinen. Gerade niedrigschwellige Angebote vermögen hier etwas zu bewirken.
Das beste Beispiel dafür war die Kulturnacht in Magdeburg in diesem Jahr. Ich muss ehrlich gestehen, dass mich das Konzept, nur den Nordabschnitt des Breiten Weges zu bespielen, im Vorfeld wenig überzeugt hat. Ich empfand diese Beschränkung als wenig zielführend und zu klein gedacht. Doch ich wurde eines Besseren belehrt. Denn die Zustimmung der Besucher war überwältigend. Bis in die Nacht hinein bewegten sich große Mengen von Menschen über das Areal. Zwar hätte man eigentlich einen überschaubaren Obolus bezahlen müssen, aber da viele Aktivitäten im Freien stattfanden, war es auch den weniger Betuchten möglich, hier etwas zu erleben. Die Palette reichte von Musik über Theater und Malerei bis zur Performance und sogar Besichtigungstouren in ansonsten unzugänglichen Gebäuden. Dazu kamen wenige „Fressbuden“, die ansonsten das obligatorische Stadtfest regelmäßig verwässern, weil sie viel zu viel Platz beanspruchen. Bei der Kulturnacht spielten sie nur eine angemessene Nebenrolle und so stand tatsächlich das künstlerische Treiben im Vordergrund. Die Vielfalt der Angebote bot tatsächlich allen Teilnehmern etwas, denn man konnte sich heraussuchen, worauf man Lust hatte, die vollen Räume bewiesen, dass diese Möglichkeit genutzt wurde. Die Diversität des Gebotenen fand nebeneinander statt, ohne sich gegenseitig zu stören, leise und laute Töne erklangen zur gleichen Zeit an unterschiedlichen Orten. Die Gesichter der Menschen wirkten offen, da sie nicht gezwungen wurden, etwas zu Ende sehen zu müssen, weil es nun mal bezahlt war. Sie konnten wechseln und so Disparates neben- oder nacheinander erleben, sich gleichsam wie von einem Buffet ein Kulturangebot zusammenstellen, welches ihren Bedürfnissen gerecht wurde.
Wenn man mit den Gästen ins Gespräch kam, und das war leicht an diesem Abend, dann erlebte man ein weltoffenes Magdeburg, das man oft, wenn man die sozialen Medien verfolgt, schon als verloren wähnt. Doch solche Ereignisse führen zu einer Veränderung der eigenen Wahrnehmung. Das Andere ist auf einmal nicht mehr nur gefährlich, sondern lädt dazu ein, sich darauf einzulassen. Kunst und Kultur sind auf einmal nichts Abs-traktes mehr, sondern konkretes und positives Erleben. Das mag ein wenig zu einfach klingen, aber genau diese Einfachheit konnte man hier unmittelbar erfahren.
Wenn nun aber, wie man hört, die nächste Kulturnacht möglicherweise aufgrund von Sparmaßnahmen abgesagt werde sollte, dann wird dieses positive Erfahren nicht mehr möglich sein. Die Millionen für die Sanierung von Stadthalle und Hyparschale erreichen letztendlich doch nur wieder Kulturkonsumenten mit ein wenig größeren Geldbeuteln, denn die Eintrittspreise werden sich eher nach oben orientieren, wie man schon jetzt sehen kann. Konzertpreise sind hoch wie nie und für immer mehr Menschen unerschwinglich. Das spaltet eine Gesellschaft tatsächlich. Dem gilt es vorzubeugen. Eine Kulturnacht wie die diesjährige stellt hier die beste Prävention dar. Es gibt anderes Einsparpotential. Und so lange wir uns wie bei Intel die Subvention jedes einzelnen Arbeitsplatzes mit einer Million Euro leisten können, haben wir auch genug Geld für eine Kulturnacht.
Seite 7, Kompakt Zeitung Nr. 242