Der Antisemitismus der Bösen und der „Guten“
Prof. Reinhard Szibor
Die Mehrheit der Deutschen nimmt einen wachsenden Antisemitismus wahr und bringt ihn mit dem Erstarken rechter Parteien in Verbindung. Aber Antisemitismus tritt nicht nur in aggressiver Judenfeindlichkeit zu Tage, sondern auch in subtileren Formen, die unser gesellschaftliches Klima vergiften und das Leben nicht nur der Juden, sondern von uns allen beeinträchtigen. Solche Spielarten des Antisemitismus sind rechts und links zu Hause.
Judenfeindlichkeit gilt als ein Relikt aus der Nazizeit, das man am ehesten bei der AfD und rechten Organisationen wahrnimmt. Aber solange man die politische Szene in rechts und links einteilen kann, ist Antisemitismus links ebenso verortet.
Im Deutschland der Gegenwart gibt es relativ wenige Menschen, die sich offen zum Judenhass bekennen oder gar in diesem Sinne handeln. Antisemitisch motivierte Terroranschläge, wie das Attentat von Halle, sind selten, aber sie sind eine reale Gefahr. Personen, die sich als jüdisch zu erkennen geben, etwa weil sie eine Kippa tragen, werden zunehmend angefeindet oder gar physisch angegriffen. In diesem Feld kommen die Täter aus der rechten Szene oder es sind Migranten aus dem arabischen Raum, wo Antisemitismus Staatsdoktrin ist. Dieses Problem hat nicht nur Deutschland. Aus einigen Städten Schwedens, wie z. B. Malmö, ist die jüdische Minderheit auf Grund dieser Situation fast vollständig geflohen. Es gibt wieder „judenfreie“ Städte – ein Horrorszenarium, das in Nazi-Deutschland ersonnen wurde, kehrt nach Europa zurück. Eine höhere Verbreitung in unserer Bevölkerung erfährt der „Sekundäre Antisemitismus“. Diese subtile Form der Judenfeindlichkeit wird vor allem im Kontext der Erinnerung an die NS-Verbrechen sichtbar. Sie äußert sich in einer Relativierung oder Leugnung des Holocausts, der Forderung nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit oder in der rhetorischen Umkehr von Opfern und Tätern. Dieser Erinnerungs- oder Schuldabwehr-Antisemitismus ist eine Erscheinung, die nicht trotz, sondern wegen Auschwitz auftritt. Es handelt sich um eine Art der Judenfeindschaft, die (zitiert nach Malte Holler) aus der „Diskrepanz zwischen dem Wunsch zu vergessen bzw. nicht erinnert zu werden und der beständigen Konfrontation mit den deutschen Verbrechen“ entsteht. Auch diese Form des Antisemitismus findet man im rechten Milieu, sie ist aber bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig. Mit beißendem Sarkasmus hat der österreichisch-israelische Autor Zvi Rex das Phänomen des „Sekundären Antisemitismus“ auf den Punkt gebracht: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“ Es gibt aber noch ein subtileres Feld des Antisemitismus, nämlich den „Strukturellen Antisemitismus“.
Struktureller Antisemitismus
In der Antisemitismusforschung bezeichnet man Verhaltensweisen, die sich nicht ausdrücklich gegen Juden richten, aber Begrifflichkeit und Argumentationsstruktur dem klassischen Antisemitismus entliehen haben, als „strukturell antisemitisch“. Struktureller Antisemitismus wird oft gar nicht als solcher erkannt. Das führt dazu, dass hierbei sogar die „Guten“ mitmischen. In deren Narrativen müssen Juden gar nicht vorkommen. Zumeist werden dunkle Mächte beschworen, die uns und die ganze Welt regieren wollen. Dieser Antisemitismus zeigt sich codiert und verdeckt. Werden im klassischen Antisemitismus die Rothschilds noch beim Namen genannt, kommt der Strukturelle Antisemitismus meist als überbordende Kapitalismuskritik daher, gern auch mit Tiervergleichen zu vermeintlich widerwärtigen Geschöpfen wie Heuschrecken, Kraken und Ratten. Gängige Chiffren sind Ostküste, Marionetten und Globalisten. In Björn Höckes Entwurf zum neuen Parteiprogramm für die AfD geht es um „globalistisch eingestellte Eliten“, die die EU tragen würden. Die Begriffe „globalistisch“ und „Globalisten“ meinen eine vermeintlich mysteriöse internationale Elite, die angeblich im Hintergrund die Fäden zieht. Diese Begriffe werden von Wissenschaftlern in einschlägigen Fächern als „antisemitische Chiffren“ bezeichnet. Gern verweist man auch auf Bill Gates, der angeblich die ganze Welt in eine Impfdiktatur zwingen wolle, bis hin zu der Absurdität, dass den ahnungslosen „Impfopfern“ dabei auch gleich noch ein Mikrochip implantiert werden solle, damit die Fremdsteuerung dann auch perfekt klappt. Globalisierungskritik haben aber nicht die AfD und die ihnen nahestehenden Gruppen erfunden, sondern die linke Community. Wie sogar die straff links ausgerichtete Amadeu Antonio Stiftung in ihren Studien anmerkt, führen Linke eine Globalisierungsdebatte mit allen Merkmalen des Strukturellen Antisemitismus. Darin wird das Narrativ von der mächtigen, raffgierigen Elite, die im Geheimen agiere und das Weltgeschehen lenke, erzählt. Dabei steht das lange vor der AfD gegründete „globalisierungskritische Netzwerk ATTAC“ in vorderster Front. Die Stimmungsmache gegen die Globalisierung und gegen die Globalisten ist deren zentrales Kampfanliegen. Damit brachten sie zigtausende Menschen auf die Straßen, die keineswegs nur friedlich gegen die Freihandelsabkommen CETA und TTIP kämpften. Ob wohl jedem, der sich da eingereiht hat, klar war, dass man hierfür Ursprung und Triebkraft dem Strukturellen Antisemitismus zuordnen muss? Eines ist bemerkenswert: Wenn man die Informationen der Website der linken Amadeu Antonio Stiftung in der Rubrik „Tacheles“ zur Kenntnis nimmt, kommt man zu dem Schluss, dass in Bezug auf die Erscheinungsform des Strukturellen Antisemitismus Björn Höcke und Sven Giegold (MdEP für die Grünen) als Strippenzieher der AfD bzw. von ATTAC, zwei Gesichter derselben Medaille sind.
Renaissance antisemitischer Stereotype
Die Angstmache vor MONSANTO und die Bekämpfung all seiner Produkte, inklusive der Grünen Gentechnik, ist ein lehrbuchtaugliches Beispiel dafür, was Struktureller Antisemitismus ist. Ausgangspunkt für das populäre Schlechtreden der Gentechnik ist, dass der inzwischen von der BAYER-AG übernommene MONSANTO-Konzern, der die Grüne Gentechnik als erster kommerzialisiert hat, von einer jüdischen Familie gegründet worden ist. Der antisemitische Verschwörungsmythos, dass MONSANTO über den Weg der Nutzung der Biotechnologie die Kontrolle über das Saatgut und somit die Weltherrschaft anstrebt, ist erfolgreich. Da passt dann auch der Henry Kissinger zugeschriebene Ausspruch, der gern zitiert wird: „Wer das Öl kontrolliert, ist in der Lage, ganze Nationen zu kontrollieren; wer die Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen“. Es trifft sich gut, dass auch Kissinger einer jüdischen Familie entstammt. Unglücklicherweise ist der Fakt, dass die Antigentechnikbewegung, ebenso wie der ideologische Kampf gegen völlig unbedenkliche Produkte des MONSANTO-Konzerns, ihren Ursprung im Antisemitismus gegen den jüdischen Konzern haben, in Vergessenheit geraten. Wenn Institutionen, Produkte oder Kreationen erst einmal mit einem Negativ-Image belastet sind, ist es kaum möglich, dieses wieder zu löschen. Mit MONSANTO ist es so ähnlich wie mit dem Werk von Felix Mendelsohn-Bartholdy. Die Musik ist genial, aber die Nazis hatten sie als „jüdisch“ verunglimpft. Das Negativimage blieb noch erhalten, nachdem die Nazis schon hinweggefegt waren. Noch in den 1980er Jahren sah sich der Dirigent Kurt Masur veranlasst, die geniale Musik gegen den Vorwurf der Minderwertigkeit zu verteidigen. Alte Ressentiments wirken lange nach, so ist es auch bei dem antisemitischen Ursprung der Gentechnikphobie und dem Image der MONSANTO-Produkte.
Geschickt vermeidet man allerdings den NS-Begriff der „Jüdischen Weltherrschaft“, denn mit offenem Antisemitismus findet man heute wenig Sympathie. Aber ganz in diesem Sinne verwendet Martin Häusling, MdEP für die Grünen, in seinen Schriften das Symbol des jüdischen Kraken. Er lässt die Kombination mit dem Judenstern weg, hat sich aber trotzdem bei der nationalsozialistischen Wochenzeitung „Der Stürmer“ bedient. Seine im Antisemitismus wurzelnde, jetzt im Gewand des Antikapitalismus daherkommende Botschaft verfängt.
Vandana Shiva, Hochstaplerin aus Indien, Aktivistin gegen Gentechnik, Trägerin des „Alternativen Nobelpreises“ und Partnerin von „Brot für die Welt“ verbreitet ebenfalls solche kruden Verschwörungsmythen und findet hohe Zustimmung in Medien und den Gremien der Evangelischen Kirche. Auch ihre Beschuldigung lautet, der MONSANTO-Konzern und Bill Gates würden erfolgreich die Weltherrschaft über die Nahrungsmittelproduktion anstreben.
Brunnenvergiftungsmythos 2.0: MONSANTO wird uns alle vergiften
Der Mythos, dass Juden Brunnenvergifter wären, entstammt dem Mittelalter. Dieses Narrativ wird bis heute in immer neuen Varianten gepflegt, so auch geschehen im Juni 2016 im Europaparlament. Da beschwor der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas das alte Stereotyp so: „Bestimmte Rabbis in Israel haben ihre Regierung klar, sehr klar dazu aufgefordert, dass unser Wasser vergiftet werden sollte, um Palästinenser zu töten.“ Der Beifall für die lügenlastige Rede war frenetisch und der Parlamentspräsident und spätere Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, lobte sie als „inspirierend“.
Eine weitere Variante der Brunnenvergifter-Erzählung lieferte die schon erwähnte Vandana Shiva. Sie sieht die Herstellung von chemischen Pflanzenschutzmitteln bei MONSANTO u. a. in der Tradition der Zyklon B-Anwendung in deutschen KZs. Trotz dieser Infamie war sie mindestens 6-mal zu evangelischen Kirchentagen und zu einem Fernsehgottesdienst in Hannover (2015) eingeladen.
Der Giftvorwurf zielt v. a. auf Produkte des jüdischen Konzerns MONSANTO. Wenn wir durch deren Toxizität vielleicht auch nicht gleich tot umfallen, müssen diese in dem gängigen Narrativ mindestens krebsauslösend und extrem umweltschädlich sein. Ein Verbot muss her! Dazu gibt es eine rot-grün-blaue Parteienallianz und diesbezügliche Petitionen mit zigtausend Unterschriften. Beim Faktencheck zur Diffamierung der Produkte Glyphosat als Unkrautvernichter und des Süßungsmittels Aspartam kommt dann aber etwas ganz anderes heraus. Bei der Verstoffwechselung des Zuckerersatzes, der immerhin die Kalorienaufnahme reduziert und der gefährlichen Übergewichtigkeit von Kindern und Jugendlichen entgegenwirkt, entsteht Formaldehyd, das tatsächlich krebserregend ist. Aber die Dosis macht das Gift. Formaldehyd essen wir auch mit Obst. Eine 100-g-Birne enthält etwa 20 mg davon. Die Verstoffwechselung der Menge Aspartam, die in einem Liter Cola steckt, belastet unseren Körper mit ca. 6 bis 7 mg. Das Giftäquivalent zu einer Birne sind demnach etwa 3 Liter Cola mit MONSANTO-Aspartam.
Ähnlich ist es mit Glyphosat. Hinsichtlich seines Risikopotenzials für die Gesundheit von Menschen und Tieren und der Umwelt ist es wohl die best-untersuchte Chemikalie der Welt. Nahezu alle Studien besagen, dass es nicht krebsauslösend ist, lediglich einige Publikationen, deren Qualität aber angezweifelt wird, halten dies doch für möglich. Aber selbst danach rangiert das Mittel nur in der gleichen Kategorie wie Kaffee, rotes Fleisch und Zwieback. Aber auch das nur, wenn es in extrem hohen Dosen in unseren Lebensmitteln vorkommen würde, was nicht der Fall ist. Auch was die Umweltverträglichkeit betrifft, ist Glyphosat vergleichsweise harmlos. Alle anderen Alternativen der Unkrautbekämpfung sind verheerend. Das Abflammen und die Heißwasserbehandlung von Flächen töten alles, was da kreucht und fleucht, und auch die umbrechende Bodenbearbeitung reduziert die Artenvielfalt deutlich mehr, erzeugt viel Kohlendioxid und befördert die Bodenerosion. Glyphosat tötet keine Tiere. Nur wenn es in extremen Mengen in Gewässer gelangt, stört es die Entwicklung von Kaulquappen. Das passiert bei sachgerechter Anwendung aber nicht.
Wer sich traut, Fakten zu benennen, braucht Mut
Wie sich zeigt, richtet sich Antisemitismus nicht nur gegen die jüdischen Mitbürger und gegen Israel. Das allein wäre schlimm genug. Verschiedene Spielarten des Phänomens greifen tief in das gesamtgesellschaftliche Leben ein und stören sogar wirtschaftliche Prozesse. Ein liebgewonnenes Bild ist revisionsbedürftig. Danach gibt es eine schöne heile Welt, in der auf der einen Seite die Rechten den Antisemitismus praktizieren und im linken und gutbürgerlichen Spektrum sind die Guten verortet, die damit nichts zu tun haben. Der WDR und Arte hatten eine Dokumentation zum Antisemitismus in Auftrag gegeben, die 2017 unter dem Titel „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa“ fertiggestellt war. Die Sender ließen den Film aber in der Versenkung verschwinden, weil er für den Auftraggeber unerwartet eine starke Verwurzelung des Judenhasses im linken Milieu dokumentierte. Erst nachdem „Bild“ die Dokumentation widerrechtlich veröffentlicht hatte, gaben auch die Auftraggeber klein bei und sendeten den Film. Schade nur, dass es einer illegalen Aktion bedurfte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Seite 10, Kompakt Zeitung Nr. 242