150 Jahre Magdeburger Hauptbahnhof

Von Michael Ronshausen

Ausflug in die regionale Eisenbahngeschichte | Teil 4

Von Beginn der Eisenbahnzeit an war das Schienennetz stets Veränderungen unterworfen. Oft wurden bereits installierte Stecken als nicht mehr notwendig angesehen oder es kamen Naturgewalten ins Spiel. Häufig spielten wirtschaftliche Gründe eine Rolle, und einige Male sorgte die große Politik für den Prellbock auf dem Gleis. Bereits am Anfang mussten sich Eisenbahnplaner mit politischen Hürden für eine der frühen Schienenverbindungen auseinandersetzen. Ausgerechnet in Magdeburg – und zwar etliche Jahre vor dem Bau der „Nürnberg-Führter-Bierfass-Straßenbahn“ von 1835, die heute als erste deutsche Eisenbahn bezeichnet wird – wurde bereits der Bau einer Eisenbahnverbindung zwischen Magdeburg, Halle und Leipzig (und damit der ersten länderübergreifenden Bahn zwischen Preußen und Sachsen) verhindert. Magdeburg hatte über die Jahrhunderte hinweg wirtschaftlich durch den Fernhandel über die Elbe immer gewonnen. Für die Kaufmannschaft gab es zu dieser Zeit überhaupt keinen Grund, mit dem sowieso als lebensgefährlich eingestuften Dampfbahn-unsinn zu beginnen und sich über die Schiene weitere Konkurrenz in die Umgebung zu holen.

Tatsächlich änderte sich diese Auffassung bald. Denn ein halbes Jahr bevor der „Adler“ Anfang Dezember 1835 startete, kamen bayrische Bierfässer über die Schiene nach Magdeburg. Die offenbar klüger gewordenen Magdeburger Kaufleute beantragten am 22. Mai 1835 bei der Preußischen Regierung den Bau der Eisenbahn zwischen Magdeburg und Leipzig. Bekanntlich schießen die Preußen nicht so schnell. Und wären sie nicht beim Bewilligen neuer Eisenbahnlinien – die Genehmigung ließ zwei Jahre auf sich warten – so langsam gewesen, würde heute kein Mensch mehr über bayrische Bierfässer auf Bahngleisen sprechen. Nach der Vorgeschichte der Verbindung von Magdeburg, Halle und Leipzig hält diese Geschichte der Linie eine weitere Besonderheit.

Nicht nur in Magdeburg war man der Eisenbahn gegenüber anfangs ablehnend gegenüber eingestellt. Andere regionale Landesherren sahen in dem neuen Verkehrsmittel die Möglichkeit, unbeabsichtigt die eigene Bevölkerung zu mobilisieren und ihr in den Städten durch die Industrialisierung eine neue Arbeitsperspektive zu eröffnen. So verweigerte zeitweise das eigentlich abseits gelegene Fürstentum Anhalt-Zerbst durch die westlich gelegene Exklave rund um Groß-Mühlingen den Durchgang der neuen Strecke, die nun – jetzt östlich an Gnadau vorbei – nach Köthen geführt werden musste. Erst Jahre später konnte Bernburg an den Schienenverkehr angeschlossen werden. Ein anderes, heute aufgelassenes, Bauwerk der früheren Eisenbahnlandschaft befindet sich im südlichen Raum von Magdeburg. Als Bestandteil der einstigen Bahnlinie zwischen Berlin und Blankenheim überspannt die in ihrer Frühzeit aus den 1870er-Jahren stammende Elbbrücke bei Barby den Fluss. Vor 20 Jahren stillgelegt und inzwischen nur noch für Fußgänger und Fahrradfahrer in Betrieb, stellt sie trotz einiger Umbaumaßnahmen noch immer eines der ingenieurtechnisch bedeutendsten Bauwerke des historischen Eisenbahnverkehrs dar.

Eine andere Eisenbahn-Großbaustelle befindet sich im Norden, ebenfalls abseits von Magdeburg. Die noch heute als Lehrter Bahn (nach dem bei Hannover gelegen Ort Lehrte) benannte Linie verbindet seit mehr als 150 Jahren die Reichshauptstadt Berlin über rund 250 Kilometer mit Lehrte, und schuf somit vielleicht nicht den wichtigsten, aber immerhin den kürzesten Berliner Schienenweg in Richtung Westen. Bedeutsam werden sollte der Verlauf der Lehrter Bahn gut 100 Jahre später. Noch zur Zeit der Deutschen Teilung einigten sich die Bundesrepublik und die damalige DDR über den Bau zur Errichtung einer separierten Schnellfahrstrecke zwischen Niedersachsen und West-Berlin. In Betracht gekommen wäre ein durch die DDR vollzogener und durch die BRD finanzierter Ausbau/Neubau dieser Verbindung über Magdeburg (sowie über Brandenburg und Potsdam), daran hatte die DDR aus dem bekannten Problem des innerdeutschen Transitverkehrs jedoch nur wenig Interesse. Wirklich Gestalt nahm das Projekt erst in der Wendezeit an, und so kam es schließlich zu einer parallel zur Lehrter Bahn verlaufenden und hochmodernen Eisenbahnstrecke, auf der der ICE quer durch die Altmark rauscht und – Magdeburg bleibt abgehängt.

In den Jahrzehnten vor der Wiedervereinigung verschwanden zahlreiche Bahnverbindungen zwischen Ost und West. Eines der bekanntesten Beispiele ist noch heute in Oschersleben zu sehen. Der heute als Betriebsstelle heruntergestufte Bahnhof (er existiert inzwischen seit 180 Jahren), war einst ein Zweigpunkt für wichtige länderübergreifende Eisenbahnlinien. Heute ist er nur noch Haltepunkt auf der Linie zwischen Magdeburg und Halberstadt. Die westwärts, in Richtung Niedersachsen verlaufenden Gleise sind inzwischen verschwunden. Wie in Magdeburg teilten sich anfangs zwei Eisenbahnunternehmen den Bahnhof. Darüber hinaus war der ursprüngliche Keilbahnhof im 19. Jahrhundert Grenzübergang und Zollstelle zwischen dem Königreich Preußen und dem Braunschweiger Herzogtum. Das Ende dieser bedeutenden Anlage wurde nach dem Zweiten Weltkrieg eingeläutet. In Folge der Deutschen Teilung kappte man die direkte Verbindung zwischen Ost und West. Bis in die späten 1960er Jahre fuhren Züge noch bis Hötensleben, in der Nachwendezeit noch bis nach Gunsleben. Saniert und einer anderen Nutzung zugeführt wurde zuletzt das frühere Hauptgebäude dieses Bahnhofs.

Seite 17, Kompakt Zeitung Nr. 243

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