Die Schwimmenden sitzen am Beckenrand und ruhen sich aus
Liebe Lesende,
um die LGBTQIA+ – und insbesondere frauenfeindliche deutsche Sprache nach Jahrhunderten der Unterdrückung endlich wieder geschlechtergerecht zu verwenden, habe ich mich entschieden, Substantive durch Verben mit ihrem Präsenspartizip zu ersetzen. Soll ich etwa schreiben: „Die Schwimmer sitzen am Beckenrand“? Es geht doch gar nicht, den Plural von „Der Schwimmer“ zu verwenden, wenn Frauen oder Diverse dabei sind. Bei der Substantivierung des Präsenspartizips gibt es in meinem Beispiel zwar das logische Problem der Gleichzeitigkeit, denn die Schwimmenden können nicht gleichzeitig am Beckenrand sitzen, aber wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht, darf man nicht so kleinlich sein. Die deutsche Grammatik und auch das alte, männerdominierte Sprachgefühl müssen sich eben ändern. Ein anderes Beispiel: „Die Laufenden stehen vor dem Haus und warten“. Gut, dann laufen sie gerade nicht, aber spielt das denn eine Rolle, wenn es um´s Prinzip geht. Bei Studierenden ist die Verwendung des Partizips nicht so irritierend, denn die studieren immer, egal, was sie sonst gerade machen. Das setzen wir voraus, denn die Zahlenden sind schließlich wir. Also gut, das hätten wir jetzt geklärt. Schwieriger wird die Diskussion mit Ignoranten, wenn es um weibliche Wortformen geht. Natürlich hätte ich oben auch „Liebe Leserinnen“ sagen können, aber dann hätten sich ggf. ein paar alte weiße Männer aufgeregt. Das ist zwar letztlich egal, aber wir sind ja höflich und schreiben dann besser „Liebe Leser:Innen“. Hier gibt es natürlich auch mehrere Schreibvarianten, aber dazu verweise ich auf die Spezialliteratur. Noch ist dieser notwendige Transformationsprozess nicht abgeschlossen, wir müssen also noch etwas warten, bis auch der Duden hier grünes Licht gibt. In diesem Zusammenhang scheint es auch unerlässlich, neue Wörter zu finden, um Gleichberechtigung zu erzeugen. Bleiben wir z. B. mal bei „Der Mensch“. Wieder so eine typische, unterdrückungserzeugende Wortform, die die Unterdrücker geschaffen haben, um ihre Macht über Frauen und alle LGBTQIA+ zu demonstrieren. So geht es also nicht weiter, und man könnte hier z. B. „Die Menschin“ sagen, allgemeiner dann, um auch das männliche Geschlecht – ich erwähnte oben schon aus fraulicher Toleranz heraus – einzubeziehen, „Mensch:Innen“ formulieren. Wobei wir bei einer der Ursachen dieser Diskussion angekommen sind, dem Geschlecht. Wie konnten es Jahrhunderte lang Hebammen und Ärzte nur wagen, beim Betrachten des neugeborenen Kindes das Geschlecht zu benennen. Woran haben sie das denn festgemacht? An solchen Dingen wie den sichtbaren Geschlechtsorganen? Extrem oberflächlich und unwissenschaftlich, wie wir durch die Genderforschung von rund 200 Lehrstühlen allein in Deutschland nun schon lange wissen. Das Geschlecht ist ein gesellschaftliches Konstrukt, keine biologisch festgelegte Erscheinung. Wer heute so oberflächlich über „Biologische Determiniertheit“ redet, muss sich nicht wundern, wenn er in die Nähe rückwärtsgewandter und menschenfeindlicher Ideologien gerückt wird. Hier, und das muss auch mal klar gesagt werden, kümmern sich vor allem woke (ein schönes neues Wort in der deutschen Sprache, das aufgewachte Mensch:Innen bezeichnet) Studierende darum, dass auch in den Hörsälen der neue Geist einzieht. Ich durfte selbst schon erleben, wie im Hörsaal solchen Rückschrittlichen durch aufmunternde Sprechchöre keine Gelegenheit eingeräumt wurde, ihr Gift zu verspritzen. Es darf allerdings nicht bei Einzelbeispielen bleiben. Gottseidank hat nun unsere Regierung durch das neue „Hinweisgeberschutzgesetz“ auch die juristischen Möglichkeiten geschaffen, dass aufrechte Demokrat:Innen den Missbrauch einer falsch verstandenen Freiheit bei entsprechenden Stellen melden können. Das wird uns helfen, diese bösartigen Täter (ich verwende hier ganz bewusst das männliche Substantiv) auch in der Familie, im Gasthaus oder in der Bahn endlich zur Rechenschaft ziehen zu können. Ein wenig traurig ist nur, dass selbst die Regierung noch im alten Denken befangen ist, sonst hätten sie doch „Hinweisgeber:Innenschutzgesetz“ schreiben können. Also, liebe Lesende, es gibt noch viel zu tun. Bleiben sie bitte wachsam.
Seite 10, Kompakt Zeitung Nr. 243