Morgenland, die dritte
Rudi Bartlitz
Als Pokalverteidiger spielen die Handballer des SC Magdeburg beim Super Globe, der Vereins-Weltmeisterschaft, in Saudi-Arabien. Hattrick ist möglich.
Wenn die SCM-Handballer am 7. November in die Arena von Dammam zu ihrer ersten Vorrundenpartie beim Super Globe einlaufen, betreten die meisten von ihnen kein morgenländisches Neuland. Hier, am Persischen Golf, in der Sports Hall der saudi-arabischen Hafenstadt, spielten die Grün-Roten schon einmal auf. Vor exakt einem Jahr gelang einer der bemerkenswertesten internationalen Triumphe der Clubgeschichte: der Gewinn der Vereins-Weltmeisterschaft. Zum zweiten Mal in Folge. Und zum zweiten Mal gegen den FC Barcelona. In einer dramatischen Begegnung waren die Katalanen nach Verlängerung mit 41:39 bezwungen worden.
Nun hat es die Truppe von Cheftrainer Bennet Wiegert sogar in der Hand, einen historischen Hattrick zu landen. Etwas, was bisher eben nur einmal jenem FC Barcelona gelang, der sich zwischen 2017 und 2019 den Titel ununterbrochen sicherte und mit fünf Erfolgen auch Rekordsieger dieses Wettbewerbs ist. Doch Wiegert hob im Vorfeld mehrfach warnend den Zeigefinger: Nur weil man „Barca“ zweimal überrascht habe, sei das längst kein Freifahrtschein für eine dritte Auflage. Zumal man vor gut einem Monat in der Champions League gegen eben jenes Team eine deftige 20:32-Klatsche bezog.
Bereits kurz nach Abpfiff des letzten Bundesliga-Spiels – und bevor das Gros seines Teams am zurückliegenden Wochenende zu ihren Nationalmannschaften aufgebrochen war – hatte ihnen Wiegert Hausaufgaben für Damman mitgegeben. Für den 41-Jährigen stehen zunächst gar nicht einmal so sehr die favorisierten europäischen Teams (neben Barcelona noch die Füchse Berlin und Industria Kielce) im Fokus der Überlegungen, sondern eine Vertretung des Gastgeberlandes: der Khaleej Club. „Wenn du dieses Spiel zum Auftakt in einer Dreiergruppe verlierst, bist du quasi schon raus aus dem Wettbewerb. Dann kann es eine sehr lange und harte Woche dort werden.“ Zumal nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich Khaleej noch mit dem einen oder anderen Star aus Europa verstärkt; was das Reglement durchaus erlauben würde.
Mit diesem „Kunstgriff“ der Gastgeber hatte der SCM schon 2002 bei seiner ersten Teilnahme am Super Globe unschöne Erfahrungen gemacht. Als das Team von Alfred Gislason damals in Katar nämlich die Formation des Gastgebers El Sadd zu Gesicht bekam (und im entscheidenden Spiel 32:35 verlor), stellte sich schnell heraus, dass da profilierte Akteure aus europäischen Spitzenteams eingekauft und einzig und allein für diesen Wettbewerb verpflichtet worden waren. Dieses Spielchen setzte sich übrigens 2015 bei der Weltmeisterschaft in Katar fort. Anders als im Fußball, wo nur für ein einziges Land A-Länderspiele absolviert werden dürfen, reicht im Handball eine dreijährige Pause, um bei großen Turnieren für eine neue Nation aufzulaufen. Daher lockte Katar seinerzeit internationale Top-Stars ins Emirat. Dass die Spieler nicht wegen prallen Sonnenscheins und des guten Wetters am Golf aufliefen, war offensichtlich. Angeblich gab es für jede gewonnene WM-Partie 100.000 Euro auf die Hand – pro Spieler! Trainiert wurde das Team von Valero Rivera, der einst den FC Barcelona zum besten Handball-Vereinsteam der Welt formte.
Zurück ins Heute, nach Dammam. Dort könnte der SCM, so sieht es die Turnierauslosung vor, erneut auf den FC Barcelona treffen; allerdings erst im Finale. Geht es nach Normalform und die Europa-Vertreter setzen sich in ihren Gruppen durch, wartet im Halbfinale Kielce auf die Wiegert-Truppe. Als Siegprämie sind für den unter der Ägide des Weltverbandes IHF stehenden Edel-Wettbewerbs, der seit 2019 in Saudi-Arabien stattfindet, 500.000 Euro ausgelobt. Das war nicht immer so. Anno 1997, als alles begann, gab es ein Turnier mit fünf Mannschaften. Einfach und übersichtlich. Nur beim Namen griff der Erfinder, der Handball-Weltverband IHF, gleich ins höchste Regal. Super Globe nannte sich der Wettbewerb hochtrabend. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klaffte damals eine gewaltige Lücke. Als man sich nämlich in Wien zur Erstauflage traf, zeigte die Creme des Welthandballs den Veranstaltern die kalte Schulter. Und so triumphierten bei der ersten Auflage die Spanier von Cantabria Santander im Finale gegen die Norweger von HK Drammen. Wahrlich nichts, wonach sich der Handball-Fan die Finger leckte.
Eines muss der IHF zugestanden werden: Sie lernte schnell dazu. Nicht nur der Austragungsort änderte sich 2002 (Doha statt Wien), hinzugekommen war vor allem die Erkenntnis, dass sich mit Speck Mäuse fangen lassen, vulgo: nur mit Geld das Interesse der Großen der Branche zu animieren ist. Dieses Kalkül traf sich mit den Vorstellungen ehrgeiziger nahöstlicher Handball-Liebhaber, die den Fokus der Sportart gern einmal auf ihre Region gerichtet haben wollten. Und Geld sollte in dieser Gegend nun wahrlich nicht das Problem Nummer eins darstellen.
Ganz im Gegenteil. Heute ist Handball in Saudi-Arabien – sicher hinter Fußball, Formel 1, Golf und Boxen – einer der Eckpfeiler der Strategie des Landes, in einer Art Sportswashing von den großen innenpolitischen Problemen und der Missachtung der Menschenrechte abzulenken. Nach den Worten von IHF-Präsident Hassan Moustafa zeigten die Saudis starkes Interesse, sogar die WM 2029 oder 2031 auszurichten. Man sei in dieser Sache in Gesprächen, sagte er jüngst dem Deutschlandfunk. Für die WM 2029 haben auch Island, Norwegen und Dänemark eine gemeinschaftliche Bewerbung eingereicht. Es gibt zudem Gerüchte, wonach der saudische Handballpräsident Fadel Ali Al-Nemer 2025 die Nachfolge Moustafas antreten wolle. Dafür sollen die Kontinentalverbände aus Afrika und Asien bereits eine Koalition geschmiedet haben. Rhetorische Frage: Ob Geld dabei etwa eine Rolle spielte?
KOMPAKT
Am IHF Super Globe nehmen diesmal zwölf Mannschaften von allen fünf Kontinenten teil. Der Modus sieht vier Dreiergruppen vor, deren Sieger die Tickets fürs Halbfinale lösen. Die jeweils Zweit- und Drittplatzierten kämpfen in Platzierungsspielen um die Plätze dahinter. Am 12. November werden das Finale und das Spiel um Platz drei ausgetragen. Was im TV passiert, blieb auch diesmal lange undurchsichtig. Letztlich soll sich solidsport.com, ein schwedischer Streamingdienst, der auch in Deutschland aktiv ist, die Rechte gesichert haben. Ein Turnierpass soll 14,99 Euro kosten.
Seite 38, Kompakt Zeitung Nr. 244, 7.11.2023