Die zwei Gesichter des Herbstes

Rudi Bartlitz

Im Ringen um Stabilität offenbart Fußball-Zweitligist 1. FCM derzeit viele Probleme. Bittere Konsequenz: Die Abstiegsränge rücken immer näher.

Obige Überschrift nimmt Bezug zum bemerkenswerten US-Krimi von Patricia Highsmith „Die zwei Gesichter des Januars“. In ihm wird viel über die Janusköpfigkeit der Protagonisten erzählt. Diese zwei Gesichter, die die ewigen Gesetze des Lebens widerspiegeln. Um einmal ganz tief in die Kiste der Wortdramatik zu greifen: Diese Dualität zwischen Schöpfung und Zerstörung, zwischen Licht und Dunkelheit. Ganz so arg kommt es zwar nicht, wird das Ganze einmal profan auf die Fußball-Ebene heruntergebrochen. Aber dennoch: Zwei Gesichter zeigt derzeit auch der 1. FC Magdeburg. Und nicht nur innerhalb eines Monats, nein, seine Janusköpfigkeit erstreckt sich gleich über mehrere. Was im Spätsommer mit herzerfrischendem Offensivfußball und zuweilen Tabellenrängen zwei und drei so vielversprechend begann, wandelt sich im Herbst immer mehr zur Misere.

 

Und selbst im Herbst offenbarten die Schützlinge von Trainer Christian Titz zwei Gesichter. Innerhalb von weniger als einer Woche lagen zuletzt Euphorie und Enttäuschung eng beieinander. Zunächst der in der Verlängerung mit Können und viel Selbstvertrauen harterkämpfte DFB-Pokaltriumph bei Holstein Kiel. Der den Anhang an eine Trendwende glauben ließ. Keine vier Tage später das ernüchternde 0:2 in der Liga beim Hamburger SV. Die Alarmglocken sind nicht mehr zu überhören. So schön – und wirtschaftlich zweifellos stabilisierend – Erfolge im Pokal sein mögen, die entscheidenden Schlachten werden in der Liga geschlagen. Dort entscheidet sich, da beißt die Maus keinen Faden ab, das weitere Schicksal des FCM. 

 

Inzwischen trennt die Sachsen-Anhalter nur noch ein Punkt vom Relegationsplatz. Die harten, unbestechlichen Fakten dazu: Seit dem 6. Spieltag holten sie nur noch magere zwei Punkte; das entspricht – so irreal dies augenblicklich klingen mag – Werten eines potenziellen Absteigers. Weiter: Seit sieben Liga-Partien warten die Blau-Weißen mittlerweile auf einen Sieg. Und letztlich: Erst zum zweiten Mal in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zur 2. Liga mussten vier Auswärtsniederlagen in Folge hingenommen werden. Das zehrt an den Nerven. Da hilft es auch wenig, wenn Titz regelmäßig da-rauf hinweist, in den meisten Begegnungen habe man gut mithalten können, mehrfach sogar den Sieg auf dem Fuß gehabt. Wie nun damit umgehen? Wie dem reißenden Strudel des Niedergangs entkommen?

 

Fragen, die nicht nur das Fanlager umtreibt. Leider Gottes verfügt der 1. FC Magdeburg über kein eigenes Maskottchen. Wäre dies der Fall, könnte man sich am Krügel-Platz ein wenig an Union Berlin orientieren, das, wie die Sachsen-Anhalter, augenblicklich eine richtige Krisensituation durchmacht. Die Eisernen aus der Hauptstadt besitzen mit „Ritter Keule“ jedoch einen wackeren Talisman. Im Fan-Shop ist er – der Marketing-Experte rollt mit den Augen – sogar als Beißring („Extrem weich und flauschig”) zu haben. Für frustrierte Union-Anhänger in diesen Tagen also ein durchaus nützliches Geschenk. Bietet der Ring doch Gelegenheit zur unauffälligen und sicheren Wutentladung. Übrigens, es gibt ihn gerade im Angebot: 9,95 Euro statt 14,95.

 

Zurück zum FCM. Auch hier ist in diesen Tagen gewissermaßen Frustentladung angesagt. Ein, sagen wir, wie auch immer modellierter „Ritter Heinz“ käme da schon gelegen. Er könnte unter Umständen anregen, fußballerisch „weniger sexy“ sein, dafür aber „mehr Erfolg“ haben zu wollen. Effizienten Pragmatismus nennen das manche. „Für mich ist immer das Königsergebnis ein 1:0-Sieg, weil das ein Zeichen dafür ist, dass man eine Stabilität hat“, formulierte es Dortmunds Chef Joachim Watzke dieser Tage. Auf offene Ohren bei seinen eigenen Spielern (siehe das 0:4 gegen die Bayern) scheint er da allerdings noch nicht gestoßen zu sein …

 

„Ritter Heinz“ könnte ebenso die mangelnde Stabilität ansprechen, darauf hinweisen, dass die Zuschauer immer noch keine 90-Minuten-, sondern meistens nur eine 45-Minuten-Mannschaft zu sehen bekommen. Das erkennt man daran, dass sie sich sehr schwer damit tut, das spielerische Talent, das zweifellos in ihr steckt (eben das positive Gesicht), nicht nur in einzelnen Momenten zu zeigen. Und daran, dass sie daran scheitert, Gegner wie Hannover und Karlsruhe, aber auch Elversberg, die sicher gut, aber eben nicht sehr, sehr gut sind, dauerhaft zu dominieren. Er könnte ebenso ein anderes Missverhältnis ansprechen. Wer sich in den Pressekonferenzen und der Mixed-Zone des FCM umhört, bekommt schnell mit, dass immer wieder die Rede davon ist, Fehler (das eben weniger positive Gesicht) müssten ausgemerzt werden – und beim nächsten Mal soll vielleicht nicht alles, aber doch vieles besser gemacht werden. Beispielsweise die individuellen Aussetzer. Beispielsweise die mangelnde Chancenverwertung. Zuweilen kommen die stereotypen Antworten wie ein Mantra daher.


Zum Schluss vielleicht inmitten all der Klagelieder etwas Erfreuliches. Für Spieler und Verein. In der neuen Marktwert-Einstufung des Portals „Transfermarkt“ rutschten etliche Akteure in höhere Dimensionen. Sechs konnten ihren individuellen Wert teils kräftig nach oben treiben, nicht einer (!) büßte an Bonität ein. Mit 1,5 Millionen Euro ist Außenstürmer Jason Ceka übrigens derzeit wertvollster FCM-Spieler. Der Club seinerseits sicherte sich durch den Sieg in der zweiten Runde des DFB-Pokals einen Fixbetrag von 431.200 Euro. Für das Erreichen des Achtelfinals, bei dem die Blau-Weißen nun zu Hause (5./6. Dezember) auf Fortuna Düsseldorf treffen, gibt es 862.400 Euro. Ist diese Hürde gemeistert, wird im Viertelfinale die Millionen-Marke geknackt. Es winken dann immerhin 1.724.800 Euro.

 

Spätestens das wäre der Zeitpunkt darüber nachzudenken, eine weitere Anleihe bei Union Berlin zu nehmen. Die haben ihr Ritter-Keule-Maskottchen nämlich auch in Spardosen-Format auf Lager. Parole: „Keule bewacht dein Gespartes!“

Seite 37, Kompakt Zeitung Nr. 244, 7.11.2023

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