Bald ist es so weit?
Michael Ronshausen
Es mag vielleicht unseriös sein, in einem journalistisch angehauchten Beitrag etwas über sich selber zu schreiben! Aber genau genommen bin ich nicht der Protagonist dieser Geschichte. Hauptdarsteller ist vielmehr jenes Magdeburger Unternehmen, das seit 150 Jahren für all diejenigen den Öffentlichen Personennahverkehr bereithält, die weder über Kutschpferd noch Automobil verfügen, nicht zu Fuß gehen wollen, oder die einfach nur zu betrunken sind, um selber zu reiten/zu fahren. Für mich sind die Dienstleistungen des heute als Magdeburger Verkehrsbetriebe (MVB) bekannten Unternehmens ein wenig aus der Mode gekommen. In Halberstadt gibt’s zwar etwas ähnliches – und es sieht sogar aus wie eine richtige Straßenbahn – aber wirklich ernst nehmen braucht diesen Kleinbetrieb natürlich niemand. Ganz los werde ich die „MVB“ zum Glück trotzdem nicht. Menschen, die seit Jahrzehnten meine Freunde sind, arbeiten bis heute in dem Unternehmen. Doch vor 30 und mehr Jahren sah das natürlich auch für mich noch ganz anders aus! Die Straßenbahn war in meiner Kindheit und Jugend ein unverzichtbarer Bestandteil des täglichen Lebens. Magdeburg war schließlich nicht Halberstadt, und wenn man in der damaligen Bezirkshauptstadt zivilisiert von A nach B kommen wollte, war die „Elektrische“ immer Trumpf. Leider hatte auch die Magdeburger Straßenbahn gebietsweise ein gewisses Präsenzproblem. In einigen Stadtvierteln gab es weder Oberleitungen noch Schienen, statt auf Stahlrädern fuhr sie auf Gummireifen, und in Wirklichkeit bestanden diese Aushilfsstraßenbahnen aus ungarischen Bussen der Marke Ikarus. Von jenem damals für mich unerträglichen Verwirrspiel zwischen Schiene und Straße will ich heute berichten!
Ich selbst habe mein erstes Lebensjahr nahe dem Hasselbachplatz und die nächsten zehn in der Neuen Neustadt verbracht. Interessanterweise endete am Tag nach meiner Geburt der überregionale Straßenbahnverkehr zwischen Magdeburg und Schönebeck. Aber immerhin, ich bin noch in der Zeit der quietschenden und rumpelnden Klapperkisten aufgewachsen, als jedoch auch schon die ersten modernen „Tatras“ auf unseren Straßen unterwegs waren. Woran ich am Anfang meiner Zeit überhaupt nicht gewöhnt war, waren Busse! Erst 1980, ich war elf Jahre alt, zogen wir aus der Neuen Neustadt ins Neustädter Feld, wodurch schließlich auch die qualmenden Stinkmonster aus Székesfehérvár in mein Blickfeld gerieten.
Gehasst hab ich sie von Anfang an. Eine Straßenbahn war für mich in dieser Zeit ein durchaus ansprechendes, weil einigermaßen bequemes und vor allem auch schnelles Verkehrsmittel. Nun plötzlich, und immerhin für die kommenden neun Jahre, mit dem Bus fahren zu müssen, um überhaupt irgendwo eine Straßenbahn zu erreichen, empfand ich stets als Zumutung. In meinen jungen Jahren habe ich mir öfters die Frage gestellt, wie meine Eltern überhaupt auf die Idee kommen konnten, in die straßenbahnlose Pampa des Neustädter Feldes zu ziehen. Insbesondere an den Wochenenden hatte ich stets das Geschick, den 69er-Bus erst einmal davonfahren zu sehen. Ob ich damals, vor roundabout 40 Jahren, jemals den Gedanken hatte, durchs „Feld“ könnte irgendwann auch einmal eine Straßenbahn fahren, weiß ich heute nicht mehr. Wahrscheinlich ist es jedenfalls nicht. Immerhin hatte sich Magdeburg in der Mitte der 80er Jahre gerade den Luxus einer völlig neuen Strecke nach Neu Olvenstedt geleistet.
An eine Anbindung des wesentlich kleineren Wohngebietsbruders Neustädter Feld war daher sowieso nicht zu denken. Und zumindest zu meinen eigenen „Feld-Zeiten“ gab es diesbezüglich auch keine Planung. Erst viel später, mehr als ein Jahrzehnt nach meinem Abschied aus diesem Stadtviertel, habe ich etwas von der Idee gehört, nun auch das „Feld“ straßenbahnmäßig zu erschließen. Mitten auf dem Breiten Weg – es muss ungefähr 2001 oder 2002 gewesen sein – traten die MVB mit dem Plan an die Öffentlichkeit, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten das Straßenbahnnetz zu erweitern.
Heute, im Herbst 2023, sind die damals avisierten Großprojekte mehrheitlich gebaut und in Betrieb. Man kann mit der Straßenbahn bis in die Mitte von Reform fahren, von der Halberstädter-/Diesdorfer-Straße aus geht’s über einen zweiten Korridor nach Neu Olvenstedt, und nach einem viele Jahrzehnte lang geplanten Vorhaben liegen nun auch in der Wiener-/Raiffeisenstraße Schienen und verbinden Sudenburg direkt mit Buckau. Gebaut wurde schließlich auch die Strecke durch die Johannes-R.-Becher-Straße. Was noch fehlt ist eben jene einstmals von mir so sehr vermisste Verbindung ins Neustädter Feld. Ganz am Anfang war geplant, vom Breiten Weg aus über die Albert-Vater-Straße in Richtung Westen zu fahren und dann nördlich in Richtung „Feld“ einzuschwenken. Vermutlich waren es die Brücken der Eisenbahn und des Magdeburger Rings, die diese Form des Vorhabens verhinderten. Seit einigen Jahren laufen nun die Vorarbeiten für die neue Strecke, teilweise sind sogar schon über mehrere hundert Meter Schienen verlegt, doch die rosten derzeit noch vor sich hin.
Geplant ist, die neue Anbindung ins „Feld“ spätestens Ende 2026 in Betrieb zu nehmen. Dafür muss noch einiges getan werden. Der Gleiskörper ist zu vervollständigen, es gibt noch keinen Strom, und weitere Fahrzeuge sind wohl auch vonnöten. Am tiefsten dürfte jedoch die Umverlegung des Magdeburger Rings ins Budget schlagen. Zwar nur um wenige Meter nach Osten, aber dafür über einige hundert Meter im Verlauf, soll die Straßenbahn in diesem Abschnitt parallel zum Ring fahren. Mit anderen Worten, irgendwann wird es geschafft sein, und ob es nun 43 oder 46 Jahre gedauert hat (ab 1980 gerechnet) spielt am Ende auch keine Rolle. Immerhin hat die Magdeburger Straßenbahn nicht nur exzellente Erfahrungen bei der Umsetzung langfristigerer Projekt. Die Wiener Straße, in der immerhin jahrzehntelang ungenutzte Gleise unter der Bahnhofsbrücke lagen, mag dafür ein gutes Beispiel sein – doch auch hier war es irgendwann soweit. Und ich selbst? Im Neustädter Feld hab ich heute nichts mehr verloren. Und mit der Straßenbahn zu fahren, fällt mir aus anderen Gründen nicht leicht. Trotzdem freue ich mich nach dieser langen, langen Zeit, nochmal in eine Tram zu steigen, um auf der neuen Strecke ins „Feld“ einmal hin und her zu fahren. Vielleicht steige ich am Bahnhof ein, dann ist es am Ende nicht so weit.
Seite 16, Kompakt Zeitung Nr. 244, 7.11.2023