Der geplünderte Staat
Thomas Wischnewski
Das Bundesverfassungsgericht hat der Berliner Ampelkoalition den Haushalt versalzen. Die Schuldengrenze sei mit rund 60 Milliarden Euro überschritten. Nun durchforsten die Koalitionäre verzweifelt die Einzelbudgets, wo etwas weniger Geld investiert werden kann. Klimaschutzausgaben, Energiesubventionen, Kinderförderung – alles muss auf den Prüfstand. Am Ausgabengrundstock des Staates wird indes nicht gerüttelt. 35 Milliarden Flüchtlingshilfe, Ukraine-Unterstützung, Bundeswehrsondervermögen, Personalbestand des Bundes, etc. – all das bleibt vorerst unangetastet.
Auch in den Ländern ist man nach dem Verfassungsgerichtsurteil aufgeschreckt Auch dort können in den Etats Sonderausgaben per Umbuchung in anderen Zeiten versteckt sein. Entweder werden hier ein paar Milliönchen Schulden in die Vergangenheit, andere wiederum in die Zukunft gebucht. Die oft geforderte Generationengerechtigkeit ist gemessen am Schuldenberg der Republik ein nettes Hirngespinst seiner Theorieerzeuger.
Indes marschieren die Gewerkschaften, die Mitarbeiter in den Öffentlichen Bereichen vertreten, weiter. Fordern Lohnerhöhungen wie auch die Lokomotivführervertretung GDL mit ihrem Chef Claus Weselsky. Vor allem die Wochenarbeitszeit soll gekürzt werden, natürlich bei vollem Lohnausgleich. In diesen Forderungen steckt der eigentliche Haken, der Deutschlands Wertschöpfung abschmilzt. Für die jungen Generationen ist kürzer zu arbeiten bereits eine naturgesetzliche Vorstellung. Dass jedoch alle Leistungen, die in diesem Land erbracht werden, durch Arbeit entstehen, das löst sich in der privaten Vorstellungskraft individuellen Anspruchsdenkens auf. Die statistische Jahresarbeitszeit pro Kopf sinkt von Jahr zu Jahr. 2022 betrug sie pro Erwerbstätigen 1.588 Stunden. Vor über 20 Jahren waren es noch fast 100 Stunden mehr. In den 1970er Jahren waren es über zwölf Monate gerechnet fast 1.000 Stunden mehr.
Der Faktor Zeit – also in der keine Wertschöpfung oder Dienstleistung erbracht wird – findet in den meisten Debatten keine Beachtung, Wirtschaftskraft eines Landes fällt aber nicht vom Himmel. Wenn die Bundesregierung Haushaltszahlen aufstellt, sind es Menschen, die diese Summen aufgrund ihrer Tätigkeiten durch Steuern, Konsum und Abgaben erzeugen. Bei den Zahlenspielen wird über Menschen nicht gesprochen, nur über Milliarden an Euros und, ob es ein paar mehr oder weniger sein dürfen.
Im Öffentlichen Dienst kann es keinen Kapitalmechanismus wie in der freien Wirtschaft geben. Da stehen im Hintergrund keine Aktionäre, die Gewinne abschöpfen. Doch bedient wird sich am Vermögen, dass jährlich durch Erwerbstätige erwirtschaftet werden muss, was das Zeug hält. Kürzere Arbeitszeiten in öffentlichen Bereichen bei angemessenem Lohnausgleich – diese Werte müssen in der Wirtschaft erzeugt werden. Wenn Mitarbeiter bei der Bahn streiken und kürzere Arbeitszeiten durchsetzen, müssen entweder die Fahrpreise steigen oder der Zuschuss des Eigentümers Bund wächst Das ist wiederum ein Griff in die Tasche der Steuerzahler, vor allem dann, wenn der ÖPNV unterstützt werden soll.
In den 1990er Jahren gab es in Deutschland einen gigantischen Kapitalexport Richtung Asien. Anleger – auch die kleinsten – wollten am Wachstum in China und Co. durch Zinsen mitverdienen. Inzwischen hat sich China zur zweitgrößten Volkswirtschaft gemausert und ist in vielen Bereichen die Werkbank der Welt. Die Warenflüsse können aber stocken. Das hat die Corona-Pandemie gezeigt, und politisch gesetzte Sanktionen wie die gegen Russland durchtrennen ebenfalls Rohstoffflüsse. Inzwischen will die Politik Milliarden an Steuergeldern investieren, um die Abhängigkeit von asiatischen Herstellern zu unterlaufen. Während in den 1990er Jahren privates Geld mit Gewinnabsichten nach Fernost floss, sollen jetzt Steuergelder des Staates etwas zurückholen, was man für Zinsgewinne hat laufen lassen.
Es sind bei weitem nicht nur Parteien und deren Politiker, die mit selbstgesetzten Diäten auf Kosten der Steuerzahler leben, der gesamte Staatsapparat mit seinen undurchsichtigen Verästelungen bedient sich am Gemeinwesen. Wir haben mit aktuell 47 Millionen Erwerbstätigen so viele Menschen wie noch nie in der deutschen Geschichte. Doch unter dem Strich erleben wir einen Rückgang beim Bruttoinlandsprodukt, Rezession, sinkende Arbeitszeiten und steigende Staatsausgaben und Schulden. Auch das sind Inflationstriebkräfte. Davon ist selten die Rede. Der Staat wird durch Forderungen aus einer Schar an Anspruchsstellen in Schach gehalten. Und irgendwo findet sich offenbar immer jemand, der in der gigantischen Volkskasse noch Millionenbeträge entdeckt, die per Schuldverschreibung in die Zukunft verlagert werden.
Seite 5, Kompakt Zeitung Nr. 245, 22. November 2023