Meter 63:
Der Magdeburger Dom und
seine „kleine“ Halberstädter Schwester
Michael Ronshausen
Erzählungen aus der gotischen Kathedrale

Wie der Magdeburger Dom hat auch die Halberstädter Kathedrale in vielfältiger Sicht eine bewegte Geschichte. Schon früh sind beide Orte – oder deren Protagonisten – kräftig zusammengerasselt. Heute gehören die einstmaligen Unzulänglichkeiten zur Geschichte. Erinnert werden soll dennoch an einen Umstand, durch den der Magdeburger Dom beinahe nicht entstanden und seine Geschichte nie geschrieben worden wäre. Eine Geschichte, die noch zu den Lebzeiten Ottos des Großen spielte, und die in Halberstadt ihren Anfang nahm.
Im Mittelalter war ein Bischof oder Erzbischof nicht nur ein herausgehobener Geistlicher, er war auch in politischen Zusammenhängen ein mächtiger Mann. Er bestimmte, was in seinem Bistum passierte. Und so war es Bischof Bernhard von Halberstadt (familiär Bernhard von Hadmersleben, geboren am 3. Februar 868), der keinem Geringeren als dem großen Kaiser Otto bei der Gründung eines neuen Erzbistums einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Erstaunlich war das nicht, Halberstadt war – auch kirchenpolitisch – zu dieser Zeit der zweifellos bedeutendere Ort. Die Errichtung eines neuen Erzbistums an der Elbe wäre nicht nur zulasten des Mainzer Erzbistums gegangen, auch das nachgeordnete Halberstadt hätte erheblich an Bedeutung verloren.
Der Überlieferung zufolge soll Otto den widerspenstigen Bischof eingesperrt haben, um ihn zum Einlenken zu zwingen. Erfolgreich war das nicht, Bernhard sprach stattdessen den Kirchenbann über Otto aus, damals ein angemessenes und ernst zu nehmendes Mittel der kirchlichen Rechtsprechung. Otto ließ Bernhard – der immerhin 45 Jahre im Amt war – schließlich frei und musste sich bis zum Tod des Bischofs gedulden. In Anbetracht der sich damals schnell nach oben verjüngenden Alterspyramide muss man Bernhards Tod als glückliche Fügung bezeichnen. Immerhin war auch der Kaiser 968 kein junger Mann mehr. Er starb fünf Jahre später. Und ob seine Nachfolger den Gründungsplan eines Magdeburger Erzbistums weiter verfolgt hätten, darf angezweifelt werden.
Am Ende blieb das Halberstädter Bistum weiter bestehen. Und ab dem 13. Jahrhundert kam es in beiden Städten zu einem Wettlauf beim Bau der neuen, nun französisch-gotischen Kathedralen. Ein wenig kleiner geraten als das Magdeburger Pendant, gehört der Halberstädter Dom zu den herausragendsten Beispielen aus der Epoche der gotischen Kathedralarchitektur. Mit ein wenig Augenzwinkern entstand im Raum zwischen dem Harzvorland und dem Elbestrand eine Miniaturausgabe der historischen Île-de-France. Immerhin liegen weniger als 50 Kilometer zwischen den beiden Riesenbauten. Ein Maßstab, der in Deutschland kein weiteres Mal erreicht wird.
Trotz der erheblichen Schäden im Krieg, und nachdem große Teile der mittelalterlichen Doppelturmfront im 19. Jahrhundert ausgetauscht werden mussten, wirkt der Halberstädter Dom, als wäre er den französischen Kathedralen näher. Dafür sorgt am Äußeren das Langhaus und Chor umfassende Strebewerk, welches in Magdeburg nicht vorhanden ist. Auch im Inneren scheint der Halberstädter Dom näher bei seinen französischen Vorbildern zu stehen. Darüber hinaus findet sich in ihm der – vom Vatikan einmal abgesehen – bedeutendste christliche Kirchenschatz des Abendlandes.
Seite 10, Kompakt Zeitung Nr. 245