... eigentlich ist er lieb:
Kinderliebender Familienhund?
Gibt es sie wirklich – die allseits beliebten Familienhunde, die treuen Begleithunde oder die kinderlieben Hunde?
Und: Wo kann man sie kaufen?
Vorausgesetzt, es gäbe rassenspezifische Eigenschaften wie „familienfreundlich“ oder „kinderlieb“, welchen Zuchtkriterien unterliegen diese Rassen? Haben Sie sich eigentlich schon mal Gedanken gemacht, ob solche eindeutig emotionalen Beschreibungen für das Raubtier überhaupt zutreffend sein können? Und wenn ja, was unterscheidet einen kinderlieben Familienhund von anderen Hunden?
Einmal mehr werden Menschen, die sich einen Hund anschaffen möchten, für dumm verkauft und über die wahren Wesenszüge des Hausraubtiers Hund im Unklaren gelassen. Was muss passieren, damit unsinnige Betitelungen wie „familienfreundlich“ und „kinderlieb“ aus den Köpfen der Züchter bei der Vermittlung von Welpen verschwinden? Und wie viele Hunde müssen noch eingeschläfert werden, weil Tierheime einen „kinderlieben“ Hund vermittelt haben, der „plötzlich“ das Kind gebissen hat.
Was aber nun ist ein Familienhund? Ein Tier, das spezielle Eigenschaften wie Loyalität, Treue sowie Anteilnahme am Familienleben aufweist, obwohl wir doch alle wissen, dass Hunde ausschließlich trieborientiert und zu menschlichen Emotionen – wie wir sie kennen – nicht fähig sind. Oder handelt es sich eventuell um versteckte genetische Veranlagungen, die nur in einer Familie zutage treten? Abgesehen vom Prädikat „familienfreundlich“ ist es noch schwieriger nachzuvollziehen und im höchsten Maße gefährlich, einen Hund als „kinderlieb“ zu bezeichnen. Rund 80.000 Kinder werden jährlich in Deutschland von einem Hund gebissen. Dabei handelt es sich um registrierte Fälle – die Dunkelziffer könnte also deutlich höher sein.
Dass diese Vorfälle nun ausschließlich von sogenannten „Listenhunden“ verursacht werden, ist unwahrscheinlich. Labrador (Liebrador) oder Border Collie (Kinder Collie) – welche von den circa 400 Hunderassen ist denn wirklich „kinderlieb“ oder besonders „familienfreundlich“? Und warum werden dem ressourcengesteuerten Beutegreifer Hund wieder einmal menschliche Eigenschaften angedichtet, die er gar nicht erfüllen kann? Wir sprechen dem Hund sicher nicht die Sozialkompetenz und damit die Fähigkeit zum Zusammenleben in der Gemeinschaft oder die Bereitschaft zur Unterordnung ab, dennoch existieren diese auf reiner Triebbasis und nicht auf menschlichen Emotionen.
Selbst der Fortpflanzungstrieb ist beim Menschen mehr Lust als Erhalt der Spezies, beim Hund hingegen ausschließlich die genetisch veranlagte Selbsterhaltung. Wen wundert es also, wenn „kinderliebe“ Hunde ihre Ressourcen wie Futter, Territorium, Beute etc. auch und gerade den Kindern gegenüber unter Aggression verteidigen oder wenn die „Familienhunde“ trotzdem massives Fehl- und Problemverhalten zeigen, weil sie Begriffe wie „kinderlieb“ oder „familienfreundlich“ gar nicht kennen und sich dementsprechend nicht konform verhalten können.
Wenn wir dem Hund rassetypische Eigenschaften wie Hütetrieb, Stöber-, Futter- und Beutetrieb sowie Rudel- und Meutetrieb zusprechen, warum kennt man den „Kinderlieb-Trieb“, „Begleittrieb“ oder „Familientrieb“ nicht? Ganz einfach: Weil es diese nicht gibt! Und daher wäre es wünschenswert, wenn Züchter und Tierheimmitarbeiter und auch Sie, liebe Leser, solche absurden und gefährlichen Aussagen zum Hundeverhalten aus dem Wortschatz streichen.
Verfasser dieses Textes ist „Hundewelten Deutschland” und aus meiner Sicht ist dem nichts hinzuzufügen. Wenn Sie dazu Fragen haben, stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.
Mit hundefreundlichen Grüßen,
Kristeen Albrecht – Problemhundtherapeutin
Seite 36, Kompakt Zeitung Nr. 245, 22. November 2023