Meter 64: Der Dom der Besucher
Michael Ronshausen
Erzählungen aus der gotischen Kathedrale
Nächtliche Veranstaltungen – insbesondere auch Gottesdienste wie beispielsweise die Feiern zur Heiligen Christ- und zur Heiligen Osternacht – haben im Dom keinen Seltenheitswert. In den vergangenen Jahrzehnten richteten sich manche Angebote in den Abendstunden wie etwa die Nacht der Lichter auch an jüngere Kirchenbesucher. Und seit 20 Jahren gibt es im Magdeburger Dom eine vielleicht etwas ungewöhnliche Veranstaltungsreihe, die sich in kürzester Zeit zu einem Besuchermagneten entwickelt hat.
Vor allem in den Wintermonaten herrscht im Dom mit Blick auf die Besucherzahlen Saure-Gurken-Zeit. Es gab damals wie heute Wintertage, an denen man die touristisch motivierten Dombesucher mit den Fingern weniger Hände abzählen konnte. Im Herbst 2003 hatte ein damaliger Domführer die Idee, ein neues Projekt zu entwickeln. Schnell wurde dabei der Begriff der „Taschenlampendomführung“ geprägt. 100 Eintrittskarten wurden gedruckt und in einigen Magdeburger Zeitungen erschienen kurze Ankündigungen.
Geplant war, im Winterhalbjahr an zwölf Freitagen im Abstand von zwei Wochen diese nächtlichen – jeweils ab 22 Uhr stattfindenden – Domführungen anzubieten, wobei einige Mitarbeitende am Dom der Überzeugung waren, dass kein Mensch zu dieser nächtlichen Show erscheinen würde. Einen anderen Eindruck erweckte hingegen der Vorverkauf der 100 Eintrittskarten, die innerhalb weniger Stunden vergriffen waren. Tatsächlich erschienen zur ersten Veranstaltung mehr als 1.000 Besucher ohne Eintrittskarten, die auf die späteren Termine vertröstet werden mussten. Heute, zwei Jahrzehnte später, finden die winterhalbjährlichen Taschenlampendomführungen noch immer statt, wenn auch mit einer etwas geringeren Resonanz.
Die Domführungen – jährlich von mehreren zehntausend Menschen besucht – fanden über einen erheblichen Zeitraum großen Anklang. Trotz seiner Charakteristik, auch eine Art Museum zu sein, war und ist der Dom zuerst eine Kirche. Ein Umstand, der bei einer Domführung zum Tragen kommen sollte, was allerdings in der DDR-Zeit und bei den damals natürlich politisch-sozialistisch eingenordeten staatlichen bzw. städtischen Stadtführern oft nicht der Fall war. Nicht selten wurde dem Dom dabei seine Bedeutung als Gotteshaus abgesprochen, christliche Glaubensinhalte verwies man gerne in den Bereich eines Kasperle-Theaters.
Im Ergebnis wurde der Dom kurz nach 1979 durch eine Initiative des damaligen Dompredigers Giselher Quast zur „fremdbesucherfreien” Zone erklärt. Über einige Jahre hinweg gab es nur noch die Möglichkeit, den Dom innerhalb von Führungen zu besichtigen, die von Helfenden und Mitarbeitenden der Domgemeinde organisiert wurden, um den Besuchern das Gotteshaus eben nicht nur als kunstgeschichtliches Museum, sondern in angemessener Form auch als Kirche näher zu bringen. Die Regelung, die Verantwortung für die Domführungen in den Händen der Gemeinde zu belassen, gilt noch heute.
Seite 17, Kompakt Zeitung Nr. 246, 10. Dezember 2023