Gedanken- & Spaziergänge im Park:
Kein frohes neues Jahr
Paul F. Gaudi
Kurz vor Weihnachten ging ein Wehklagen durch die Presse. Was war geschehen? In Pirna wurde der parteilose Kandidat der AfD, der Tischlermeister Tim Lochner im zweiten Wahlgang mit einem deutlichen Vorsprung zum Oberbürgermeister von Pirna gewählt. Bei manchen Kommentatoren hatte man den Eindruck, als befände sich Mussolini wieder auf dem Marsch nach Rom. Das klang zwar alles übertrieben, doch so sahen es halt manche. Es gab aber auch Äußerungen, die, würden sie aus konservativer oder rechter Ecke kommen, zu Recht als menschenfeindlich bezeichnet werden könnten. So schrieb ein grüner Stadtrat aus Leipzig und früherer Grünen-Chef in Sachsen auf X (früher Twitter): „Was macht eigentlich die Royal Air Force gerade?“ Dazu sollte man wissen, dass Pirna von Februar bis April 1945 drei alliierte Bombenangriffe erlebte. Bei dem Schwersten, am 19. April 1945, wurden von über hundert Bombern 337 Tonnen Sprengbomben auf Pirna abgeworfen. 312 Menschen wurden dadurch getötet und mehr als 700 Wohnungen zerstört. Diese inzwischen gelöschte Twitter-Botschaft war ebenso menschenfeindlich und die Opfer und ihre Angehörigen verhöhnend wie die Aktion zweier Piratinnen in Dresden 2015, die anlässlich einer Trauerkundgebung zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens mit der Losung „Bomberharris, do it again“ und „Thanks, Bomberharris“ auftraten. Eine von ihnen verließ ein Jahr später die Piraten und trat in die Linke ein, für die sie heute im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt.
Inzwischen bekommt die AfD weiter Zuspruch. Laut Umfragen ist sie in den Ost-Bundesländern stärkste Kraft. Auch im Westen hat sie zugelegt. Selbst im grünen Ländle Baden-Württemberg hat sie mit 22 Prozent die zweitgrößte Zustimmung und überholte die Grünen. Bei der letzten Landtagswahl dort im Jahr 2021 lag sie noch bei 9 Prozent. „Es wundert mich nicht,“ meinte Gerd dazu, „dass einzelne Politiker der Grünen und der SPD über ein Parteiverbot nachdenken. Das dürfte aber schwierig sein. Doch das wirklich Dumme ist, dass sie nicht darüber nachdenken, was sie eigentlich falsch machen und warum Wähler sie nicht wählen wollen.“ „Stimmt. Solange sie nicht bei sich eine Fehleranalyse und nötige Kurskorrekturen veranlassen, wird das der AfD weiter nützen. Aber sie sagen auch, dass die AfD nur kritisiert und nichts Konstruktives bietet.“ „Das ist der natürliche Vorteil einer Oppositionspartei, die keine Regierungsverantwortung hat, sondern nur die Regierenden kritisieren kann. Andererseits erlebt man im Bundestag, in den Landtagen oder kommunalen Gremien, dass von der AfD durchaus akzeptable Vorschläge gemacht werden, die stets abgelehnt werden. Nicht weil sie schlecht wären, sondern weil sie von der AfD kommen. Manchmal macht eine andere Partei einen nur geringfügig geänderten Vorschlag und der wird angenommen. Das registrieren natürlich Wähler und halten es für ein sehr fragwürdiges Verhalten.“
Die Führung der FDP ist anscheinend froh darüber, dass eine Mehrheit bei einer Mitgliederbefragung für den Verbleib der Partei in der Ampel stimmte, wenn auch knapp. Gerd fragt sich, ob diese Freude angebracht ist, denn infolge der Politik dieser Regierung verlor die FDP an Zustimmung. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl hat sie über 6 Prozent der Stimmen verloren und dümpelt knapp über der 5-Prozent-Hürde. In manchen Landtagen erreicht sie nicht so viel. „Wäre es nicht möglich, dass der Austritt aus der Ampel der FDP ihre früheren Wähler zurückbringen könnte?“ Das könnte sein, denn seit die FDP in dieser Koalition ist, wurde die Zahl ihrer Wähler immer geringer. Das sollte zu denken geben. Der SPD geht es nicht besser, den Grünen ebenfalls nicht. Man hat den Eindruck, dass die von den Grünen vorangetriebene und in der Hauptsache rein ideologisch fundierte Politik des CO2-Einsparens mit allen seinen beträchtlichen wirtschaftlichen Folgen beim Wahlvolk nicht gut ankommt. Es hat vor allem Teuerung und Inflation gebracht. Statt dass die Regierung Nöte versteht und darauf reagiert, wird das Problem ab 1. Januar durch die Erhöhung der CO2-Abgaben um sage und schreibe weitere 50 Prozent verschärft. Da sich dadurch alle Energie-, Produktions- und Transportkosten erhöhen, verteuert das die Lebenshaltenskosten der Verbraucher weiter. Selbst der Hausmüll wird nun mit einer Emissionsabgabe belegt! Eine Tageszeitung titelte am 30. Dezember: „Noch mehr zahlen für das Klima“. „Man fragt sich, ob der Kanzler das eigentlich so genau weiß?“, sagte ich. „In seiner Neujahrsbotschaft verbreitete er Optimismus und sprach von deutlichen Erfolgen.“ „Das muss er doch. Das ist seine Pflicht, zum Jahreswechsel Optimismus auszuströmen, egal ob es glaubhaft ist oder nicht. Und unsere alltäglichen Sorgen haben die Politiker nicht. Unser Kanzler hat es nicht leicht. Als das Hochwasser in Niedersachsen schon bedrohlich war, schrieb Spiegel-Online ein oder zwei Tage vor Silvester, wie wacker Kanzler Schröder im August 2002 in Gummistiefeln durch die vom Hochwasser überfluteten Straßen von Grimma gestiefelt sei. Das haben vielleicht die Kanzlerberater gelesen, denn prompt flog Scholz am Silvestertag nach Verden an der Aller. Allerdings wurde bemerkt, dass er dabei ein wichtiges Detail nicht beachtet hatte: Er kam in normalen Straßenschuhen und musste Pfützen vermeiden. Um das wieder gutzumachen, trat er am 4. Januar in Sachsen-Anhalt in Röblingen demonstrativ mit Gummistiefeln auf. Genützt hat es ihm nicht, die Stimmung ihm gegenüber war alles andere als gut. Das lief bei Schröder deutlich besser.“ In seiner Neujahrsansprache versuchte Scholz Zuversicht zu verbreiten: „Wenn wir uns gegenseitig mit Respekt begegnen, brauchen wir keine Angst zu haben vor der Zukunft!“ Leider senkt gegenseitiger Respekt keine Preise für Waren des täglichen Bedarfs, Energie, Mieten und Treibstoffe. Doch es gibt auch positive Meldungen. Um 10 Prozent seien 2023 die klimaschädlichen Emissionen, speziell des Kohlendioxids zurückgegangen, verkündet das Wirtschaftsministerium stolz.
Allerdings meinen andere Wirtschaftsexperten, dass das nicht nur an verringerter Kohleverstromung läge, sondern dass infolge der Politik verschiedene energieintensive Betriebe ihre Produktion gedrosselt oder sogar in das Ausland verlagert haben, wo die Besteuerung geringer und die Klimavorschriften großzügiger sind.
Kritik an der Regierung kommt aus allen Richtungen. Die ungesteuerte Migrationswelle und die Einrichtung von Unterkünften für die meist illegal Eingewanderten beunruhigt vielerorts die Bevölkerung. Von den Kosten, die die Länder und Gemeinden dafür stemmen müssen, ganz zu schweigen. Dazu noch neue soziale Konflikte. „Kannst Du Dich erinnern, dass es vor zwanzig oder auch vor zehn Jahren so etwas gab, dass sich Gruppen zu Silvester gegenseitig mit Feuerwerk beschossen?“, fragte Gerd. „Dass Polizei und Rettungskräfte damit angegriffen wurden? Dass Besucher, die zum Gottesdienst in den Kölner Dom gehen, vorher auf Waffen und Sprengstoffe untersucht werden und sich ausweisen müssen? Dass Weihnachtsmärkte mit Betonklötzen – der Volksmund spricht von Merkelpollern – vor Fahrzeugen geschützt werden müssen? Das war vor einem Dutzend Jahren unvorstellbar.“ „Ja, die Maßstäbe haben sich deutlich verändert. Zu Silvester gab es in Berlin etwa 390 Festnahmen und 54 verletzte Polizisten und es waren 5.000 Polizisten und 1.500 Feuerwehrleute im Einsatz. Politiker sprachen am Neujahrstag von einem fast normalen Verlauf! Gut, vielleicht hätte es ohne die vielen Einsatzkräfte schlimmer sein können, aber ich halte das nicht für normal, wenn fast 7.000 Leute dafür sorgen mussten, dass es nicht schlimmer würde. An solche Zustände sollte man sich nicht gewöhnen müssen.“
Zum Ende des Jahres verdarb es sich die Regierung auch noch mit den Bauern. Die Landwirte hatten über viele Jahre die Vorschriften, Einschränkungen und Verbote, die ihnen von der Brüsseler Bürokratie und den Bundesregierungen auferlegt wurden, vielfach klaglos hingenommen. Als es aber hieß, dass die Ampelkoalition zu Beginn des Jahres die Steuervergünstigungen für Agrardiesel abschaffen und die Kfz-Steuerbefreiung für land- und forstwirtschaftliche Fahrzeuge aufheben wolle, war für die Bauernschaft das Maß voll. In Berlin und anderen Städten gab es machtvolle Demonstrationen mit Traktoren. Was man im Fernsehen sah, war beeindruckend. Das muss es auch für die Regierung gewesen sein, denn prompt wurde verkündet, dass die Kfz-Steuer für Agrarfahrzeuge nicht eingeführt werde und die Vergünstigung für Agrardiesel nun schrittweise bis 2026 reduziert werden soll. Diese Botschaft reicht der Bauernschaft nicht. Ab dem 8. Januar werden ihre Proteste massiv verstärkt. „Schlimm finde ich“, merkte Gerd an, „dass manche Medien und ein paar Politiker behaupten, dass die Proteste der Bauern von Rechtsextremisten oder sogar durch Reichsbürger unterwandert würden. Das diskreditiert die berechtigte Empörung der Bauern und versucht ihre Demonstrationen auf eine demokratiefeindliche Schiene zu schieben.“ Bei diesem Thema fiel uns der französische Schriftsteller Houellebecq ein.
Januar 2019 erschien sein Roman „Serotonin“. Dort sind unter anderem die Not und Verzweiflung der französischen Bauern ein Thema, die zu einem Aufstand führt, der dann blutig niedergeschlagen wird. Fast zu gleicher Zeit begannen in Frankreich die wöchentlichen Demonstrationen der „Gelbwesten“, die sich ebenfalls gegen die von Macron beschlossene Erhöhung der Treibstoffbesteuerung wandten, oft gewaltsam waren, mit Brandstiftungen einhergingen und teilweise gewaltsam niedergeschlagen wurden. Houellebecq hatte in „Serotonin“ die Zeichen der Zeit erfasst, wie er in seinem Roman „Unterwerfung“ (2015) die Gefahr des Islamismus schilderte. Am selben Tag, am 7. Januar 2015, als das Buch erschien, fand das islamistische Attentat auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo statt! „Unsere Regierung kann froh sein, dass unsere Bauern keine Franzosen sind und nicht das Temperament der Gallier von Asterix haben“, meinte Gerd zum Abschied.
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Seite 8, Kompakt Zeitung Nr. 247