Meter 65: Erzbischof Albrecht
und die Auseinandersetzung mit Kaiser Otto IV.
Michael Ronshausen
Erzählungen aus der gotischen Kathedrale
Im Chorumgang des Magdeburger Doms findet sich seit 800 Jahren ein Kapitell mit einem künstlerischen Detail, welches nicht biblischen Ursprungs ist. Es zeigt einen im geistlichen Ornat gekleideten Mann, der mit der linken Hand einen Wolf an der Kehle packt und mit der rechten Faust auf das Tier einschlagen will. Bei dem Geistlichen handelt es sich laut Überlieferung um den Magdeburger Erzbischof Albrecht von Käfernburg, der als bedeutender Repräsentant der Kirche unterwegs war und als Begründer des Domneubaus in die Geschichte der Stadt einging. Zudem war Albrecht im politisch-weltlichen Bereich aktiv.
Wenige Monate nach seiner Weihe zum Magdeburger Erzbischof brannte in einem Großfeuer am 20. April 1207 der aus dem 10. Jahrhundert stammende Dom Ottos des Großen ab. Albrecht, der während seiner Ausbildung in Paris die frühen Bauten der französischen Gotik gesehen hatte, importierte den Stil und wurde mit dem Domneubau zu einem der Begründer jener neuen Formensprache. Von „seinem“ Dom hat Albrecht – er starb 1232 – jedoch nur die Entstehung der östlichen Bereiche erlebt sowie die Erbauung des Chorumgangs, ausgestaltet mit einem um 1220 erschaffenen Bildprogramm an den Kapitellen, in dem sich auch jene Gewaltszene zwischen ihm und dem Wolf abspielt.
In der hohen Politik war Albrecht anfangs ein Parteigänger des „Wolfes“, sprich des Welfen – des einzigen Angehörigen dieses Hauses, der unter dem Namen Otto IV. die römisch-deutsche Kaiserkrone trug. Politisch geriet Otto durch seinen Versuch, den nördlichen Teil seines Reiches wieder mit dem sizilianischen Landesteil zu vereinen, in einen schweren Konflikt mit dem Papst, was schließlich zu seiner Exkommunikation führte. Albrecht beendete daraufhin sein Engagement für den Kaiser, was langjährige kriegerische Auseinandersetzungen zur Folge hatte, von denen auch das Magdeburger Erzbistum betroffen war. Erst mit Ottos Tod 1218 löste sich dieser Konflikt auf. Im Dom sorgte Albrecht mit seiner (Selbst)darstellung eines wehrhaften Geistlichen im Kampf gegen den Welfen für ein steinernes Mal, um an diese Ereignisse zu erinnern.
Nicht verschwiegen werden sollte eine andere Interpretation jenes, von einem namentlich nicht bekannten Meister erschaffenen Kunstwerks. Keine geringere als die später heiliggesprochene Mechthild von Magdeburg (1207-1282) soll vor eben jenem Kapitell ihre Bekehrung erlebt haben. In ihrem Buch „Das fließende Licht der Gottheit“ beschreibt Mechthild die Seele, die sich durch das Dickicht des irdischen Daseins müht und vom Bösen – dem Teufel – wie von einem Wolf angefallen wird, der sie verschlingen will. Dieses Bild aus ihrem Buch hat literaturgeschichtlich schließlich Dante Alighieris „Göttliche Komödie“ beeinflusst, die mit der Schilderung der Hölle im Ersten Gesang beginnt. Überliefert worden ist diese Interpretation irgendwann in den frühen 60er-Jahren in der damaligen CDU-Zeitung „Der neue Weg“, veröffentlicht durch den Magdeburger Heimatforscher Werner Priegnitz.
Seite 9, Kompakt Zeitung Nr. 247, 10. Januar 2024