Gedanken- & Spaziergänge im Park:
Stürmische Zeit

Paul F. Gaudi

Eigentlich sollte diesmal etwas Erfreuliches geschrieben werden, aber der Alltag ist nicht so. Die Tagespolitik lässt keinen rechten Frohsinn aufkommen. Darf man das überhaupt noch sagen: „rechter Frohsinn“? Allein das Wort rechts ist schon verdächtig! Aber „linker“ Frohsinn gefällt mir auch nicht. Was sollte das sein? Der Blick in die große weite Welt ängstigt immer mehr. Der Krieg in Gaza nimmt kein Ende, sondern weitet sich auf den Norden Israels aus und der Iran beschießt syrische Gebiete mit Raketen. Ein weiterer Glutherd im Nahen Osten ist das Regime der Huthi im Jemen, die den internationalen Schiffsverkehr im Roten Meer unter Feuer nehmen, um damit auf ihre Art gegen Israel zu kämpfen. Kürzlich beschossen sich die beiden muslimischen Länder Pakistan und Iran mit Raketen. China ist eine stete Bedrohung für Taiwan, das es als abtrünnige Provinz betrachtet. Hier zeigt sich, dass es 1971 ein großer Fehler der UNO-Generalversammlung war, die Volksrepublik China anstelle von Taiwan als einziges China anzuerkennen, statt beide Staaten als gleichberechtigte Mitglieder zu betrachten. Viele europäische Staaten beendeten darauf die normalen diplomatischen Beziehungen zu der Republik Taiwan. Dabei hätte man aus der Geschichte doch wissen können, dass man diktatorische Regime nie satt bekommt. Mit jedem neuen Bissen werden sie hungriger, weil sie ein Nachgeben nicht als Vernunft, sondern als Schwäche betrachten.


Der Krieg in der Ukraine, also in unserer Nähe, ist auch chronisch geworden. Einige westliche Staatsmänner und die Presse reden von einem zu erwartenden ukrainischen Sieg. Keine Ahnung, wie man sich den vorstellen könnte bei eingeschränkten materiellen und menschlichen Ressourcen der Ukrainer und den im Gegensatz viel größeren Reserven der Russen. Das wahrhaft Traurige ist, dass es offensichtlich keine diplomatischen Versuche für einen Waffenstillstand und einen späteren Friedensschluss zu geben scheint. Wenn die Ukraine verkündet, dass zu einem Frieden der absolute Rückzug der Russen aus allen ukrainischen Gebieten, Zahlung von Reparationen und die Verurteilung der Kriegsverbrecher gehört, dann sind das verständliche Wünsche, die aber weit von jedem Realismus entfernt sind. Solche maximalen Friedensbedingungen wären nur erreichbar, wenn Russland kapitulieren würde. Doch warum sollte es das tun? Das längere Durchhaltevermögen ist auf seiner Seite. Aber Putin nachgeben? Das würde er eher als eine stillschweigende Duldung verstehen, weitere ehemalige Sowjetrepubliken „heim ins Reich“ zu holen. Zu allem Überfluss plant die NATO von Februar bis Mai ein Manöver mit 90.000 Soldaten, das größte seit 1991. Unwahrscheinlich, dass das zur Beruhigung der Situation beiträgt. Wo gibt es unermüdliche Diplomaten? Als Steinmeier noch Außenminister war, verstand er sich gut mit seinem Kollegen Lawrow. Könnte er nicht mal nach Moskau fahren?

 

Von den Problemen ablenken


Wenn man den Blick von der großen zerstrittenen Welt abwendet und auf Trost bei dem Blick auf Deutschland hofft, so wird man bitter enttäuscht. Auch hier geht es drunter und drüber. Die Regierungskoalition wird von Protesten erschüttert und steht mit dem Rücken an der Wand. Laut neuesten Umfragen bekämen die drei regierenden Parteien zusammen bei einer Bundestagswahl weniger Stimmen als die CDU allein! Dass bei allen Umfragen die AfD hinter der CDU den zweitgrößten Stimmenanteil hat, sei nur am Rande bemerkt. Wenn der Vorstand eines Vereins nur noch das Vertrauen von einem Drittel seiner Mitglieder hätte, dann würde er schleunigst zurücktreten. Eine Regierung tut das natürlich nicht, sondern lenkt von ihren Problemen ab und verweist stattdessen auf Gefahren von rechts. So z. B. bei den beeindruckenden Protesten der Bauern nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland. Die Schriftstellerin Juli Zeh sah es übrigen in ihrem 2023 erschienenen und sehr lesenswerten Roman „Zwischen Welten“ voraus! In ihrer Not faselten Politiker von einer möglichen Gefahr der Unterwanderung durch Rechtsradikale, Querdenker und Reichsbürger, die aber überhaupt nicht stattfand.


Der Zorn der Bauern ist riesig und wahrscheinlich auch ein Ausdruck dafür, wie die Stimmung in der Bevölkerung ist. Einige Politiker und Journalisten scheuten sich auch nicht Falsches zu behaupten. So wurde behauptet, dass Bauern Habeck daran gehindert hätten die Fähre zu verlassen, mit der er aus dem Urlaub kam, oder sie sogar erstürmen wollten. Eine später im NDR erschienene Mitteilung zeigte, dass „Begleiter“ des Ministers ihm vom Verlassen der Fähre abrieten und dass der „Sturm“ von ein paar Demonstranten auf den Anleger erst erfolgte, als die Fähre schon am Ablegen war. Führende Politiker bezeichneten diese Menschen als Pöbel oder Mob und äußerten ihre Empörung darüber! Gerd kramte in seinen Erinnerungen und fand etwas aus Thüringen: Im Februar 2020 wurde Thomas Kemmerich (FDP) für ein paar Tage rechtmäßig gewählter Ministerpräsident. Er musste aber durch Merkels Eingriff aus dem fernen Südafrika („der Vorgang ist unverzeihlich und das Ergebnis müsse rückgängig gemacht werden“) wieder zurücktreten, da seine Partei – und die CDU sowieso – vor Merkels Donnerwort aus der Ferne einknickten. In diesen Tagen protestierten Menschen vor Kemmerichs Wohnhaus, seine Frau wurde beim Einkaufen bespuckt und seine Kinder gingen unter Polizeischutz zur Schule. Damals wurden von Spitzenpolitikern keine solchen Wörter gebraucht wie Pöbel oder Mob. Sondern es waren „Demonstranten“ oder „Aktivisten“. Es kommt eben nicht nur darauf an, was getan wird, sondern wer es tut, getreu dem Sprichwort, wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe.

 

Sturzflug des Kanzlers


Nicht nur die Bauern demonstrieren, sondern auch die Transportunternehmer. Vielerorts schlossen sich auch die Handwerker und andere Berufsgruppen an. Gastronomen klagen über die höhere Umsatzsteuer, Industrie wandert ab oder drosselt die Produktion und Entlassungen drohen. Das Gesundheitswesen klagt über zu hohe Kosten. Robert Habeck rechnet für die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren nur noch mit magerem Wachstum. In Wahrheit ist es 2023 sogar gesunken. Aber er nennt nicht die wahren Ursachen dafür, nämlich die von Ideologie geleiteten politischen Vorgaben. Die Beliebtheit des Kanzlers sinkt in den Umfragen rapide, so dass selbst die „Zeit“ von einem Sturzflug schrieb. „So unbeliebt war ein Kanzler noch nie“, urteilte kürzlich ein Insa-Meinungsforscher. Im Gegensatz zum Kanzler stellte sich Lindner den demonstrierenden Bauern in Berlin, stieß aber auf negative Resonanz. Beim Handballspiel gegen Nordmazedonien in Berlin wurde Scholz bei seiner Begrüßung durch den Stadionsprecher ausgepfiffen. Gleiches widerfuhr Faeser und Habeck vor dem Handballspiel gegen Frankreich in Köln. Die Regierung hatte in den letzten Wochen viel Gegenwind auszuhalten.

 

Ein Akt des Kulturkampfes


Doch gab es einen Wechsel in der Öffentlichkeit, fast so wie es Friedrich Hölderlin im ersten Vers seines Gedichtes Patmos schreibt: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Fast wie bei einem Drehbuch für einen Krimi taucht auf der Höhe der kritischen Welle genau rechtzeitig der von dem Rechercheteam „Correctiv“ mit geheimdienstlichen Methoden – wir hätten früher gesagt: nach Stasimanier – erstellte Bericht auf über ein Treffen von rechten und konservativen Personen mit dem identitären Martin Sellner aus Österreich im Landhaus Adlon bei Potsdam, wo über die Remigration von Migranten gesprochen worden wäre. Genauer Wortlaut noch unbekannt. Angeblich ein Geheimtreffen. Aber wenn ein Mensch andere zu einem Vortrag und Diskussionen an irgendeinem Ort einlädt, so ist das nicht geheim, sondern privat. Wenige Tage nach der sehr medienwirksamen Veröffentlichung gab es schon eine Theateraufführung im Brecht-Theater mit dem Titel „Rechtsextremer Geheimplan gegen Deutschland“ darüber! Das fand nicht jeder gut. Der Journalist Denis Yücel, eher links orientiert, schrieb ärgerlich auf X: „Correctiv enthüllt als szenische Lesung im BE: Diese kulturindustrielle Verramschung des Politischen plus der narzisstischen Selbstüberhöhung von Journalisten – dagegen war die Art, wie die Süddeutsche ihre Aiwanger-Recherche zerschossen hat, ein Klacks.“ Und: „So verwandelt man einen aufgedeckten Skandal, der der AfD in kommenden Landtagswahlen womöglich geschadet hätte, in einen Akt des Kulturkampfs. Und der hat der AfD noch nie geschadet.“ Wie auch immer: in den folgenden Tagen gab es in vielen Städten große Demonstrationen mit Zehntausenden „gegen rechts“. Diese Bezeichnung stört Gerd immer wieder. „Wenn es hieße gegen Faschismus oder Nazis, gut. Aber gegen rechts? Rechts und links sind seit der französischen Revolution die Pole einer parlamentarischen Demokratie. Im Meinungsstreit beider und der dazwischenliegenden Richtungen entwickelt sich die Politik. Rechts mit faschistisch oder Nazi gleichzusetzen ist ebenso absichtlich falsch, als wenn links mit bolschewistisch, stalinistisch oder maoistisch gleichgesetzt würde. Leider arbeiten aber viele mit dieser falschen Wertung, gemäß der rechts schlecht und links gut ist.“ „Wie dem auch sei“, erwiderte ich, „ich glaube, unsere Regierenden sind heilfroh, dass der Sturm, der ihnen entgegen blies, durch Correctiv in eine andere Richtung weht.“ „Ob’s was nützt?“, fragte Gerd und ging seiner Wege.

 

Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.

Seite 8, Kompakt Zeitung Nr. 248, 24. Januar 2024

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