Standpunkt Breiter Weg:
Bürger, „sag mir, wo du stehst“?

Thomas Wischnewski

Während sich die deutsche Wirtschaftskraft im Abschwung befindet, ist die aufgeregte Gesellschaft weiter im Aufschwung. Deswegen verkündete Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Schulterschluss mit Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang einen „Aktionsplan gegen Rechtsextremismus“. Gegen Extremismus muss man sein. Das versteht sich von selbst. Aber die Initiative von Frau Faeser mit ihrem Maßnahmenkatalog ist zugleich eine Zäsur für den Rechtsstaat. Der einstige deutsche Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenfördes formulierte das Demokratiediktum, dass der freiheitliche, säkularisierte Staat von Voraussetzungen lebt, die er selbst nicht garantieren kann. Das sieht die Bundesregierung nun offenbar anders und verspricht Garantien zum Schutz der Demokratie.


Neben den Schlagworten wie „Demokratieförderung stärken“, „Hass im Netz bekämpfen“, „Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst entfernen“ oder „Sport mit Haltung“ tauchen auch Äußerungen wie „Meldestellen für strafbare Inhalte ausbauen“, „der Verfassungsschutz übermittelt bereits jetzt Informationen an die zuständigen Behörden“ oder „das BMI baut eine neue Früherkennungseinheit der Bundesregierung“ auf. Wie sollen die angeblich fehlgeleiteten Gedanken in der Bürgerwelt gemessen werden? Wer stellt die Maßstäbe auf, wer beurteilt Äußerungen? Den Bestrebungen von Rechtsradikalen, so heißt es, sich in Gedanken, Worten und Taten mit der bürgerlichen Mitte zu vernetzen, muss nachgespürt werden, im Zweifel bis in die Köpfe der Bürger. Das heißt konkret auch, dass geheimdienstliche Ermittlungen insgesamt ausgeweitet werden. Und es wird eine Art Generalverdacht über die Gesellschaft gelegt, man könne sich an falschen Gedanken infizieren und ist dann plötzlich Bestandteil eines extremistischen Netzwerkes.


Im politischen Verständnis der DDR-Mächtigen waren Andersdenkende Klassenfeinde. Heute gibt es offenbar nur noch Demokratiefeinde und Extremisten unter solchen, die einer Regierung keinen Beifall klatschen. Vor allem sagt die Regierungsidee, dass das Bürgerhirn anfällig sei, sich ins Netz von Rechtsextremisten verstricken zu lassen. Die Vielschichtigkeit von Kritik an Politik und Staat bleibt unter der Diktion eines Demokratieschutzes ausgeblendet, ein eingeführter Generalverdacht zieht die Beweislast-umkehr nach sich, nicht auf der richtigen Denkseite zu stehen. Also: Ich muss beweisen, dass ich richtig denke und auf der richtigen Seite stehe. „Sag mir, wo Du stehst“ – sang einst der DDR-Oktoberclub.


Demokratie, Bürgerrechte und Rechtsstaatlichkeit gehören zum Selbstverständnis für unsere Gesellschaft. Daran darf nicht gerüttelt werden. Wenn jedoch staatliche Institutionen von der Politik instrumentalisiert werden, mehr und mehr Bürger auf ihre Verfassungstreue hin zu beobachten, Kritik an Vertretern von Amt und Staat als deren Feinde auszumachen, wird Kritik in Staatsfeindschaft umgedeutet. Der Staat wird von seinen Bürgern getragen, durch Wahlen und Steuern, nicht durch Gesinnungen. Proklamierte Demokratieförderung und Demokratieschutz im heutigen Kleid erscheinen leider wie die Abfuhr gegenüber kritischen Stimmen. Das ist keine gute Entwicklung für eine sich selbst demokratisch bezeichnende Gesellschaft.

Seite 2, Kompakt Zeitung Nr. 250, 20. Februar 2024

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