Kommt jetzt das blaue Wunder?
Rudi Bartlitz
Die obersten Fußball-Regelhüter erörtern Pläne, nach denen Spieler künftig zehn Minuten vom Platz gestellt werden könnten, wenn sie Schiedsrichter verbal attackieren oder durch ein Foul eine Torchance verhindern.
Als erstmals Meldungen von der Einführung einer Blauen Karte im Fußball die Runde machten, sollen einige FCM-Fans freudig in die Hände geklatscht haben. Nach dem Motto: Siehste, jetzt kommen sie selbst im Weltfußball nicht mehr an uns vorbei. Und die Weiße Karte, frohlockten andere, komme garantiert auch noch, wetten? Eben doch die Größten der Welt …
Scherz beiseite. Künftig könnte bei den Kickern zu den drei Modefarben Gelb, Gelb-Rot und Rot durchaus noch Blau hinzukommen. Die Regelhüter des International Football Association Boards (IFAB) erwägen jedenfalls, den Testlauf einer neuen Karte zu genehmigen. Zuerst hatte darüber die englische Zeitung „The Telegraph“ berichtet. In Anlehnung an beispielsweise Eishockey könnte ein Sünder dann auch im Fußball auf die Strafbank gesetzt werden. Es soll, heißt es, gegen Spieler eine zehnminütige Zeitstrafe verhängt werden, wenn sie zum Beispiel durch ein minder schweres Foul eine klare Torchance verhindert haben oder Offizielle verbal attackieren. Wie das Blatt unter Berufung auf das IFAB schreibt, sollen zwei Blaue Karten ebenso zu einer Roten führen wie eine Blaue und eine Gelbe.
Wie auch immer, es würde einer kleinen Regel-Revolution im internationalen Fußball gleichkommen. Selbst wenn sie in der Breite nicht so schnell umgesetzt wird. Denn der Weltverband FIFA stellte kurz nach der Veröffentlichung klar, dass Berichte über die Einführung der Blauen Karte in Eliteligen „nicht korrekt und voreilig” seien. Ganz so falsch wie die FIFA zunächst behauptete, sind die Berichte aber offensichtlich nicht. Das geht auch aus dem Statement des Weltfußballverbandes hervor. „Sollten derartige Versuche durchgeführt werden, sollten sie sich auf verantwortungsvolle Tests auf niedrigeren Ebenen beschränken“, so die FIFA. Viel Raum für Interpretationen also. In England jedenfalls denkt man über eine Teileinführung nach. Der Verband erwägt, den FA Cup und den Pokal-Wettbewerb der Frauen auf freiwilliger Basis dafür zur Verfügung zu stellen.
Sollte die Blaue Karte ins Fußball-Regelwerk aufgenommen werden, wäre es die erste neue Karte seit Einführung von Gelb und Rot bei der Weltmeisterschaft 1970. Die Gelb-Rote Karte mit kürzerer Spielsperre, eigentlich eine Kombination von Gelb und Rot, folgte 1991.
Wie auch immer die Sache ausgeht, schon heute wird darüber trefflich gestritten; in England laufen sogar schon Wetten, welcher Spieler denn die meisten „Blauen“ kassieren wird. Lasst den Fußball so, wie er ist, fordern die einen, die Konservativen. Die andere Seite verweist darauf, dass die derzeit verhängte Gelb-Rote Karte mit dem damit verbundenen Platzverweis oft einen zu drastischen Einschnitt in ein Spiel darstelle. Bundesliga-Coach Pellegrino Matarazzo von der TSG Hoffenheim würde die Einführung einer Blauen Karte im Profifußball begrüßen. „Ich fände es tatsächlich gut, so eine gewisse Flexibilität zu haben. Eine Gelb-Rote Karte ist sehr hart und oft entscheidend im Spiel. Auch im Anschluss eine Sperre zu haben, ist schon eine harte Strafe.“ Etwas zurückhaltender sieht es Magdeburgs Schiedsrichter-Legende Bernd Heynemann. „Für den Amateurbereich mag es ja gut sein“, sagte er KOMPAKT, „aber bei den Profis habe ich meine Zweifel. Das würde vieles noch komplizierter machen.“
Tatsächlich, für drei der 21 Landesverbände des Deutschen Fußballbundes (DFB) ist die Einführung der Zeitstrafe nicht neu. Bereits im Juli 2021 wurde in Hessen die 10-Minuten-Zeitstrafe im Amateurbereich als Ersatz für die Gelb-Rote Karte eingeführt. Zunächst als Testlauf, nunmehr offiziell. Das Saarland zog nach, Bayern führte die Zeitstrafe zusätzlich zur Ampelkarte ein. Die anderen 18 Landesverbände sprachen sich bislang gegen die Einführung aus.
Kompakt: Die Blaue Karte ist eine Disziplinarkarte in diversen Sportarten mit, laut Wikipedia, sehr unterschiedlichen Bedeutungen.
Handball
Die Blaue Karte wurde 2016 durch den Weltverband IHF eingeführt. Sie signalisiert eine Disqualifikation mit schriftlichem Bericht als Strafe für schwere Fouls (z. B. Tätlichkeiten) oder grob unsportliche Vergehen (z. B. Beleidigungen). Vorher wurde diese Strafe wie die gewöhnliche Disqualifikation mit der Roten Karte angezeigt. Eine mündliche Information an die Mannschaftsverantwortlichen war notwendig: Dies führte insbesondere im Publikum oft zu Unklarheiten. Nach der Regeländerung wird weiterhin die Rote Karte dem betroffenen Spieler gezeigt; anschließend wird die Blaue Karte am Kampfgericht in Richtung der Bank des betreffenden Spielers gezeigt. Eine Blaue Karte leitet im Gegensatz zur Roten Karte ein Disziplinarverfahren ein. Meist wird danach eine Sperre von mehreren Spielen sowie eine Geldstrafe verhängt.
Jugendfußball
Die Blaue Karte wird besonders im österreichischen Jugendfußball als Anzeige einer Zeitstrafe verwendet, anstelle der Gelben Karte. Dabei muss der Spieler je nach Altersstufe fünf oder zehn Minuten das Spielfeld verlassen. Jeder Spieler kann nur einmal mit einer Zeitstrafe belegt werden, eine zweite Blaue wird in Verbindung mit einer Roten Karte (Blau-Rote Karte) gezeigt und führt zum Spielausschluss. Die Blaue Karte findet auch beim Fußball in der Vatikanstadt, bei Freundschaftsturnieren und besonders im Freizeitsportbereich Anwendung.
Rollhockey
Eine Blaue Karte bedeutet eine Zeitstrafe. Sie wird bei schwerwiegenden Fouls gezeigt. Dabei handelt es sich um eine persönliche Strafe. Gleichzeitig muss die Mannschaft mit einem Mann weniger spielen („Power-play“). Erhält der gleiche Spieler eine weitere Blaue Karte, muss er neben seiner Zeitstrafe noch weitere zwei Minuten vollständig absitzen. Fällt ein Tor gegen die Mannschaft, ist die Unterzahl beendet. Drei blaue Karten bedeuten Ausschluss für die Partie.
Bandy
Die Blaue Karte zeigt eine Zeitstrafe an. Der betreffende Spieler muss für 10 Minuten das Spielfeld verlassen. Er muss sich während der Zeitstrafe auf der Strafbank, die in der Nähe der Mittellinie ist, aufhalten.
Quadball (früher: Quidditch)
In dieser Vollkontaktsportart, bekannt geworden durch die Harry-Potter-Filme, bekommt ein Spieler bei einem formalen Regelbruch eine Blaue Karte. Er muss eine Minute in eine Strafbox. Er darf die Strafbox entweder wieder verlassen, sobald die Minute Spielzeit verstrichen ist oder das gegnerische Team gepunktet hat.
Seite 27, Kompakt Zeitung Nr. 250, 21. Februar 2024