Gelaber
Prof. Dr. Gerald Wolf
Gelaber, labern – in Synonymwörterbüchern heißt es dazu: schwatzen, schnacken, quatschen, babbeln, rumfaseln, palavern, plappern, plauschen, parlieren, schwafeln, rumschwätzen, daherschwätzen, herumtönen, schnattern, herumeiern, schwadronieren, einfältiges Zeug reden, sinnloses Gerede, Laberhans, Labersack, Geseire, Seirich … Verschiedene Begriffe zwar, mehr oder weniger aber ein Einerlei, typisch für das Labern eben. Wortreich wird von Laberern (korrekt: Laberinnen und Laberern) erzählt und erzählt oder geschrieben und geschrieben, doch so ziemlich frei von Sinn. Nach einer Laber-Attacke fragt man sich empfängerseitig, um was es am Ende eigentlich ging. Beim nächsten Mal besser das Weite suchen!
Ist eine solche Abwertung gerecht? Womöglich hat die Laberei doch einen Sinn. Zum Beispiel, um miteinander ein bisschen Spaß zu haben, um Sympathien zu gewinnen oder um Kontakte zu pflegen. Denken wir an das monotone Gekrähe in einem Krähenschwarm. Es bedeutet all den Mitkrähen: „Ich bin hier, lasst uns mal schön zusammenhalten!“ Ähnlich das Geschrei und Gekreisch an einem Vogelfelsen. Je nach Vogelart ist es ganz unterschiedlich, die Platzordnung wird damit gewahrt. Pinguine erfahren durch das ständige Rufen ihrer Jungen, wo ihr eigener Balg unter den tausenden anderen steckt. Auch Menschen kommunizieren in Paniksituationen auf eintönige Weise. Da gilt es, möglichst laut zu rufen, allein um dem Anderen zu signalisieren: „Hier bin ich, komm schnell!“ Gelaber? Gewiss nicht.
Gewiss aber gibt es Gelaber. Es ist sozusagen das Kontrastprogramm zur Übermittlung von Tatsachen, Wissen oder Vermutungen, von Absichten, Behauptungen, Gefühlen und Glauben, von Befürchtungen oder Drohungen. Mitunter geht es allein darum, mit Wissen anzugeben. Selbst wenn es nur vermeintliches Wissen ist, kann das interessant sein oder amüsant, fernab von Gelaber. Gelaber hin, Gelaber her, mitunter ist das eine vom anderen zu unterscheiden recht schwer.
Wenn aber von Laberantinnen und Laberanten die Rede ist, gibt es keinen Zweifel. Dann geht es nicht etwa um Fachkräfte in den Labors, sondern um eher wenig geschätzte, mitunter sogar gefürchtete Repräsentanten des Gelabers! Jeder kennt das. Da wird ein Vortrag zu einem brisanten Thema angeboten, man geht voller Erwartung hin. Eine Leinwand kündigt interessante Bilder an, und nach einer ohnehin schon viel zu langen Einführung setzt der Vortragende dann tatsächlich auf den Projektor. Aber nicht Bilder zeigt er, sondern Texte. Zeilenweise und seitenweise. Sie sollen unterstreichen, was ohnehin gesagt wird. Und was der Vortragende sagt, ist entweder längst bekannt oder reichlich uninteressant. Gelaber also.
Auch Bilderstapel können laberig sein. Früher waren es Fotos, die die Freundin Evelin stoßweise aus der Handtasche zog, heute ist es ihr Handy. Und Bild auf Bild geht es um den Enkel Sebastian, wie er läuft, rennt, springt und schläft, wie er sitzt und isst. Nicht Torte aus dem Supermarkt, sondern eine, die man selbst gebacken hat! Sebastians Mutter, staunt dann immer, wie so was geht. Selbst kauft sie ja die Torte im Supermarkt. Da bei Karla-Petra um die Ecke, Du weißt schon! In der – na, wie heißt gleich die Straße? Dort, wo das Schild hängt, das mit dem –, na, Du weißt schon. Und da sag ich immer …
Auch von Laber-Musik könnte man sprechen. Das ist die, die pausenlos aus Lautsprechern in Supermärkten rinnt. Dazu hauchende, stöhnende, grunzende, jauchzende Laute aus jungen Kehlen, textfrei. Oft genug hat der Autor die Verkäufer gefragt, wie sie denn so was den ganzen Tag lang aushalten. Die Antwort ist immer dieselbe: Man höre da gar nicht mehr hin. Dazu ich: „Aber ich höre hin, und mir wird schlecht davon!“ Und noch eines: „In Supermärkten Südostasiens wird klassische Musik gespielt. Die animiert derart, dass man das Doppelte von dem einkauft, was man sich hier in den Wagen packt. Bitte, sagen Sie das mal der Geschäftsleitung!“ Die Antwort ist jeweils ein halbgares Grinsen. Klar, es muss gar nicht Klassik sein. Allein wenn man an die Schlager der 50er bis 70er Jahre denkt. Melodien waren das, die zum Mitsingen einluden, Texte mit Sinn und Verstand, voller Humor. Na ja, die Alten eben, von wegen früher war alles besser!
Wie könnte man an Gelaber denken und von Gelaber sprechen, ohne „die da oben“ zu zitieren? Inhaltschwere, knackige Reden und Diskurse kennt man noch von Altvorderen wie Adenauer, Brandt, Wehner, Strauß oder Schmidt. Ihre Ansichten musste man nicht teilen, aber deren Reden war Genuss. Und heute? Oft sachlich nicht hinreichend begründet. Oder Nichtigkeiten. Diskursives Argumentieren wird so weit wie möglich vermieden oder gar verhindert, geschweige denn an den Schulen und Universitäten geübt. Die Einzigen, die sich von dieser Art Durchschnitt entfernen, sind oft solche, die als unangenehme Quertreiber angesehen werden. Das Wort Querdenker ist leider politisch besetzt worden, obwohl das oft Leute sind, die keine Laberer sind.
Seite 6, Kompakt Zeitung Nr. 250, 21. Februar 2024