Der unaufhaltsame Aufstieg des Agit Kabayel
Rudi Bartlitz
Der Schwergewichtler vom Magdeburger SES-Box-Team kommt seinem Traum vom WM-Gürtel immer näher. Jetzt ist er für einen Ausscheidungskampf nominiert worden.

Foto: Norbert Schmidt
Wie lange hatte sich das deutsche Boxen doch wieder nach einem Weltstar im Schwergewicht gesehnt. Einer vom Schlage eines Axel Schulz, dem letzten in dieser Kategorie. Ein Vierteljahrhundert ist das nunmehr her. Aber jetzt ist ein neuer Stern aufgegangen. Endlich. Agit Kabayel vom Magdeburger SES-Team hat die Chance, in absehbarer Zeit um eine der begehrtesten Gürtel anzutreten, die der internationale Faustkampf zu vergeben hat, den des Weltverbandes WBC im Schwergewicht. Derzeit trennt den Deutschen mit kurdischen Wurzeln nur noch ein einziger Schritt davon: nämlich ein sogenannter „Eliminator“, ein Ausscheidungskampf für ein WM-Duell.
Der Verband World Boxing Council (WBC), einer der „Großen Vier“ des Profiboxens, ordnete dieses Gefecht Ende Januar an. Kabayel muss sich dabei mit dem in den USA lebenden Kubaner Frank Sanchez messen. Sollte der SES-Fighter siegen, wird er offiziell zum WM-Herausforderer erklärt. Er könnte dann, voraussichtlich 2025, um die Weltmeisterschaft boxen.
Die aktuelle Situation an der Spitze zu beschreiben, ist, wie vieles bei den Preisboxern, ein wenig kompliziert. Aktueller Weltmeister bei der WBC ist Tyson Fury. Der Engländer sollte eigentlich am 17. Februar in Riad im Duell der zwei amtierenden Weltmeister gegen den Ukrainer Oleksandr Usyk antreten. Da sollte sich herausstellen, wer zurzeit auf dem Box-Olymp ganz oben thront. Fury hält, wie gesagt, den Gürtel der WBC, Usyk die Titel der Verbände WBA, WBO und IBF. Wegen einer Verletzung Furys wurde das Gefecht der beiden dominierenden Athleten des aktuellen Profiboxens nun auf den 18. Mai verlegt. Egal, wie es zwischen ihnen ausgeht, ein Rückkampf ist vertraglich bereits vereinbart. Der, der danach den WBC-Titel innehat, könnte, einfach gesagt, dann 2025 der Gegner für Kabayel sein.
Derzeit laufen hinter den Kulissen erst einmal intensive Kontakte, wann und wo Kabayels Qualifikations-Fight stattfindet. „Bei einem WM-Ausscheidungskampf ist es gar nicht so einfach, eine Lösung zu finden“, sagte SES-Pressesprecher Christof Haverkamp auf Kompakt-Anfrage. Es müsse sondiert werden, welche Orte oder gegebenenfalls andere Veranstaltungen sich möglicherweise anbieten würden. Zumal ein sogenanntes „Purse Bid“, also eine Art Versteigerung, nicht in Frage kommen dürfte. Die in Medien genannten Monate Mai und Juni oder der Frühherbst nannte Haverkamp „noch reine Spekulationen“, fügte dann jedoch hinzu: „Es kann aber auch alles sehr schnell gehen.“
Kabayel jedenfalls ist gerüstet. Nach seinem sensationellen Auftritt einen Tag vor Heiligabend – als er auf der bis dahin spektakulärsten Veranstaltung in der Geschichte des Profiboxen im saudi-arabischen Riad die bis dahin unbesiegte russische K.o.-Maschine Arslanbek Makhmudov bezwang und sich endgültig in die absolute Weltspitze katapultierte – hat er nur eine kurze Ruhepause eingelegt. „Er ist bereits wieder im vollen Training“, bestätigt Haverkamp. Zudem hat er sich durch seinen glorreichen Sieg über Makhmudov in der unabhängigen Computer-Weltrangliste des renommierten Portals Boxrec schon auf Nr. 6 im Schwergewicht nach oben katapultiert.
Ein deutsches Boulevardblatt zitiert Kabayel so: „Das ist eine tolle Auszeichnung und eine große Chance für mich. So nah war ich meinem großen Traum, Weltmeister zu werden, noch nie.“ Der 31-Jährige, der in Bochum lebt, bekam die Information, dass der Ausscheidungskampf gegen Sanchez angeordnet wird, von WBC-Präsident Mauricio Sulaimán (54/Mexiko) höchstpersönlich per Whatsapp-Nachricht. Die Mega-Chance hatte sich angedeutet. Bereits zwei Wochen zuvor hatten Kabayel und Manager Benedikt Poelchau ein Video-Telefonat mit Sulaimán.
Für SES bedeutet der phänomenale Aufstieg Kabayels ein „weiterer Gewinn an internationaler Strahlkraft“, hebt Haverkamp hervor. Bereits im Halbschwergewicht ließ im vergangenen Jahr ein Magdeburger international aufhorchen. Michael Eifert besiegte im März im kanadischen Quebec in einem WM-Ausscheidungskampf des Verbandes IBF den Kanadier Jean Pascal (ehemaliger WBC- und WBA-Weltmeister). Durch seinen sensationellen Erfolg ist der SES-Boxer zum Pflichtherausforderer des in Kanada lebenden Russen, Weltmeister Artur Beterbiev, aufgestiegen. Aber er muss warten. Beterbiev absolviert erst noch im Juni, natürlich in Saudi-Arabien, das lange herbeigesehnte Super-Duell gegen seinen Landsmann, WBA-Champion Dmitry Bivol.
Zurück zu Kabayel. In der WBC-Rangliste steht er aktuell auf Platz vier, Sanchez ist die Nummer zwei. Ein Blick in die Statistik offenbart einige verblüffende Ähnlichkeiten. Beide sind gleichaltrig und ungeschlagen, der Deutsche gewann alle seine 24 Gefechte (davon 16 durch K.o.). Sanchez, der aus Guantanamo stammt und den Kampfnamen „the cuban flash“ (der kubanische Blitz) trägt, kletterte einmal mehr in den Ring und verließ ihn 17mal vorzeitig. In der Körpergröße trennen beide nur zwei Zentimeter (Kabayel 1,91 m/Sanchez 1,93 m).
Agit, der Junge aus dem Ruhrpott, hat lange auf seine Chance warten müssen. Schon vor zwei Jahren war der Ex-Europameister immer wieder im Gespräch für einen Big Fight, einmal sollte der Gegner Tyson Fury heißen, ein anderes Mal Anthony Joshua. Er war immer im Training und hat auf seine Chance gewartet – und als er sie in Riad bekam, hat er der Boxwelt gezeigt, dass mit ihm zu rechnen ist. All das ist auch ein großes Verdienst seines Trainers Sükrü Aksu, diesem harten Hund. Schon vor zwei Jahren hatte er gesagt, Agit verfüge über das Potenzial, mit den ganz Großen mitzuhalten. Diese Kämpfe wolle man. Jetzt kommt sein Schützling dem WM-Traum wieder ein Stückchen näher. Und Börsen im siebenstelligen Bereich natürlich ebenso.
Seite 28, Kompakt Zeitung Nr. 250, 21. Februar 2024