Der Hund lacht nicht

Prof. Dr. Gerald Wolf

Vom Lachen und anderen Phänomenen, die nur uns Menschen eigen sein sollen.

Weil er nicht lachen kann, der Hund. Oder? Wir jedenfalls, wir können es. Und wie! Nur was schon gibt es heutzutage zu lachen? Falls doch, vergeht es einem, sobald man darüber nachdenkt. Überhaupt das Lachen, was passiert dabei in uns, wie muss einem zumute sein? Und Humor, was ist das? Die Politik von heute, wird behauptet, sei nur noch mit Humor zu ertragen. Mit Humor? Mit Galgenhumor vielleicht, meinte kürzlich der Nachbar und lächelte dazu. Kein breites Lächeln war das, eher ein schiefes, ein spitzes. Und sogleich fügte er hinzu: Ein Todeskandidat wird auf den elektrischen Stuhl geschnallt. Einen letzten Wunsch habe er frei, bietet ihm der Gefängnisdirektor an. Darauf der Kandidat: „Ja bitte, wenn Sie meine Hand halten könnten?“ Ein schräger Blick auf den Hund, der mitgekommen war – nein, der konnte darüber nicht lachen. Er kann überhaupt nicht lachen. Natürlich kann er das nicht. Er weiß noch nicht einmal, wie das geht mit dem Lachen. Und selbst wenn er es könnte, dann wüsste er nicht, worüber. Oder? Und wieder dieses „Oder?“, dieses Nichts-Genaues-weiß-man-nicht!


Sokrates war der Erste, dem man nachsagt, er wisse, dass er nichts weiß. Sicherlich war er auf Widerspruch aus, hatte aber auch recht. Irgendwie. Und wir, die wir viel mehr wissen, als man zu Sokrates‘ Zeiten je wissen konnte? Was schon, müssen wir uns fragen, was wissen wir wirklich genau? Noch nicht einmal, warum wir lachen, wenn wir es müssen oder wollen. Humor sei die edelste Form des Lachens, heißt es. Geist wäre da gefragt. Geist, o Gott, was ist denn das? Was wissen wir über den Geist, was über unser Empfinden und über das eines anderen, über Subjektivität? Klipp und klar können wir sagen, was ein Hammer ist und was eine Säge, aber nicht, was das Behagen in uns ist oder das Missbehagen. Und wie das mit dem Lachen geht und mit dessen Warum. Was gar wissen wir über die Subjektivität eines Tieres? Haben Tiere überhaupt so etwas wie ein Ichempfinden – Hunde, Pferde, Erlenzeisige, Wasserflöhe? Sie können es uns schlichtweg nicht sagen. Anders wir, wir Menschen. Und wie hört sich das an, was wir darüber sagen können? Zum Beispiel darüber, worüber unsereiner lachen muss und andere nicht, nicht können oder nicht wollen. Wie sieht das dann tief drinnen aus? Dort, wo das Subjektive beginnt, in der Tiefe der Seele.


Das zu sagen, fehlen einem jeden von uns die rechten Worte. Das Ausdrucksverhalten verrät da mehr. Entweder ist unser Lachen ein breites, lautes, womöglich ein regelrechtes Gelächter, oder wir lachen nur ein bisschen. Vielleicht auch verkneifen wir es uns, das Lachen, oder wir tun nur so als ob. Und wie ist das mit unserem Hund, wenn er auf dem Rücken liegt, wir ihm den Bauch kitzeln, und er uns dabei sein klaffendes, geiferndes Maul zeigt. Offensichtlich ein Anzeichen von Vergnügen, so wie es uns überkommt, wenn uns jemand freundlich kitzelt. Zwar können wir darüber sprechen, aber wir können es nicht wirklich erklären. Jedenfalls nicht so, dass das Gegenüber unseren inneren Zustand treffend nachempfinden kann. Noch ärger beim Verstehenwollen der Hundeseele. Oder der eines Karpfens oder einer Schmeißfliege. Haben die überhaupt eine Seele? Wenn ja, wieso? Wenn nein, wieso?

 

Rot und Grün, gänzlich unpolitisch

 

Von Farbenblinden abgesehen, können wir alle Rot von Grün unterscheiden. Und sonstige Farben. Dafür gibt es in der Netzhaut des Auges spezielle Sinneszellen, Farbrezeptoren genannt, und diese in drei Klassen: solche für Rot, für Grün und für Blau. Bei Gelb antworten neben den Rezeptoren für die Farbe Grün auch die für Rot, und das je nach Farbton in jeweils unterschiedlicher Intensität. Allerdings ist die Bestückung der Netzhaut mit solchen Rezeptorzellen von Mensch zu Mensch verschieden. Die einen haben mehr Rezeptoren für Rot, dafür weniger für Blau oder Grün, bei den nächsten mag es anders verteilt sein. Entsprechend sollten sich die Farbempfindungen von Mensch zu Mensch unterscheiden. Genau das aber lässt sich nicht ermitteln. Wie auch sollte man darüber sprechen können? Krasser noch: Objektiv gibt es überhaupt keine Farben – nur Licht unterschiedlicher Wellenlänge, und wir Farbtüchtigen erkennen darin Farben! Für die Empfindung eines gewissen „Gelbgrüns“ benutzen wir ein und dieselben Begriffe, allerdings eben ohne wirklich wissen zu können, wie der Nachbar dieses Gelbgrün sieht.


Ähnlich ist das mit dem Hören von Tönen und Geräuschen, mit Hautempfindungen, Schmerz oder Signalen aus dem Körperinneren. Genauso mit dem Geschmack eines „edlen“ Burgunders – für die einen ein Traum, für andere eine entsetzlich bittere Plörre. Wir kennen von uns das Gefühl für Ekel, für Freude und für Zuneigung, wie aber erlebt ein anderer solche Zustände? Gar erst, wenn es um die Liebe geht und, späterhin, um den Hass. Die Belletristik lebt davon. Wieder eine Oktave runter: Wie empfindet jemand Rachmaninovs Drittes Klavierkonzert, wenn er ansonsten auf Rap steht oder überhaupt nichts von Musik hält? Nur von Fußball. Oder wenn er einen Blick auf den „Schrei“ von Edvard Munch wirft und dann einen ersten, einen zweiten und dritten auf das Matterhorn? Wie, ein weiteres Beispiel, sollten wir uns in einen Wanderer hineinversetzen, wenn er auf eine Kreuzotter stößt oder auf eine Blindschleiche, wie seinen Schreck nachempfinden? Womöglich lacht er, wenn er die Harmlosigkeit des Tieres erkennt. Oder er ist dennoch käseweiß und muss sich erstmal hinsetzen. Natürlich werden wir als Beobachter versuchen nachzuempfinden, als ob wir selbst die Betroffenen wären. Nur, was kommt dabei he-raus? Bei einer besorgten Mutter sicherlich etwas anderes als bei der Schwester, dem Bruder oder der Freundin, so sie zur Wandergruppe gehören. Und wieder die Frage, wo sind die Grenzen der Mit-Empfindsamkeit. Bei einem Hochsensiblen liegen sie ganz anders als bei einem Gefühlsarmen, einem Psychopathen gar.

 

Ganz tief drinnen

 

Regelrechte Berühmtheit erlangte der Fall des Norwegers Anders Behring Breivik, der im Jahr 2011 aus einem von ihm selbst bekannten rechtsextremen Motiv heraus an einem einzigen Tag 77 (!) Menschen tötete. Die mit dem Fall befassten Experten waren sich über die Schuldhaftigkeit uneinig, und sind es großenteils wohl bis heute. Ist nun dieser Brevik ein Psychopath, der mangels Gefühlsfähigkeit zu diesem Verbrechen bereit gewesen war, oder ist er weder psychotisch noch (wie von gerichtspsychiatrischer Seite her ebenfalls vermutet) schizophren? Krank oder normal, schuldig oder nicht schuldig? Gleichviel, wie fern muss man anderen Menschen sein, um eine derartig unmenschliche (unmenschlich?) Scheußlichkeit zu begehen?


Ähnlich spielt auch im „normalen“ Leben eine allzu große Ferne zum Ich der anderen eine Rolle, obschon viel weniger extrem. Derartige Fälle gehören bei Psychotherapeuten und in den Kinder- und Jugendpsychiatrien zur täglichen Praxis, ebenso bei Familienrichtern, Lehrern und Kindergärtnerinnen. Oft auch tragen die Freunde und die Wohnungsnachbarn mit daran. Die ärgsten der Problemfälle sind durchaus nicht immer Psychopathen zuzurechnen, aber oft. Denn nicht nur finden sich solche Menschen als Straftäter in den Gefängnissen, nein, als manipulativ besonders Begabte mitunter auch auf Chefetagen, in der Werbebranche, da und dort auf den Bühnen der Unterhaltungsindustrie und wohl ebenso in der Politik. Die Erfolgreichsten unter ihnen zeichnen sich durch eine hohe Intelligenz aus, durch Charme, Pathos, laxen Umgang mit Fakten, Geschwätzigkeit und: Sie haben keine sonderlichen Probleme mit dem Schamgefühl und mit Gewissensbissen.
Robert D. Hare, ein kanadischer Kriminalpsychologe, meint dazu, die Rücksichtslosigkeit der Psychopathen sei es, die ihnen im Wettbewerb mit anderen einen Vorteil verschaffe. Ein Mangel an Empathie also, an Mitgefühl. Andere hingegen behaupten eher das Gegenteil belegen zu können. Nämlich, dass psychopathisch „Begabte“ durchaus mit anderen mitfühlen können und sie gerade dadurch bestens zu manipulieren wissen. Allerdings eben ein Mit-fühlen ohne mit-leiden zu müssen. Untersucht man diese Menschen in einem Gehirn-Scanner, währenddessen ein Film demonstriert, wie jemandem in derb schmerzhafter Weise ein Finger umgebogen wird, passiert in dem Hirnareal, das für Mit-Leiden zuständig ist, auffällig wenig.


Fast ebenso beunruhigend ist, dass die Rigorosität psychopathisch Veranlagter von anderen gern als Stärke angesehen wird. Viele zollen ihnen hohen Respekt, ja Verehrung. Umso mehr dann, wenn es nicht nur um die Manipulation Einzelner geht, sondern um die eines ganzen Volkes. Worte für Empfindungen wissen sie so einzusetzen, dass solche mit positiver Wertung in solche mit negativer umbewertet werden, Zorn in „Hass“ umgemünzt, Widerrede in Hetze.  Einige im Schwarm der Anonymen „schwärmen“ geradezu für solche Art von Führungspersönlichkeiten – Schwarmdummheit eben.Und Hunde? Auch unter ihnen gibt es Problemfälle. Zum Beispiel solche, die ihre Herrschaft beißen. Tierische Psychopathen gewissermaßen. Hier sorgt der Mensch ganz einfach für Abhilfe.

Seite 24, Kompakt Zeitung Nr. 251, 6. März 2024

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