Vorsicht vor falschen Freunden!

Dieter Mengwasser (Dipl.-Dolmetscher u. -Übersetzer)

Die folgende kleine Geschichte kennen Sie sicherlich noch aus dem Englischunterricht: Ein deutscher Tourist besucht eine englische Stadt und schaut sich die dortigen Sehenswürdigkeiten an. Zum Mittagessen geht er in ein Restaurant und bestellt ein Beefsteak. Die Gaststätte ist gut besucht, man muss lange auf das Servieren warten. Geduldig wartet unser deutscher Gast. Er wartet und wartet, aber dann reicht es ihm. Er ruft den Kellner heran: ‚Waiter, when do I become a beefsteak?´ Darauf antwortet der Kellner: ‚I hope, never.´


Hier haben wir unseren falschen Freund! Es ist ‚to become‘. Auf Deutsch ist es eben nicht ‚bekommen‘, was zu vermuten wäre, sondern die Bedeutung ist ‚werden‘. ‚I want to become an engineer.´ – Ich möchte Ingenieur werden. „Falsche Freun-de“, englisch „False friends“, französisch „Faux amis“, russisch Ложные друзья – damit bezeichnen wir ein Paar von Wörtern in zwei Sprachen, die in ihrer Schreibweise oder in ihrer Aussprache ähnlich sind und auch häufig einen gemeinsamen Ursprung haben, aber sich in der Bedeutung unterscheiden.

 

Sehen wir uns, nach ‚to become‘ = ‚werden‘, weitere Beispiele an (übrigens, würden Sie im Wörterbuch Deutsch-Englisch nachschauen, finden Sie an führender Stelle für das deutsche ‚bekommen‘ das englische Verb ‚to get‘):

  • engl. ‚actual‘, deutsch: nicht ‚aktuell‘, sondern ‚tatsächlich‘. ‚I’m not joking. Those were his actual words.‘  Aus dem Deutschen ins Englische: der aktuelle Präsident – the current president (‚current‘ only before noun: current events).
  • engl. ‚caution‘, deutsch: nicht ‚Kaution‘, sondern ‚Vorsicht‘. ‚We must proceed with extreme caution.‘ Sollten Sie aber eine Kaution zahlen müssen: ‚You have to put down a deposit.‘
  • engl. ‚eventually‘, deutsch: nicht ‚eventuell‘, sondern ‚letztlich‘, ‚schließlich‘, ‚final‘. ‚Eventually, she got a permanent job.‘ Um etwas Eventuelles, also eine Möglichkeit, auszudrücken: ‚It is possible to do sth.‘ Wobei es das Substantiv ‚eventuality‘ im Englischen gibt und auch ungefähr die Bedeutung wie im Deutschen hat: ‚We are prepared for every eventuality.‘ Und dies mit dem Sinn, dass wir auf alle möglichen schlechten Ereignisse vorbereitet sind. Hieran sehen wir aber auch, dass es durchaus Zweifelsfälle, Überschneidungen oder Unklarheiten bei den Falschen Freunden geben kann.

 

Sehen wir uns auch einige Beispiele von Falschen Freunden im Vergleich der deutschen Sprache mit der französischen an:
In unserer heutigen Zeit berühren oder drücken Menschen sehr häufig eine ‚touche‘. Mit unserer ‚Tusche‘ oder einem Tuschkasten hat das nichts zu tun. ‚la touche‘ ist die ‚Taste‘. Ein Klavier hat viele Tasten, aber wenn Sie ‚clavier‘ lesen, dann ist nicht das Musikinstrument gemeint, sondern die Tastatur, zum Beispiel beim Computer (das Klavier = le piano). Wenn bei einer ‚taille‘ 170 Zentimenter angegeben sind, dann ist dieser Mensch nicht ungeheuer dick, sondern seine Körpergröße hat dieses Maß. ‚traîner‘ hat mit Sport nichts zu tun, sondern es geht um ‚ziehen‘, ‚schleppen‘, während der Trainer mit ‚entraîneur‘ (oder ‚sélectionneur‘ bei der französischen Nationalmannschaft im Fußball) übersetzt wird. Vorsicht, wenn es beim Spiel einen ‚carton rouge‘ gibt – nämlich die rote Karte! Eine ‚carrière‘ kann ‚Laufbahn‘ bedeuten, aber auch einen ‚Steinbruch‘. ‚aliments‘ sind nicht nur zu zahlende Alimente, es können damit auch ‚Lebensmittel‘ gemeint sein. ‚la veste‘ ist nicht unbedingt ein zu einem Anzug zu tragendes Kleidungsstück, es handelt sich ganz allgemein um eine ‚Jacke‘. ‚visage‘ ist nicht verächtlich gemeint, auf ihre Schönheit bedachte Frauen pflegen ihr ‚beau visage‘.


Russisch soll auch nicht fehlen. Beginnen wir mit ‚бутерброды‘. Die Butter suchen Sie da vergeblich, es sind einfach nur mit Wurst oder ähnlichem belegte Brotscheiben. Der Zentner hat bei uns in Deutschland 50 kg, aber der ‚центнер‘ in Russ-land 100! ‚глаз‘ ist nicht etwa das Glas für sto gramm, sondern das ‚Auge‘; den Wodka können Sie aus einem ‚стакан’ trinken. Der Dom in Magdeburg weist zwar dieselben Buchstaben wie russisch ‚дом‘ auf, aber mit letzterem ist jedes gewöhnliche Haus in Russland gemeint. ‚кровать‘ klingt ähnlich wie ‚Krawatte‘, es bedeutet aber ‚das Bett‘. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Zusammenhang zwischen dem deutschen ‚Wetter‘ und dem russischen ‚ветер‘ besteht, denn ‚ветер‘ ist der Wind (‚Wetter‘ = погода). Wenn Sie an einem Fluss Angler sehen, dann haben die eine ‚удочка‘ in der Hand, um, im Erfolgsfall, zu Hause ihrem ‚ангел‘ (= Engel) einen frisch gefangenen Fisch zu präsentieren. Traurig sind die Nachrichten von der Front, wo viele junge Männer in einem ‚танк‘, nämlich Panzer, sitzen müssen. шланг ist keine Schlange, sondern der ‚Schlauch‘. Mit ‚фамилия‘ ist nicht die ‚Familie‘, sondern der Familienname gemeint.


Und so weiter und so weiter. Es gibt ganze Wörterbücher mit Zusammenstellungen von Falschen Freunden. Aber wie kann es überhaupt so weit kommen, dass solche Falschen Freunde entstehen? Da hört oder liest jemand ein Wort in einer fremden Sprache, und ein ähnlich klingendes oder geschriebenes Wort existiert auch in der eigenen Sprache. So wird dann eben geschlussfolgert, dass da auch Übereinstimmung in der Bedeutung besteht, und beide Wörter, das in der Fremdsprache und das in der eigenen Sprache, werden ohne große Überprüfung in einen Zusammenhang zueinander gebracht.  


Vor vielleicht fünfzehn Jahren hörte ich zum ersten Mal im Rundfunk in einer Nachrichtensendung, dass in den sozialen Medien über ein gerade geschehenes Ereignis berichtet wurde. Ich habe nicht verstanden, was soziale Medien sind. Ach, das weiß doch jedes Kind, so höre ich Sie sagen. Ja, heutzutage, ja, aber damals war dieser Begriff von den Sozialen Medien neu. Als ich dann nach und nach die Bedeutung der Sozialen Medien – im Sinne der sprachlichen Bedeutung – mitbekam, hatte ich immer den leisen Verdacht, dass es sich hier auch um einen Falschen Freund handeln könnte.


Das englische Wort „social“ und das deutsche Wort „sozial“ sehen sich sehr ähnlich. Sie haben auch die gleiche Zahl von Buchstaben, nur ‚c‘ und ‚z‘ machen den Unterschied. Oberflächlich gesehen müsste auch der Bedeutungsinhalt gleich sein. Was haben wir bisher mit ‚sozial‘ verbunden? Meine Mutter musste früher ab und zu zur Sozialversicherungskasse; jeder Bürger der DDR hatte einen Sozialversicherungsausweis, in dem Arztbesuche, eine vom Arzt verschriebene Brille, Krankenhausaufenthalte usw. eingetragen wurden; Ludwig Erhard, Wirtschaftsminister zu Adenauer-Zeiten, begründete die soziale Marktwirtschaft, in die der Staat regulierend eingreifen darf, um den sozialen Ausgleich zu gewährleisten; bis vor einigen Jahren nannte sich die finanzielle Unterstützung für Bedürftige Sozialhilfe. Alfred Krupp, der Kanonenkönig von Essen, wird als sozial eingestellter Unternehmer dargestellt, weil er für seine Arbeiter kleine Reihenhäuser bauen ließ. Also verbinden wir mit ‚sozial‘ den Kontext Fürsorglichkeit, Gesundheitsbewahrung, Wohltätigkeit, Hilfe für andere Menschen.

Gibt es nun in der englischen Sprache mit ‚social‘ auch solche Verknüpfungen? Vorrangig sind damit Beziehungen in der Gesellschaft, zwischen Menschen, gemeint. Natürlich gibt es auch ‚social services‘, ‚social security‘, ‚social order‘ usw., aber dies ist eben mehr auf die Organisation des Zusammenlebens gerichtet. Und dies ist auch mit den ‘social media’, den Medien, die wir jetzt als ‚Soziale Medien’ bezeichnen, gemeint. Mit Fürsorge, Wohltätigkeit, Sorge um das Wohlergehen von Menschen haben diese überhaupt nichts zu tun.


Mein anfänglicher leiser Verdacht, dass Soziale Medien als Begriff zu den Falschen Freunden zu rechnen ist, wurde verstärkt durch die Covid-Pandemie. Da wurden in manchen deutschen Medien, selbst auch im Fernsehen, Aufrufe und Warnungen verbreitet, man solle ‚soziale Distanz‘ halten. Eine soziale Distanz besteht sicherlich zwischen einem Generaldirektor und der Reinemachefrau. Gemeint war jedoch, dass die Menschen zueinander oder voneinander körperlich Abstand halten, um die Ansteckungsgefahr zu verringern. ‘social distancing’ wurde eben ganz einfach, ohne weitere Prüfung, ins Deutsche übernommen.



Buch-Tipp: Die Beiträge von Dieter Mengwasser sind als Buch unter dem Titel „Ich spreche Deutsch! – Sprachbetrachtungen eines Sprachkundigen“ erhältlich. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.

Seite 17, Kompakt Zeitung Nr. 251, 6. März 2024

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