Meter 72:
1207? 1208? Oder doch erst 1209?
Michael Ronshausen
118 Meter Domgeschichte – Erzählungen aus der gotischen Kathedrale
In der langen Geschichte des Magdeburger Doms bedeutete der Großbrand der Vorgängerkathedrale am 20. April 1207 und der darauffolgende Abriss des beschädigten Gebäudes die größte Zäsur in der baulichen Geschichte. Der rund 80 Meter lange, 60 Meter hohe und rund 40 Meter breite romanische Großbau, den man heute in Anlehnung an seinen Gründer Otto den Großen als Kaiserdom bezeichnen könnte, hat ein rundes Jahrtausendviertel nicht nur die frühe Stadt, sondern mit seiner architektonischen Imposanz die Region geprägt.
Allgemein – und vielfach in der Literatur zitiert – gilt das Jahr 1209 als der Moment, in dem das gotische Großbauabenteuer begann. Daraus berechnet sich die gesamte Dauer des Dombaus: 311 Jahre, bis zum Abschluss 1520. Nicht selten tauchen in der Literatur das eingangs erwähnte Brandjahr 1207 und auch das Jahr 1208 auf, wenn es um den Beginn des gotischen Domneubaus geht. In einer literarischen Überlieferung aus dem späten 19. Jahrhundert ist beispielsweise der Januar 1209 der Moment der feierlich vollzogenen Weihe des Grundsteins durch den damaligen Erzbischof Albrecht von Käfernburg.
Berichtet wird allerdings auch, dass die Ruine des ottonischen Doms bereits im Brandjahr 1207 abgeräumt wurde – was man ebenfalls als Beginn des Neubaus interpretieren kann. Tatsächlich hat das Zahlenverwirrspiel zwischen 1207 und 1209 einen anderen Hintergrund. Man kann davon ausgehen, dass zumindest die östlichen Teile des alten Doms zügig beseitigt worden sind, um Baufreiheit zu schaffen. Wirklich begonnen hat der Neubau aber nicht mit vorbereitenden Arbeiten, sondern mit einem besonderen Ereignis, welches zwingend notwendig war und das bei jedem Kirchenneubau am Anfang stand: die in einem feierlichen Gottesdienst vollzogene Weihe des Grundsteins.
Erst ab diesem Moment konnten sich alle Beteiligten – vom Erzbischof bis zum Lastenträger – sicher sein, dass ihrem Werk die unabdingbare himmlische Aufmerksamkeit zuteilwerden würde und man das bevorstehende Riesenprojekt vollenden könnte. Dabei war 1209 allen damals daran Beteiligten klar, dass keiner von ihnen die Vollendung des Dombaus erleben würde, auch wenn im frühen 13. Jahrhundert nicht absehbar war, dass dieser Moment mehr als drei Jahrhunderte in der Zukunft lag.
Wie bereits an anderer Stelle berichtet, lag die Bauzeit des Doms bei rund 120 oder vielleicht 130 Jahren. Allein zwischen 1363 (dem Jahr der Domweihe) und 1477 (dem Jahr der Wiederaufnahme der Bauarbeiten an der Turmfront) bewegte sich im Dom kein Stein und drehte sich nirgendwo ein Rad. Erst nach weiteren 43 Jahren wurde das Projekt – gewissermaßen zum Ende des Mittelalters – 1520 erfolgreich beendet.
Nr. 254 vom 23. April 2024, Seite 39
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