Stadtmensch: Kommen die Baseballschlägerjahre zurück?
Lars Johansen
Nichts ist gut. Oder ist doch alles gut und normal wie eh und je? In diesen Tagen wurde in Sachsen ein Kandidat für das Europaparlament beim Anbringen von Plakaten zusammengeschlagen. Es war nicht nur eine kleine Prügelei, sondern er musste danach zur Behandlung in ein Krankenhaus. Die Täter sind später festgenommen worden. Überraschend, dass sie der rechten Szene angehören, oder? Natürlich ist das nur eine rhetorische Frage, denn die Verbrechen aus dem rechten politischen Spektrum haben im vergangenen Jahr wenigstens in Sachsen-Anhalt noch einmal zugelegt. Und nun befinden sie sich hier bei uns auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren. Das ist erschreckend. Aber es ist mittlerweile erschreckender Alltag geworden, denn was in Sachsen passiert ist, scheint auch hier wieder denkbar. Es erinnert ein wenig an die sogenannten Baseballschlägerjahre, die in den 90er Jahren beherrschend für den ostdeutschen Lebensraum waren. Es erinnert auch an die Himmelfahrtskrawalle, die 1994 in Magdeburg stattfanden. Sie feiern in diesem Jahr das 30-jährige Jubiläum. Aber feiert man so ein Ereignis? So richtig gedenken mag kaum jemand der Ereignisse von damals, denn die Täter wurden nie erwischt. Sie laufen bis heute frei herum. Dabei musste natürlich allen Beteiligten klar sein, um wen es sich gehandelt hatte, denn die Gruppe von Skinheads und Neonazis war alles andere als unsichtbar gewesen.
Doch schon der damalige Polizeipräsident hatte die Ereignisse verharmlost, indem er sie auf das warme Wetter und den Alkoholgenuss reduzierte. Auch der Ordnungsbeigeordnete hatte das Ganze nicht als besonders relevant für die Sicherheit und Ordnung in der Stadt angesehen. So richtig mochte sich niemand von den Ereignissen distanzieren, denn, wenn man sie so verharmloste, dann konnten sie ja wohl kaum von Bedeutung sein. Als ich im Sommer 1994 in die Stadt kam, waren diese Himmelfahrtskrawalle schon Geschichte, sie hatten nur wenige Spuren hinterlassen. Zu den Spuren gehörten ein paar zerschlagene Scheiben, vor allem aber zerschlagene Seelen, Menschen, die für den Rest ihres Lebens Angst haben würden. Immer noch waren in den Abendstunden Skinheads unterwegs, die bedrohlich wirkten. Wenn man ihnen begegnete, wechselte man die Straßenseite. Das war normal. Dazu muss man wissen, dass die Innenstadt damals keine echte Innenstadt war, sondern umbaute Freiflächen, die es so heute nicht mehr gibt. Das City Carré und das Allee-Center existierten damals noch nicht, der blaue Bock war noch eine Scheußlichkeit, welche die Ästhetik der Innenstadt mitbestimmte. Seitdem hat sich also viel verändert, eigentlich muss man keine Angst mehr haben, und wenn Menschen sagen, dass der Hasselbachplatz in den letzten Jahren eine No-Go-Area geworden sei, dann können sie das Magdeburg von 1994 nicht gekannt haben oder sind einfach geschichtsvergessen. Es ist also besser geworden, und doch bleiben Zweifel, denn wenn man sich die Ergebnisse ansieht, die zumindest in den Umfragen nachzulesen sind, dann stellte man fest, dass eine Gesellschaft, die Menschen mit Migrationshintergrund problemlos akzeptiert, noch immer eine Illusion ist. Die jungen Menschen wollen, wenn man diesen Umfragen trauen darf, zu großen Teilen rechte Parteien wählen. Und diese punkten unter anderem mit den Hinweisen auf ihre Vaterlandsliebe.
Das ist geradezu absurd, wenn man sieht, dass sie eigentlich die größten Vaterlandsverräter sind. Ich mag dieses Wort nicht, aber anders kann man es kaum beschreiben, wenn Parlamentarier chinesische Spione in die Parlamente schleusen oder Geld von Wladimir Putin annehmen. Sie sind also eigentlich schon jetzt korrupter als die „Altparteien“, die sie so sehr verachten und bekämpfen. Und die Prügel, welche sie dem politischen Gegner zukommen lassen, und für die sie natürlich nicht persönlich verantwortlich sind, denn das ist ja nur ihrer Propaganda geschuldet, die zeigt deutlich, wie schwer ihnen der Umgang mit der Demokratie immer noch fällt. Auf den Lohnlisten der Parlamentarier einer laut Verfassungsschutzbericht gesichert rechtsextremistischen Partei findet man die Neonazis und Skinheads aus den Baseballschlägerjahren, so als wären sie seinerzeit unschuldig gewesen oder jetzt wenigstens reingewaschen. Aber man konnte ihnen ja schon damals nichts beweisen, und so sind sie davongekommen. Sie träumen gewiss nicht schlecht und sie haben keine Angst, denn sie wissen ja, dass die anderen traumatisiert sind. Und trotzdem stilisieren sie sich immer wieder selbst zu Opfern und behaupten, dass die anderen die Täter seien. Es ist überraschend und erwartbar zugleich, dass diese Schuldumkehrung immer noch funktioniert.
Es bleibt dabei: Wer Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung akzeptiert, der wird auch in Zukunft kein Demokrat sein. Und wer die Demokratie sichtbar verachtet, deren Grundlage wir in diesem Jahr gerade feiern, denn das Grundgesetz wird 75 Jahre alt, den oder die sollte man nicht wählen, denn diese Demokratie ist es wert, dass sie, bei allen berechtigten Diskussionen, mindestens noch 75 weitere Jahre bestehen bleiben muss. Es gibt tatsächlich kein politisches System, welches besser funktioniert. Ich ziehe meinen Hut vor all denen, die angesichts dieser Probleme bereit sind, zu kandidieren. Nicht nur für die Europawahl, denn dazu muss man wissen, dass diejenigen, welche für den Stadtrat kandidieren, dafür nicht bezahlt werden. Stadträte arbeiten, bis auf eine wirklich kleine Entschädigung, komplett ehrenamtlich. Das ist vielen, die sich abfällig äußern oder gar mit Gewalt drohen, vielleicht nicht bewusst. Es sind unsere Delegierten und sie haben dafür Respekt verdient, auch wenn ich mit ihnen nicht immer übereinstimmen mag. Daran sollten wir uns halten.
Nr. 255 vom 14. Mai, Seite 8
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