Standpunkt Breiter Weg:
EU – Ein dichterer Flickenteppich
Von Thomas Wischnewski
Zeitgleich zu den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt wird zum zehnten Mal das EU-Parlament gewählt. Vor fünf Jahren Stand die Wahl unter den Vorzeichen des Austritts der Britten aus der Europäischen Union. Da wurde hin und wieder schon der Untergang des europäischen Projekts prophezeit. In diesem Jahr verläuft der Wahlkampf ziemlich geräuschlos, obwohl sich an der Kritik über eine Eurokratie kaum etwas geändert hat. Was jedoch tatsächlich passiert, ist das Erstarken rechter Parteien. Die deutsche AfD will hierzulande die eurokritische Kraft Nummer Eins sein. Innerhalb des europäischen Parlaments scheinen die AfD-Politiker inzwischen isoliert zu werden. Marie Le Pen (Frankreich) und Georgia Meloni (Italien) schließen eine Koalition mit den Deutschen Rechten aus. Maximilian Krah hat seiner Partei mit einer Äußerung zum Umgang mit SS-Biografien und der Enthüllung über die Spionage seines Mitarbeiters einen Bärendienst erwiesen.
Die Taktik von Bundeskanzler Olaf Scholz, die Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen zu einer strikten Abgrenzung für alle rechten Parteien zu nötigen, ist ein personalpolitisches Manöver. Laut Koalitionsvertrag der Ampel soll im Falle einer Nichtnominierung von der Leyens jemand von den Grünen in die Kommission einziehen. Aber solche Postenspielereien ändern an der Konstruktion und an der bürokratischen Entfernung Brüssels in die Tiefe lokaler Befindlichkeiten wenig.
Während sich auf dem Globus die geopolitischen Gewichte wandeln und es manchmal tatsächlich einer einheitlichen EU-Stimme im Spiel von USA-Interessen, den asiatischen Wirtschaftsnationen China und Indien sowie Russlands bedürfe, bleiben die Europäer uneins über einen gemeinsamen Weg. Seit des Beginns des Krieges zwischen Russland und der Ukraine ist die Forderung nach einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie laut geworden. Aus Richtung des Franzosen Emanuel Macrons kommt die Initiative, mehr Eigenständigkeit gegenüber den US-Amerikanern zu zeigen. Auf eine Linie lassen sich die EU-Mitgliedsstaaten aktuell nicht bringen. Vor allem die Deutschen zeigen immer wieder einen Schlingerkurs.
Migranten nehmen weiterhin Kurs auf das europäische Festland, das Brüsseler Vorschriften-Dickicht wird nicht lichter, die Geldverteilung bleibt ebenfalls undurchsichtig und für wirtschaftliche Impulse gibt es zwar Ansätze, aber auch dabei wird kein wirklich großer Wurf sichtbar.
Was wählen wir also am 9. Juni? Wahrscheinlich einen sich dichter strickenden Flickenteppich aus nationalen Befindlichkeiten und eines noch schwieriger steuerbaren EU-Apparates. Wenn am 9. Juni nicht zeitgleich viele Kommunalwahlen anstünden, wäre fraglich, ab das Euro-Projekt bei den Wählern überhaupt viel Zuspruch finden würde. Reisefreiheit und Währungseinheitlichkeit sind selbstverständlich geworden. Aber die beiden Aspekte unterlaufen die europäischen Fliehkräfte nicht. Zu oft hat man als Wähler den Eindruck, es verkrustet sich ein sogenanntes „Weiter so“ auf dem EU-Parkett. Viel Symbolpolitik und Proklamationen schaffen keine europäische Identifikation in der Breite. Das ist schade, weil die Grundidee eine gute bleibt. Das EU-Parlament wird nach dem 9. Juni anders besetzt sein als das heutige. Echte große Veränderungen werden sicher nicht gewählt und das schadet der einstigen europäischen Idee.
Nr. 256 vom 28. Mai 2024, Seite 2
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