Gedanken- & Spaziergänge im Park: Von Preußen, Bauten und Gewalt
Von Paul F. Gaudi
Kürzlich war in der hiesigen Tageszeitung zu lesen, dass das „Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte“ in Potsdam gut zwei Jahre nach dem Antritt der neuen Direktorin Katja Melzer einen anderen Namen bekommt. Der alte Name sei zu sperrig, wurde gesagt. Die neue Bezeichnung für das Haus lautet nun: „Brandenburg Museum für Zukunft, Gegenwart und Geschichte“. Diese Bezeichnung ist um zwei Worte länger und noch „sperriger“ als die alte. Die Länge des Namens scheint also nur vorgeschoben zu sein. Vermutlich geht es in Wahrheit eher darum, die Erinnerungen an Preußen und seine Geschichte allmählich zu eliminieren. Eine ähnliche Namensdebatte findet sich auch bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Diese Stiftung ist eine der wichtigsten Kultureinrichtungen Deutschlands, die von Bund und Ländern getragen wird. Zu ihr gehören die Staatlichen Museen zu Berlin, die Staatsbibliothek zu Berlin, das Geheime Staatsarchiv und noch andere Einrichtungen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth möchte diesen Verbund reformieren und zugleich umbenennen. Preußen und seine Geschichte scheinen ein Feindbild für linke und grüne Politiker zu sein.
Wenn es um Preußen geht, werden meist nur die dunklen Seiten der preußischen Geschichte erwähnt. Preußens Rolle und Bedeutung in der Kultur und besonders für die Einheit Deutschlands, die spätestens seit der Mitte des 19. Jahrhunderts der Wille aller Demokraten war, scheint dagegen nicht weiter erwähnenswert. Als Gedankenexperiment könnte man fragen, ob es ohne Preußen überhaupt ein Deutschland im heutigen Sinne geben würde? Vielleicht gäbe es weiter mehrere deutschsprachige selbstständige Länder wie Bayern, Sachsen, Preußen, verschiedene Thüringer Ländle, hessische Kleinstaaten und manche andere mehr.
„Vielleicht hätte es dann nie einen ersten Weltkrieg gegeben?“, sagte Gerd zu meinen Gedanken. „Ein interessanter Aspekt. Vielleicht hätte sich dann Napoleon III. alle deutschen Gebiete westlich des Rheins einverleibt. Es ist auch fraglich, ob die Welt ohne die deutsche Reichseinigung in den Zeiten der imperialistischen Expansionen friedlicher geblieben wäre. Aber das sind unnütze Gedankenspielereien. Was ich meine ist, dass Preußen und seine Geschichte seit längerem zu einseitig negativ betrachtet und beurteilt wird.“ „Da vertrittst du die gleiche Meinung wie der Historiker Julius H. Schoeps, der übrigens ein Nachkomme des berühmten Berliners Moses Mendelssohn ist. Der schrieb zu diesem Thema im letzten Jahr: „Es scheint ein Trend zu sein. Die Bezeichnung ‚Preußen‘ soll anscheinend endgültig aus dem öffentlichen kulturellen Leben getilgt werden“ und warnte nachdrücklich vor einer Verteufelung Preußens.“ „Ich bin gespannt, wann die Regierung auf die Idee kommt, dass das Reiterstandbild Friedrichs des Großen auf der Straße Unter den Linden, das übrigens von der DDR 1980 dort wieder aufgestellt wurde, wieder entfernt werden soll.“ „Na, ich hoffe nicht. Aber, ehrlich gesagt, wundern würde es mich nicht.“
Das Kaisertum neu errichtet?
Ein ähnlicher Zirkus spielt sich auch bei der Diskussion um das Berliner Schloss ab. Von einer Wiedererrichtung kann man nicht sprechen. Es war eine recht halbherzige Fassadenrekonstruktion, die der italienische Architekt Franco Stella dem im Krieg schwer zerstörten und dann gesprengten Schloss angedeihen ließ. Bei jeder weiteren Ergänzung mit alten Bauelementen ertönt ein lautes Geschrei der Kritiker, als würde nicht der Bau ergänzt, sondern das wilhelminische Kaisertum neu errichtet! So zuletzt bei den Prophetenfiguren an der Kuppel des Schlosses. Es handelt sich dabei um ausschließlich jüdische Propheten aus dem Alten Testament, die die drei monotheistischen Welt-Religionen des Judentums, des Christentums und des Islams miteinander verbinden. Das ließ sich natürlich durch die Kritiker schlecht angreifen. Also beschwerten sie sich da-rüber, dass Spenden dafür unter anderem auch von Personen gekommen wären, denen sie eine „rechte“ politische Gesinnung vorwerfen. „Nun, das mag sein“, meinte Gerd, „aber so ist ihr Geld doch nützlich angelegt. Geld stinkt nicht, sagten schon die alten Römer. Was soll man machen, von den Linken gibt es ja dafür keine Spenden!“
Manchmal ist es ein Jammer, wie mit alten repräsentativen Bauten seit der Wiedervereinigung umgegangen wurde. Zum Beispiel das Militärmuseum in Dresden, ein ehemaliges Arsenal-Gebäude der sächsischen Armee, das schon zu DDR-Zeiten als Museum eingerichtet wurde. In der ersten Dekade des neuen Jahrtausends erfolgte eine Ausschreibung zu einer „dekonstruktivistischen Neugestaltung“ des historischen Gebäudes, die der amerikanische Architekt Daniel Libeskind gewann. Das historische Gebäude wurde mit einem großen keilförmigen, gläsernen Einbau ergänzt und gespalten. Nach siebenjähriger Umbauzeit wurde das Museum 2011 wiedereröffnet. Ein Drittel der Bausubstanz ging durch den Einbau verloren und es kostete 62,5 Millionen Euro! Warum muss man historische Bauten, die den Krieg überlebt hatten, eigentlich dekonstruieren, statt sie zu erhalten und lediglich innen zu modernisieren? „Da beneide ich die Polen“, sagte Gerd, „wie die historische Bauten und Viertel in Breslau, Danzig, Krakau oder Warschau wieder hergestellt haben, ist bewundernswert und vorbildlich. Rekonstruktion ist allemal besser als Dekonstruktivismus.“ „Ja, ich glaube, wir können froh sein, dass die DDR in Dresden nach 1945 den Zwinger, die Gemäldegalerie und die Semperoper wieder stilgerecht aufbauen ließ. Wer weiß, was unseren heutigen Dekonstruktivisten da sonst alles eingefallen wäre!“
Salzburg ohne Sprayer?
Gerd kam gerade von einer Reise nach Salzburg zurück und erzählte mir, wie man dort mit historischen Bauten pfleglich umgehen würde. Was ihm aber dort besonders auffiel, war, dass es in Salzburg offensichtlich keine Sprayer gab. Die Hauswände waren allesamt sauber und es gab auch keine beklebten Laternenpfähle wie bei uns. Auch in umliegenden Städten das gleiche Bild. „Weißt du“, sagte er, „wenn ich mir vorstelle, ein Salzburger ginge die Sternstraße entlang bis zum Hasselbachplatz und in den Breiten Weg oder die Otto-von-Guericke Straße und sähe die vielen verunzierten schönen Altbauten, die sowohl den Krieg als auch die DDR überlebt haben, was würde der wohl denken? Er könnte auch durch bestimmte Straßen des Stadtfeldes spazieren und sähe das gleiche hässliche Bild. Vielleicht würde er denken, dass unser Magdeburg völlig verwahrlost ist. Was machen die Salzburger anders oder was können sie besser als wir? Eigentlich sollten wir froh sein, dass Magdeburg nicht in diesem Jahr eine Kulturhauptstadt Europas geworden ist. Wir müssten uns in Grund und Boden schämen!“
Mit zweierlei Maß messen
„Da du das harte Wort Verwahrlosung gebraucht hast, da fällt mir ein anderes Thema ein, was man vielleicht auch unter diesem Oberbegriff einordnen könnte. Ich meine die Zunahme der Gewalt. In unserer Tageszeitung kann man mehrmals in der Woche davon lesen, dass Menschen überfallen wurden, körperlich schwer geschädigt oder sogar ermordet wurden. Oder von Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen. Oder die Vielzahl der Einbrüche. Und das in ganz Deutschland. Vielleicht trügt mich meine Erinnerung, aber mein Eindruck ist, dass das vor 20 oder 30 Jahren nicht so häufig war. In letzter Zeit trifft es auch Politiker. Von der Innenministerin gab es gleich einen Aufschrei und die Meinung, dass der Angriff auf Politiker härter bestraft werden müsste. Das sehe ich nicht so. Die gewaltsame Verletzung eines Menschen ist immer gleich strafwürdig, egal welchen Rang dieser Mensch in der Gesellschaft einnimmt.“ Gerd stimmte mir zu, meinte aber, dass auch bei den Politikern mit zweierlei Maß gemessen wird. Der Überfall auf einen SPD-Politiker ging tagelang durch alle Zeitungen und Nachrichten, während Überfälle auf AfD-Politiker eher am Rande erwähnt werden, wenn überhaupt. Doch die offizielle Statistik zeigt, dass die meisten Gewalttaten gegen Politiker oder deren Büros die AfD betreffen! Da gibt es dann aber keine Protestdemonstrationen. Gibt es etwa gute und schlechte Gewalttaten? Das wollen wir doch nicht hoffen. Nur wenn man die Statistik erweitert und auch verbale Äußerungen wie Beleidigungen dazu rechnet, dann stehen die Grünen als Opfer auf dem ersten Platz. Und gerade im Reden oder Schreiben scheinen alle Hemmschranken gefallen zu sein. Das hat sicher auch etwas mit den „asozialen“ Medien zu tun. Über diesen Weg kann heutzutage jeder Trottel mit dem Handy seine Dummheiten und Frechheiten in die Welt hinausposaunen, was früher den Radius eines Stammtisches nie überschritten hätte. Aber bei der Verfolgung von Straftaten gibt es auch Tatsachen, die schwer zu verstehen sind. Vor wenigen Tagen z. B. überfielen in Magdeburg drei Jugendliche zwei Männer, die ihren Hund ausführten und verletzten den einen Mann so stark, dass er bald darauf verstarb. Die Täter wurden gefasst, aber sie wurden nicht inhaftiert. Das ist schwer zu begreifen. Ein Kommentator unserer Tageszeitung stellte daher auch die interessante Frage, ob wohl ebenso entschieden worden wäre, wenn die drei Täter Rechte gewesen wären?
Spaziergänger Band III erschienen
Buch-Tipp: Die Kolumnen von Paul F. Gaudi sind als Buch unter dem Titel „Der Spaziergänger“ Teil I (Nr. 1 bis 54) und Teil II (Nr. 55 bis 100) erhältlich. Frisch erschienen ist jetzt Teil III. Die Bücher können im KOMPAKT Medienzentrum erworben oder online unter www.kompakt.media bestellt werden.
Nr. 256 vom 28. Mai 2024, Seite 8
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